Tourismus:Niemand will mehr da arbeiten, wo andere Urlaub machen

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Schon bei der Buchung einer Reise bekommen Verbraucher gerade den Personalmangel zu spüren. Doch in Hotels und an Flughäfen sieht es nicht viel besser aus. Die Strände sind trotzdem voll. (Foto: dpa, Imago)

Wer im Sommer verreist, bekommt den Fachkräftemangel im Tourismus überall zu spüren. Über eine Branche, die gerade um jeden Mitarbeiter kämpfen muss.

Von Sonja Salzburger

Immer zu lächeln und freundlich zu bleiben, egal, wie es ihr selbst geht, gehört zu den Stärken von Angie Thomas. Sie strahlt Wärme aus. Als sie vergangenen September als Rezeptionistin im "Cocoon"-Hotel am Münchner Hauptbahnhof anfing, war bei ihrer Mutter gerade Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden. Thomas, die damals noch in der Probezeit war, hat trotzdem keinen Tag gefehlt und sich vor den Gästen nichts anmerken lassen. "Mir liegt einfach sehr viel an dem Job, denn es war der Wunsch meiner Mutter, dass ich Hotelfachfrau werde", sagt die 42-Jährige. Trotz Schichtbetrieb und Diensten am Wochenende und an Feiertagen kann sie sich keine schönere Tätigkeit vorstellen.

Zu wenig Kellner und Köchinnen, kürzere Öffnungszeiten

Viele Arbeitnehmer sehen das allerdings anders, und so muss die Hotellerie, wie die gesamte Touristik, derzeit um jeden Mitarbeiter kämpfen. Urlauber bekommen in diesem Sommer den Fachkräftemangel überall zu spüren: Manche Reisebüros haben nur eingeschränkt geöffnet und sind schlechter erreichbar als vor der Pandemie. Zu wenig Personal beim Check-in, an den Sicherheitskontrollen und bei der Gepäckabfertigung führen zu Verspätungen an den Flughäfen. In Hotels sind die Rezeptionen oft unterbesetzt, es gibt nicht genug Reinigungskräfte und auch für den Frühstücksservice fehlt Personal. Und wer abends auswärts essen gehen will, stellt womöglich fest, dass es schwieriger geworden ist, einen Tisch zu reservieren, weil Gaststätten einen zusätzlichen Ruhetag eingeführt haben oder weniger Gäste empfangen, da sie nicht genug Köche und Kellner haben.

"Die Gewinnung von geeigneten Mitarbeitern gehört zu den größten aktuellen Herausforderungen für die Branche", sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). Laut einer Umfrage von Anfang Juni suchen momentan fast 60 Prozent der Betriebe Fachkräfte in Vollzeit, aber auch der Bedarf an Fachkräften in Teilzeit, Hilfskräften sowie Minijobbern ist groß.

Als Rezeptionistin ist Angie Thomas für den ersten und letzten Eindruck verantwortlich, den Gäste vom Hotel bekommen. (Foto: Sonja Salzburger/SZ)

Gutes Personal zu finden war in einer Branche, die viel von ihren Mitarbeitern verlangt, aber ihnen zumindest monetär nicht viel zu bieten hat, schon vor der Pandemie schwer. Doch als Reisebüros im Lockdown fast nur Stornos bearbeitet haben, Flüge nicht abheben konnten und Hotels und Restaurants monatelang geschlossen bleiben mussten, hatten viele Mitarbeiter irgendwann genug von Kurzarbeit und unsicherer Perspektive. Sie haben sich neue Jobs gesucht und oft an komfortablere Arbeitsbedingungen gewöhnt. Gleichzeitig entscheiden sich momentan nur wenige Berufseinsteiger für eine Karriere im Tourismus. Viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Auch an den Hochschulen hat sich die Zahl der Erstsemester in touristischen Studiengängen im Vergleich zu vor der Pandemie halbiert, sagt Harald Zeiss, Professor für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode. Es erscheint, als habe die einst so prestigeträchtige Branche, die für Gastfreundschaft und Weltläufigkeit steht, ihren Glanz verloren.

Lösungen für den Personalmangel werden in der Branche kontrovers diskutiert

Wie man das Problem am besten angeht, darüber herrschen unterschiedliche Ansichten unter Touristikern. Insbesondere die Frage, inwieweit man Lücken mit Quereinsteigern füllen kann, wird kontrovers diskutiert. Beispiel Reisebüros: Markus Orth, Chef der Lufthansa City Center, einer großen Franchise-Organisation im Reisevertrieb, hat im April das Programm "Jump" vorgestellt, bei dem Quereinsteiger innerhalb von sechs Wochen für einen Job als Fachkraft im Reisebüro fit gemacht werden sollen. Marija Linnhoff, Vorsitzende des Verbandes der unabhängigen, selbständigen Reisebüros, warnt vor einer Abwertung des Berufes und Betrug am Verbraucher. Orth verteidigt das Programm: "Bevor die Quereinsteiger wirklich mit Kunden in Kontakt treten und selbst Beratungsgespräche führen, vergeht noch sehr viel Zeit. In der Zwischenzeit aber können sie unsere Verkaufsprofis bei Routineaufgaben entlasten, sodass diese mehr Zeit für die Kundenberatung haben." Linnhoffs Meinung nach müsse vor allem mehr gezahlt werden, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. "Nach dreijähriger Ausbildung zum Tourismuskaufmann oder zur Tourimuskauffrau verdienen Sie zwischen 1600 und 1800 Euro brutto", sagt Linnhoff. "Da locken Sie doch keine jungen Menschen mehr, so eine Ausbildung anzufangen."

Manche Wirte lassen sich etwas einfallen. Im "Donisl" bringt ein Roboter die leeren Gläser zurück. (Foto: Robert Haas)

Das Thema Bezahlung ist auch im Hotel kein einfaches. Rezeptionistin Thomas will sich nicht über ihr Gehalt beschweren. Aber um die Bestattungskosten ihrer Mutter stemmen zu können, inklusive einer Überführung der Asche zurück in ihr Heimatland, die Philippinen, musste sie zeitweise trotz Vollzeitstelle noch einen Nebenjob im Einzelhandel annehmen.

Deutlich höhere Löhne zu bezahlen, kommt für viele Betriebe nicht infrage

Dass in der Hotellerie nicht gerade üppig bezahlt wird, räumt auch Susanne Grill ein. Sie arbeitet bei Cocoon als Projekt- und Trainingsmanagerin und ist für Recruiting und Onboarding mitverantwortlich. "Wir können nicht mehr bezahlen, wenn wir nicht mehr Einnahmen haben", sagt Grill. Alles werde teurer: Energie, Lebensmittel - hinzu kommen gestiegene Personalkosten durch den Mindestlohn. Außerdem hat der Dehoga Bayern einen neuen Entgelttarifvertrag für die Hotellerie und Gastronomie geschlossen, bei dem die Gehälter für Azubis ab August deutlich angehoben werden, im ersten Ausbildungsjahr zum Beispiel von 795 auf 1000 Euro. Eigentlich müssten sie mittlerweile sechs bis sieben Euro für ein Bier verlangen und die Zimmerpreise erhöhen, sagt Grill, aber da würden die Kunden nicht mitspielen. "Man muss sich schon bewusst machen, dass der Tourismus langfristig nur existieren kann, wenn es bei den Gästen die Bereitschaft gibt, mehr dafür zu bezahlen."

Bereits mit 15 Jahren hat sie ihren ersten Nebenjob in der Hotelgastronomie angefangen und ist der Branche seitdem treu geblieben: Susanne Grill, 34. (Foto: Sonja Salzburger)

Susanne Grill ist erst 34, aber wenn man sie nicht sieht, sondern nur mit ihr telefoniert, könnte man meinen, sie sei bereits viel älter. Sie hat schon fast 20 Jahre Berufserfahrung im Gastgewerbe und sagt Sätze wie: "Es ist ein anstrengender Beruf und ich merke, dass die jungen Leute immer schlechter mit Stress umgehen können." Rezeptionisten wie Thomas zu finden, das Aushängeschild des Hotels, sei am herausforderndsten. Aber auch ungelernte Reinigungskräfte, die zum Mindestlohn die Zimmer putzen, seien schwer zu kriegen. "Da gibt es schon lange keine Deutschen mehr, die das machen möchten", sagt Grill. Allerdings gäbe es zahlreiche Interessenten außerhalb der EU, doch könne sie viele ausländische Bewerber nicht berücksichtigen, weil der administrative Aufwand zu hoch sei. "Wir fordern von der Politik, dass der Arbeitsmarkt besser internationalisiert wird", sagt Grill.

"Das Entscheidende ist, dass man nicht dann sucht, wenn man Leute braucht, sondern einfach immer sucht", sagt Robert Scharpf, Personalchef am Flughafen München. (Foto: Flughafen München/bernhardhuber.com)

Ähnlich sieht das Robert Scharpf, Personalchef am Flughafen München. "Wir haben im Großraum München keine nennenswerte Arbeitslosigkeit, was bleibt einem da anderes übrig, als auch in anderen Ländern zu suchen?" Auch er hat die Erfahrung gemacht, dass es schwierig werde, sobald man Menschen aus Nicht-EU-Ländern rekrutieren will, was auch mit den umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen zu tun habe, die Flughafenmitarbeiter durchlaufen müssen. Im Vergleich zu vielen anderen Airports sei die Personallage am Flughafen München allerdings weniger angespannt. Doch auch hier kann es in Spitzenzeiten zu langen Warteschlangen an den Sicherheitskontrollen und zu Flugverspätungen kommen. Die Probleme würden aber oft durch Verspätungen an anderen Airports verursacht. Trotzdem sind auch am Flughafen München viele Stellen ausgeschrieben, gesucht werden unter anderen etwa 100 neue Kollegen für die Gepäckabfertigung. "Das Entscheidende ist, dass man nicht dann sucht, wenn man Leute braucht, sondern einfach immer sucht, um einem drohenden Mangel zuvorzukommen", sagt Scharpf.

"Man muss den Leuten die Branche wieder schmackhaft machen."

Wer den Kampf um die besten Talente gewinnen will, muss vor allem schnell sein, ist Gastronom Muk Röhrl überzeugt. Der 39-Jährige führt gemeinsam mit seiner Frau die Gaststätte Röhrl, ein Wirtshaus mit Biergarten in der Nähe von Regensburg, in elfter Generation. Den Familienbetrieb gibt es seit 1658, was ihm 2010 einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde bescherte. Trotz des prestigeträchtigen Titels "ältestes Gasthaus der Welt", muss auch Röhrl um jeden Mitarbeiter buhlen. "Am Vatertag habe ich um 16 Uhr eine Bewerbung von einem deutschsprachigen Koch bekommen", erzählt Röhrl. "Um 17 Uhr habe ich ihn angerufen, für zwei Tage später einen Termin zum Probearbeiten vereinbart, und am Montag hat er den Arbeitsvertrag unterschrieben." Röhrl wollte lieber alles festmachen, bevor ihm ein anderer Betrieb zuvorkommt. Er ist selbst gelernter Koch und arbeitet sieben Tage in der Woche - aus Leidenschaft, wie er sagt. "Ich habe einfach eine kindliche Freude daran, wenn ich andere glücklich machen kann mit dem, was ich da tue."

Muk Röhrl ist schon als Kind mit dem Bobbycar durch den Familienbetrieb geflitzt. Er sagt: "Gastronomie ist für mich ein Lebensgefühl." (Foto: privat)

Das Image von Gastronomie, Hotellerie und der gesamten Tourismusindustrie hat in der Corona-Pandemie gelitten. "Man muss den Leuten die Branche wieder schmackhaft machen", sagt Grill von Cocoon. Sie selbst brennt auch nach fast zwei Jahrzehnten noch immer für das Gastgewerbe. "Wo können Sie internationaler arbeiten, wo lernen Sie mehr Menschen kennen als in der Hotellerie? Es ist einfach die beste Schule des Lebens", ist Grill überzeugt. Für Rezeptionistin Angie Thomas ist das "Cocoon"-Hotel sogar mehr als eine Schule, es ist ihr zweites Zuhause geworden. Als sie im Februar auf der Arbeit die Nachricht bekam, dass ihre Mutter gestorben sei, habe sie der Chef persönlich ins Hospiz gefahren und gesagt: "Wir sind jetzt deine Familie."

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