Tourismus-Experte im Interview:"Deutschland wird wiederentdeckt"

Tourismusforscher Harald Pechlaner über den Kampf der Reisebüros gegen das Internet und traditionelle Ferienregionen am Scheideweg.

Michael Kuntz

Professor Harald Pechlaner lehrt Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er ist Leiter des dortigen Zentrums für Entrepreneurship und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft.

Tourismus, Urlaub, Deutschland, Experte Harald Pechlaner; dpa

Strandkörbe in Warnemünde: "Der Urlaub im eigenen Land zählt weiter zum Kerngeschäft. Allerdings haben die Konzerne in den letzten zwei Jahrzehnten die Reisen ins Ausland stark forciert."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Professor Pechlaner, ist der Kurztrip im eigenen Land die Antwort der Deutschen auf die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit?

Pechlaner: So ist es. Im Krisenjahr 2009 gab es ein leichtes Wachstum sowohl beim Inlandstourismus als auch beim Ferientourismus aus dem Ausland nach Deutschland. Der Kurztrip liegt dabei schon seit ein paar Jahren im Trend.

SZ: Kürzer, billiger, gesünder - sind das die neuen Urlaubtrends?

Pechlaner: Nicht allein, denn dazu kommt der Wunsch nach einem sinnvollen Urlaub. Die Menschen suchen Werte jenseits von religiösen Inhalten. Diese neuen Sehnsüchte werden nicht unbedingt bei Kurzreisen zu erreichen sein.

SZ: Wie sind die Aussichten für 2010?

Pechlaner: Eine Million Menschen sind derzeit in Kurzarbeit. Arbeiten sie wieder normal oder werden sie arbeitslos? Das wird ausschlaggebend sein für die Entwicklung des Tourismus im neuen Jahr. Wer Existenzangst hat, der verzichtet auf eine Urlaubsreise.

SZ: Oder er bucht ein Billigziel. Jahrzehntelang waren die Urlaubsrenner Spanien und Mallorca, jetzt geht es vielleicht eher in die Türkei und nach Ägypten?

Pechlaner: Ein Land muss heute mehrere Formen von Tourismus anbieten. Am Beispiel Ägypten sieht man es deutlich. Die klassische Kulturreise boomt eher nicht mehr, weil sie nicht weiterentwickelt wurde, "sea and sand" am Roten Meer dagegen sind sehr gefragt. Auch die Türkei wird verschiedene Reiseformen anbieten müssen. Hier ist der klassische Badeurlaub sicherlich auf die Dauer zu wenig.

SZ: Der Urlauber wird in seinen Wünschen unberechenbarer. Er entscheidet sich kurzfristiger. Das Zimmer mit Meeresblick ein halbes Jahr im voraus buchen - wer will das eigentlich noch?

Pechlaner: Es gibt die Schnäppchenjäger, die kurzfristig unterwegs sind. Andere buchen gern früh. Aber im Moment boomt eindeutig die Last-Minute-Reise. Das ist sicher eine Reaktion auf die von vielen als unsicher empfundenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

SZ: Ist das klassische Geschäftsmodell der Reiseveranstalter mit seinen Rabatten für Frühbucher überholt?

Pechlaner: Reiseveranstalter und Reisebüros sind im Umbruch. Überleben wird nur, wer sich der technologischen Herausforderung durch das Internet erfolgreich stellt. Das führt zu hybriden Anbietern, einer Kombination aus Veranstaltern und Verkäufern.

SZ: Haben die Reiseveranstalter den Deutschlandurlaub vernachlässigt? Hier buchen 80 Prozent der Touristen auf eigene Faust.

Pechlaner: Große Veranstalter machen gute Geschäfte mit Städtereisen in Deutschland. Der Urlaub im eigenen Land zählt weiter zum Kerngeschäft. Allerdings haben die Konzerne in den letzten zwei Jahrzehnten die Reisen ins Ausland stark forciert. Die Unternehmen sind dabei auch selbst immer internationaler geworden. Nun gibt es eine Wiederentdeckung des Urlaubs in Deutschland.

Auf der nächsten Seite: Harald Pechlaner über die Auswirkungen der gesenkten Mehrwertsteuer und die Zukunft der Reisebüros.

"Der Kunde ist reiseerfahren"

SZ: In manchen deutschen Urlaubsgebieten scheint die Zeit vor 30 Jahren stehen geblieben zu sein. Was muss sich ändern?

Harald Pechlaner; oH

Harald Pechlaner ist Tourismusforscher an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

(Foto: Foto: oH)

Pechlaner: Da gibt es einige traditionelle Ferienregionen, die werden entweder die Kurve kratzen oder sie werden aus dem Markt ausscheiden. Mancherorts gibt es schlicht zu wenig Übernachtungsangebote, um ein attraktives Reiseziel sein zu können. Oft werden Hotels oder Pensionen nicht professionell geführt. Oder sie sind zu klein, um sie heute noch wirtschaftlich betreiben zu können. Oder sie haben nicht regelmäßig modernisiert.

SZ: Kann die niedrigere Mehrwertsteuer für Übernachtungen mittelständischen Hoteliers dabei helfen, endlich wieder zu investieren?

Pechlaner: Das ist eine Chance. Gute Unternehmer mit hohem Potenzial werden sie zu nutzen verstehen. Die anderen werden weitermachen, wie bisher.

SZ: Wie lange können sich Reisebüros der Konkurrenz von direkten Buchungen bei Veranstaltern, Fluggesellschaften und Hotels im Internet erwehren?

Pechlaner: Unabhängige Reisebüros haben keine Probleme, wenn sie ein spezialisiertes Angebot und damit tatsächlich eine Dienstleistung bieten, für die der Kunde etwas zu zahlen bereit ist. Eine professionelle Beratung gehört dazu. Je exotischer das Reiseland, um so gefragter ist die Kompetenz des Reisebüros. Das reine Vermitteln von überall erhältlichen Paketen wird wohl künftig zu wenig sein. Das findet dann im Internet statt.

SZ: Die Touristikindustrie selbst betont nicht immer ihre Kompetenz und Qualität, sondern oft das Sonderangebot. Keine Reise ohne Schnäppchenpreise - sind touristische Leistungen zur Billigware verkommen?

Pechlaner: Reisen werden heute über alle möglichen Vertriebssysteme vermarktet. Das führt zu einer stärkeren Industrialisierung des Tourismus-Sektors. Generell ist den Reiseveranstaltern schon klar, dass starke Preissenkungen es schwerer machen, in der Zukunft auch wieder einmal höhere Preise verlangen zu können. Daher bieten sie mehr Leistung fürs gleiche Geld und kommunizieren viel stärker als früher, was der Kunde dafür bekommt: eine Reise, die im wahrsten Sinne des Wortes preiswürdig ist.

SZ: Was heißt preiswürdig? Eine Woche in die Türkei oder nach Ägypten mit Flug und Vollpension für 499 Euro - kann das noch die schönste Zeit des Jahres werden?

Pechlaner: Die schönste Zeit des Jahres definiert sich eben nicht nur über den Preis. Was zählt, ist das Verhältnis von Preis und Leistung. Wenn das Paket keine hohe Qualität verspricht, wäre es wohl etwas zu viel erwartet, auf die schönste Zeit des Jahres zu hoffen. Der Kunde ist heute reiseerfahren. Er hat eine hohe Sensibilität für Preise, aber auch für die Qualität der Leistung. Beides muss stimmig sein. Wer dies als Reiseveranstalter vermitteln kann, der wird zu den Gewinnern zählen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: