Tourismus 2:Eine Chance für die Schöne

Italien überdenkt sein Tourismus­modell. Das Ziel: weniger Masse, mehr Klasse.

Von Ulrike Sauer, Rom

Am Trevi-Brunnen in Rom stellt sich in diesem Sommer das aufregende Dolce-Vita-Gefühl wieder ein. Vor der alten Touristen-Attraktion, die früher hinter einer Wand von Touristen verschwand, kann man sich jetzt ganz unbehelligt zum Selfie vor dem blass-grünblauen Marmorbassin in Pose bringen. Fast so allein wie seiner Zeit Anita Ekberg und Marcello Mastroianni in dem legendären Fellini-Streifen. Ohne die Menschenmassen, die sich das ganze Jahr durch die Altstadt wälzen, sehen junge Römer nun zum ersten Mal die Schönheit ihrer Stadt.

Das Venedig ohne Touristen hat die Agonie der Lagunenstadt schonungslos bloßgelegt. Auf dem überlaufenen Capri, am ligurischen Küstenstreifen Cinque Terre, an den verschandelten Stränden im Süden - überall setzt sich die Erkenntnis durch, dass Italien die Chance nicht vergeuden darf, sein obsoletes Tourismusmodell zu überdenken.

Die dramatische Corona-Krise bietet die Gelegenheit, gegenzusteuern, Fehler zu korrigieren und den Andrang besser zu verteilen. Für viele Menschen in der ganzen Welt ein Urlaubstraum zu sein, habe manche Unternehmer dazu verleitet, sich auf den Lorbeeren auszuruhen, sagt die Tourismus-Lobbyistin Martina Lalli selbstkritisch. "Die Pandemie war eine Ohrfeige, die selbst die faulsten Anbieter aufgeweckt hat", sagt die Verbandschefin. Am dringlichsten findet sie es, auf die Nachhaltigkeit des Tourismus zu achten. "Die Umweltschädigung setzt die Schönheit des Landes aufs Spiel, von der unsere Unternehmen als Erste profitieren", sagt sie. Italien müsse sein touristisches Angebot von Grund auf überdenken. Dazu seien eine nationale Planung und staatliche Eingriffe nötig. Um entlegenere Perlen erreichen zu können, müsse das Verkehrssystem verbessert werden. Bei der Entdeckung wenig bekannter Gegenden könnten digitale Infrastrukturen helfen. "Der Tourismus war schon vor der Pandemie auf eine Reduzierung der Vermassung angewiesen", sagt Matteo Caroli, Dozent für Tourismusmanagement an der Luiss Business School in Rom. Nach der Krise sei nun ein nachhaltiges Geschäftsmodell unverzichtbar.

Regierungschef Giuseppe Conte begegnete der epochalen Krise mit der Ankündigung eines staatlichen Zuschusses in Höhe von 500 Euro für geringverdienende Italiener, die ihren Urlaub in der Heimat verbringen. Die Branche erwartet davon keinen Effekt. "Eine Abgabensenkung bei der Wiederanstellung unserer Saisonkräfte würde der Wirtschaft sehr viel mehr nützen", sagt Lalli.

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