Tom Tailor:Nur nicht langweilig sein

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Der Modehersteller will mit schrillen Inszenierungen aus dem öden Allerlei der Marken ausbrechen.

Von Michael Kläsgen, München

Beim Buhlen um Aufmerksamkeit scheinen sich die Modemarken derzeit überbieten zu wollen. Der Discounter Takko ließ "Deutschlands bekannteste Dragqueen", den Transvestiten mit dem Kunstnamen Olivia Jones antanzen. Fast bürgerlich-konservativ wirkte dagegen der Wettkampf zwischen Lidl und Aldi mit Heidi Klum und Anastacia. Bei den etwas teureren Klamotten griff S.Oliver auf den Boxer Wladimir Klitschko zurück, der Karl Lagerfeld verbal niederstreckte. Tom Tailor findet sich mutig, Naomi Campbell engagiert zu haben. Die Hamburger Modefirma unterscheidet sich von anderen darin, die Kollektion des früheren Supermodels nur als Teil einer Gesamtstrategie zu sehen, die darauf abzielt, die Marke frecher und peppiger zu inszenieren.

Effekthascherei mit nackten, ganzkörperbemalten "Promo-Mädels"

Dazu gehört auch, auf der Fashion Week in Berlin mit nackten, ganzkörperbemalten "Promo-Mädels" zu werben. Bisher sprach Tom Tailor sein gutbürgerliches Klientel um die 40 eher diskret an. In der Heimatstadt Hamburg provoziert die Modefirma jetzt immer wieder mit Guerilla-Werbung. Mal laufen Werbeträger in großen transparenten Ballonen über die Binnenalster. Mal plakatiert die Modefirma unerlaubt im Schanzenviertel, wenn auch auf dafür vorgesehenen Flächen. "Die Art der Werbung wurde wohl vor allem gewählt, um aufzufallen und sich aus dem Einheitsbrei der Werbung abzuheben", sagt Florian Stahl, Marketingexperte von der Universität Mannheim. Firmenchef Heiko Schäfer bestätigt das: "Wir nehmen es durchaus in Kauf, auch mal einen Verweis zu bekommen oder Stirnrunzeln zu ernten. Wichtig ist die Diskussion über uns", sagt er.

Dahinter steckt eine klare, wenn auch etwas verzweifelte Strategie. Zehn Monate lang hat Tom Tailor Kunden befragt. 80 bis 90 Prozent kennen die Marke, so das Resümee, aber sie kaufen dort nicht unbedingt für den Kleiderschrank daheim ein. Schäfer, der seinen Job erst vor etwa einem Jahr antrat, konstatiert daher nüchtern: "Die Marke ist positiv belegt, war aber zu wenig differenziert. Es fehlt die emotionale Aufladung." Das Grundproblem nicht nur für Tom Tailor: Ottonormalverbraucher erkennt kaum einen Unterschied zwischen der einen oder der anderen Marke. Erst recht nicht, wenn sie sich im gleichen Preisumfeld tummeln wie Esprit, S.Oliver oder Gerry Weber. All diesen Marken ist das Elend gemein. Seit Jahren kämpfen sie um jeden Euro Umsatz. Viele Konkurrenten schieden pleite aus dem Kampf aus. Bemerkenswert daher, dass nicht viel aggressiver um Kunden geworben wird. Im Gegenteil: Von internationalen Ketten wie H&M einmal abgesehen, sind die Budgets für die Markenpflege vielmehr vergleichsweise klein und das Marketing brav. In Zeiten von Instagram, Snapchat, Pinterest und Co. dringen sie damit kaum mehr bis zum Käufer durch. Tom Tailor will das ändern, nicht mit einer Einmal-Aktion, sondern auf Dauer. "Wir wollen etwas lauter werden, auch mal provozieren und polarisieren und durch freche Sprüche auffallen, ohne unsere Bestandskunden zu verlieren", sagt Schäfer. Gleichzeitig experimentiert Tom Tailor erstmals mit Abendkleidern. Die Marke will sich mit einer grundsätzlich positiven Grundhaltung in Szene setzen.

Das soll auch eine Reaktion auf die politische Großwetterlage sein, die von Trump, Brexit und Terror dominiert werde, wie Schäfer meint. "Jeden Tag hagelt etwas Negatives auf uns ein", sagt er. "Die Menschen möchten aber ein stabiles soziales Umfeld. Deswegen positionieren wir unsere Marke über eine positive Grundhaltung und Happiness." Der Friede-Freude-Eicherkuchen-Faktor soll der Marke ein Alleinstellungsmerkmal geben und sie erkennbar machen, im Idealfall, ohne dass das Logo irgendwo auftaucht.

Die Marketingstrategie ist Teil zwei einer Runderneuerung des Unternehmens. Die Tom Tailor Group hat harte Jahre hinter sich. Finanzchef Thomas Dressendörfer spricht von einer "überzogenen Expansion in Stores, Länder und Submarken", die in einer ebenso krassen Überschuldung endete. Und nicht nur dort: Tom Tailor entließ Mitarbeiter, besetzte den Aufsichtsrat um, wechselte das Management, schloss mehr als 300 Läden. Damit nicht genug: Sie zog sich aus den unprofitablen Märkten wie USA, Südafrika und auch China zurück, obwohl im Jahr 2012 mit Fosun ein chinesischer Investor eingestiegen war, um die Marke in China groß herauszubringen.

Harte Einschnitte: Unrentable Marken wurden eingestampft

Die Gruppe stellte die erfolglosen Marken Bonita Men, TT Polo und Contemp Men und Women ein. Sie durchforstete die 250 Lieferanten in der Welt und verabschiedete sich von knapp der Hälfte von ihnen. Sie lässt heute vor allem in Bangladesch, Indien, China, Indonesien und der Türkei produzieren. Im Juni spielte eine Kapitalerhöhung rund 60 Millionen Euro ein. Das Management nannte das Restrukturierungsprogramm Reset, so wie den Knopf, den man drückt, um neu zu starten. Das Resultat: Die Verschuldung sinkt; der Umsatz geht zwar leicht zurück, aber erstmals nach verlustreichen Jahren schrieb die Gruppe im ersten Halbjahr 2017 wieder schwarze Zahlen.

Mit dem Thema Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen will Tom Tailor nicht in der Öffentlichkeit werben. Zwar soll ein bestimmter Teil der Produktion künftig verstärkt in die Türkei, nach Marokko, Rumänien oder Bulgarien verlagert werden. Das hat aber nichts damit zu tun, sich von Bangladesch abzuwenden. Tom Tailor kopiert Trends vor allem. Je näher der Produktionsstandort, um so schneller können die Hamburger auf Trends reagieren, wenn sie mal einen verpennt haben.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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