Tönnies und Corona:"Ein Staat im Staat"

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Die Arbeitsbedingungen in vielen Fleischbetrieben sind ein Problem, nun leiden Arbeiter auch noch unter wachsendem Rassismus. Zwei Ex-Tönnies-Mitarbeiter berichten.

Von Lina Verschwele

Nach wenigen Minuten ploppt die erste Whatsapp-Nachricht auf, sie kommt von einem Mann, der hier Marius Popescu* heißen soll. Die SZ hat in einer Facebook-Gruppe für Rumänen in Nordrhein-Westfalen nachgefragt, wer über die Arbeit in der Fleischindustrie sprechen will. Seit 2015 hat Popescu für die Firma Tönnies gearbeitet, bis er vor rund drei Wochen in Quarantäne musste. Auf das Fleischunternehmen blicken nun viele im Land, weil sich mehr als 1000 Mitarbeiter mit Covid-19 infiziert haben.

Popescu spricht ruhig und abgeklärt. Es sei ja nicht alles an der Branche schlecht, sagt er. Vieles, was er berichtet, erklärt allerdings, warum kaum jemand in Schlachtfabriken arbeiten will.

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Für Tönnies hat Popescu erst Fleisch verpackt, später selbst geschnitten. Er berichtet von 200 Stunden Arbeit im Monat und Unterkünften, in denen sich vor der Pandemie drei bis sieben Personen ein Zimmer teilten. Beides scheint ihn nicht zu schockieren. "Natürlich ist die Arbeit hart." Früher war Popescu Soldat, das sei leichter gewesen. Er habe vielleicht ein Zehntel so schwer gearbeitet wie bei Tönnies. Anfangs habe er geglaubt, die Arbeit nicht zu schaffen - das industrielle Schlachten erschien ihm zu brutal. Mittlerweile sieht er seinen Job bei Tönnies als Rampe. Über die Arbeit dort will er in Deutschland einen besseren Job in einer anderen Branche finden.

Wirklich verwundert klingt Popescu nur bei einem Thema. Schon vor rund sechs Wochen seien er und seine Frau auf Corona getestet worden. Danach seien sie weiter zur Arbeit gegangen. Erst zwei Wochen später hätte ihnen jemand die Ergebnisse mitgeteilt: Popescus Frau war positiv. Warum die Auswertung so lange dauerte, kann er nicht verstehen. Auch nicht, dass es danach keine weiteren Tests gegeben habe, und auch keine Informationen. Am nächsten Tag seien er, seine Frau und die gesamte Schicht in Quarantäne geschickt worden. Seitdem habe sich niemand mehr bei ihm gemeldet. Auch andere Arbeiter sagen der SZ und der Beratungsstelle Faire Mobilität, dass es schon seit Längerem einzelne Corona-Fälle bei Tönnies gegeben habe.

"Wer sich beschwerte, wurde schnell nicht mehr gebraucht."

Nach Marius Popescu melden sich weitere Arbeiter bei der SZ, die meisten sind aufgebracht. Andrei Amariei* schreibt, er wolle Menschen warnen - vor der Ausbeutung auf Schlachthöfen wie dem von Tönnies. Amariei ist aus dem Geschäft ausgestiegen. Von 2015 bis 2019 hat er in Deutschland Fleisch verpackt, die meiste Zeit bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Er lebt wieder in Rumänien und ist froh darüber, erzählt er in einem Facetime-Anruf. Die Liste seiner Vorwürfe an Tönnies ist lang. Zu Beginn habe er sieben Wochen ohne freien Tag gearbeitet - und das immer nachts, weil er dringend Geld brauchte. Aber auch andere Arbeiter hätten oft nur einen freien Tag in drei Wochen bekommen. Häufig habe sein Arbeitgeber, wie bei Marius Popescu ein zwischengeschaltetes Subunternehmen, den Lohn manipuliert. Als Amariei die Firmenunterkunft verließ, sei trotzdem weiter Miete abgezogen worden. Wenn sie den Arbeitsplatz putzten, habe das nicht als Arbeitszeit gegolten. Amariei berichtet außerdem von 'Fehlern' in den Lohnabrechnungen, die immer zugunsten des Arbeitgebers ausfielen. Regelmäßig hätten Stunden gefehlt, obwohl die Arbeitszeit doch per Finger-Scan beim Einchecken erfasst werde. "Wer sich beschwerte, wurde schnell nicht mehr gebraucht", sagt Amariei. Auf Nachfragen lächelt er verlegen, als wäre er selbst überrascht, in so ein System geraten zu sein. Er nennt Tönnies einen "Staat im Staat". Selbst Kanzlerin Merkel komme da nicht rein, wenn niemand sie hineinlasse. Eigentlich dürfe er nichts über seine Arbeitsbedingungen bei Tönnies berichten, das stehe im Arbeitsvertrag mit seinem Subunternehmer.

Auf Anfragen der SZ reagierte Tönnies bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht.

Die Schilderungen von Popescu und Amariei decken sich mit anderen Informationen, etwa denen von Szabolcs Sepsi. Seit 2013 berät der Leiter des Projekts "Faire Mobilität" in Dortmund Arbeiter zu ihren Rechten.

Sepsi erklärt, wie die Fleischbranche vor rund 30 Jahren industrialisiert und liberalisiert wurde. "Es gibt einen harten Preiskampf durch konkurrierende Subunternehmen." Die Fleischindustrie habe das System der Werkverträge auf die Spitze getrieben. Viele Arbeiter könnten jederzeit versetzt werden. Nach seinen Schätzungen kommen von rund 7000 Tönnies-Mitarbeitern in Quarantäne etwa 3500 von Fremdfirmen, etwa 2000 sind Rumänen. Ohne das verworrene System der Subunternehmen hätte Tönnies die Wohnorte der Arbeiter einfacher ausmachen können, sagt Sepsi.

Zwar sei in den vergangenen Jahren in den Unterkünften manches besser geworden. Früher habe er dort Schimmel, Kakerlaken und offene Elektroleitungen gefunden. Wie Popescu erzählt auch Sepsi, dass die Arbeit im Schlachthof für manche Arbeiter ein Sprungbrett bietet, um andere Jobs in Deutschland zu finden. Aber er sagt auch: "Nach wie vor sind die Bedingungen in den Unterkünften sehr beengt." Da in vielen Fleischbetrieben rund um die Uhr gearbeitet werde, gebe es in den Unterkünften oft Schlangen vor den Bädern, und kaum einmal Ruhe. Das könne auch Konflikte mit der Nachbarschaft befeuern: "Wenn nachts der Bulli kommt, um Arbeiter abzuholen und laut hupt, glaube ich schon, dass das nervt." Sepsi bestätigt, dass Trickserei beim Lohn in der Branche System hat. Die meisten Arbeiter verdienten offiziell den Mindestlohn, müssten aber mehr als vereinbart arbeiten. Im Lauf der Zeit entwickelten manche chronische Schmerzen und würden teilweise von den Subunternehmen 'aussortiert'.

Besonders empört seien die Betroffenen in Quarantäne jetzt über die Behauptung, sie seien am langen Wochenende verreist und hätten so bei ihrer Rückkehr das Virus eingeschleppt. De facto hätten viele gearbeitet: "Es gab kein langes Wochenende für die Fleischindustrie", sagt Sepsi. "Die Aussage ist einfach falsch und sie schürt Rassismus."

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Schon jetzt gebe es mehr Ausgrenzung: Menschen berichteten ihm, dass Arztpraxen keine Tönnies-Mitarbeiter mehr hinein ließen. Supermärkte sollen Menschen abgewiesen haben, die sie für Rumänen hielten. "Auch in Cosfeld war das schon so", sagt Sepsi.

Für Andrei Amariei ist das keine große Überraschung. Er sagt: "Rumänen standen immer schon am untersten Ende der sozialen Leiter, auch Polen und Türken schauen auf uns herab." Er berichtet von einer rumänischen Bekannten, der es als Verkäuferin in einem Supermarkt verboten gewesen sei, mit rumänischen Kunden Rumänisch zu sprechen. Er erinnert sich einerseits an nette Nachbarn - und andererseits an solche, die jede Gelegenheit nutzten, sich über Rumänen zu beschweren. "Und sei es, dass ein Auto nicht ganz gerade geparkt war." Auch über die Äußerungen von Ministerpräsident Armin Laschet ärgert sich Amariei. Am Mittwoch war Laschet gefragt worden, was der Corona-Ausbruch bei Tönnies über die bisherigen Lockerungen aussage. Laschet hatte geantwortet: "Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt." Im Folgenden hatte Laschet zwar die Unterbringungen als Ursache erwähnt, musste aber nach heftiger Kritik klarstellen: "Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich."

Amariei sagt dagegen, Tönnies wie Laschet hätten die Schuld auf diejenigen abschieben wollen, die sich am leichtesten ersetzen ließen: "Sie werden immer jemanden finden, der für wenig Geld hart arbeitet. Die Menschen, die ihnen das Geld in die Tasche stecken, haben sie jetzt auch noch beschuldigt. Das hat doch keinen Anstand."

* Die Namen der Mitarbeitenden wurden von der Redaktion geändert.

Übersetzung von Liviu Bărbulescu

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