Mögliche Tiktok-Übernahme:Gewaltiger Rückschritt für Social-Media-Nutzer

Mögliche Tiktok-Übernahme: Jugendliche tanzen vor der Handykamera.

Jugendliche tanzen vor der Handykamera.

(Foto: Noah Seelam/AFP)

Eine globale Jugendkultur ist über Tiktok entstanden. Doch durch Trumps Verbotsfantasien und Microsofts Übernahmeszenarien droht das Internet weiter in Einzelteile zu zersplittern.

Kommentar von Valentin Dornis

Tiktok hat es gewagt, die US-Dominanz bei den sozialen Netzwerken infrage zu stellen. Die Plattform für Kurzvideos, deren Ursprung in China liegt, ist in den vergangenen Jahren so schnell gewachsen wie kein anderes soziales Netzwerk der Welt. Die meist jugendlichen Nutzer haben mit ihren Tänzen, Challenges und Musikvideos einen eigenen Stil entwickelt, der weltweit funktioniert und zu einer Art Code für die "Generation Tiktok" geworden ist. Doch nun kämpfen die Großmächte um die Zukunft dieses Werkzeugs globaler Jugendkultur. Um die Interessen der Nutzer geht es dabei allerdings weniger, eher um politische Macht und viel Geld für Konzerne.

Seit US-Präsident Donald Trump vergangene Woche angekündigt hatte, Tiktok wegen des angeblichen Einflusses der chinesischen Regierung auf die App in den USA verbieten zu wollen, ging es plötzlich ganz schnell: Microsoft bestätigte, Interesse an einer Übernahme von Tiktok in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland zu haben. Auch einige US-Investmentgesellschaften sollen interessiert sein, bis zum 15. September soll das Geschäft verhandelt sein. Trump behauptet zwar, mit dem angedrohten Verbot hauptsächlich außenpolitische Ziele zu verfolgen, China damit also unter Druck setzen zu wollen. Doch wenn das wirtschaftspolitisch den Nebeneffekt hätte, die Dominanz der USA in der globalen Social-Media-Industrie nochmals zu vergrößern, käme ihm das im laufenden Präsidentschaftswahlkampf sicher auch gelegen.

Tiktok ist das erste global erfolgreiche soziale Netzwerk, dessen Wurzeln in einem autoritären Staat liegen. Kritiker warnen deshalb seit Jahren vor möglicher politischer Einflussnahme durch die Regierung in Peking. Auch fürchten sie, was mit den gesammelten Daten der Nutzer passiert. Tiktok beteuert, Server außerhalb Chinas zu betreiben und sensible Daten aus anderen Staaten nur dort zu speichern. Doch klar ist: Vor allem viele Datenschutzbedenken wären mit einer Microsoft-Übernahme keineswegs erledigt. Die US-Internetkonzerne haben eine unrühmliche Geschichte diverser Skandale, auch Microsoft war immer wieder wegen versteckter Datensammelei in der Kritik.

Die Frage ist auch, was Microsoft aus Tiktok machen würde: Das Unternehmen hat schon viele teure Versuche hinter sich, den anderen großen Tech-Firmen in ihren Spezialgebieten Konkurrenz zu machen. Aber wenn jemand heute die Suchmaschine Bing benutzt, dann höchstens versehentlich. Die Windows-Phones, eigene Smartphone-Modelle mit Windows-Betriebssystem, haben trotz Milliardeninvestitionen nie eine wichtige Rolle gespielt. Es gibt aber auch positive Beispiele, im Cloud-Geschäft kann Microsoft mit der Konkurrenz durchaus mithalten.

Nun also Social Media - eine Branche, die weltweit von Facebook dominiert wird. Durch die Zukäufe von Instagram und Whatsapp ist der Facebook-Konzern stark gewachsen, neue Funktionen haben Konkurrenten wie Snapchat kleingehalten. Microsoft probiert es ähnlich und kaufte ebenfalls zu, zuletzt das Karriere-Netzwerk Linkedin für 26 Milliarden Dollar. Mit der Übernahme von Tiktok in einigen Teilen der Welt würde der Konzern den nächsten Schritt machen, aber auch eine große Wette eingehen. Einerseits politisch, weil der Konzern damit auch den Willen der US-Regierung umsetzt und sich künftig für diese Nähe zu den Herrschenden wird rechtfertigen müssen. Andererseits finanziell: Analysten schätzen den Wert von Tiktok auf einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag. Facebook bezahlte vor einigen Jahren für den Chat-Dienst Whatsapp 17 Milliarden Dollar, verdient aber bis heute kaum Geld damit.

Tiktok ist das erste global erfolgreiche soziale Netzwerk aus einem autoritären Staat

Microsoft hätte dagegen nun einen Vorteil: Tiktok hat allein in den USA angeblich schon 100 Millionen Nutzer, die sehr jung und besonders empfänglich für Werbebotschaften sind. Es gibt bereits funktionierende Modelle, Anzeigen in die App zu integrieren. Microsoft könnte nach der Investition also schnell mit Einnahmen rechnen.

Eine wichtige, weil global-kulturell bedeutsame Frage ist allerdings, wie Tiktok künftig funktionieren soll, wenn das Netzwerk in verschiedenen Regionen der Welt zu unterschiedlichen Konzernen gehört. Einige fürchten, dass die Welt sich weiter in Richtung eines "Splinternets" bewegt: Das Internet zersplittert in viele Teilbereiche, die völlig unterschiedlich aussehen könnten. Ein Ziel, das auch China verfolgt. Statt globaler Dienste gibt es regionale, voneinander abgekoppelte Angebote, in denen jeweils wenige Konzerne mit unterschiedlicher Nähe zur Politik dominieren. Davon profitieren die Unternehmen; für die Nutzer sozialer Medien aber wäre das ein gewaltiger Rückschritt.

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