Süddeutsche Zeitung

Tierhaltung:Schluss mit dem freiwilligen Kuscheltierwohl

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Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner setzt immer wieder auf Freiwilligkeit. Sie muss endlich erkennen, dass das nicht viel bringt - und sich mit der Agrarindustrie anlegen.

Kommentar von Jan Heidtmann

Die Fabelwelt der Julia Klöckner, sie sieht ungefähr so aus: Dass Schweinen die Ringelschwänze abgeschnitten werden, dass sie auf engstem Raum eingepfercht, dass diese Tiere wie der letzte Dreck behandelt werden - die Agrarindustrie will das ja eigentlich gar nicht. Deshalb arbeitet die Bundeslandwirtschaftsministerin von der CDU seit geraumer Zeit an einem Tierwohllabel, das vor allem eines ist: freiwillig. Die Unternehmen wissen in Klöckners Welt offenbar am besten, was zu tun ist. Der Koalitionspartner SPD hat sich inzwischen vom Kuscheltierwohl Klöckners distanziert, jetzt fordert sogar die CSU verbindliche Vorgaben. Denn die Freiwilligkeit ist eine der Schimären der Politik.

Sie ist wie weiße Salbe - Freiwilligkeit täuscht Handeln vor, auch wenn nichts passiert. Sie tut keinem weh und ist deshalb ein bequemes politisches Instrument. Dafür ändert sich unter dem Gebot der Freiwilligkeit auch nur sehr selten etwas - besonders, wenn die Industrie gebeten wird. Das heißt dann "freiwillige Vereinbarungen".

Im Fall der Automobilkonzerne reichen solche Versuche zurück bis zur Einführung des Katalysators in den 1980er-Jahren. Erst als diese steuerlich massiv gefördert und dann auch vorgeschrieben wurden, setzten sie sich durch. Ähnlich verlief es mit der Verringerung des CO₂-Ausstoßes: Als alle Appelle an die Autohersteller nichts mehr nützten, musste die EU Strafen verhängen. Bei den Plastiktüten, für die Geschäfte in Eigenregie seit einigen Jahren Geld verlangen, ist der Verbrauch tatsächlich zurückgegangen. Viel geändert hat sich jedoch nicht. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fordert deshalb, Einwegplastiktüten sofort zu verbieten. "Was Ruanda, Kenia und Uganda können, müssen wir auch schaffen."

Freiwilligkeit ist das, was man einen "netten Versuch" nennt. Wenn es aber drängt, ist sie untauglich. Deshalb war es gut, dass das Europaparlament im März mit klarem Votum für das Verbot von einigen Einwegprodukten aus Plastik gestimmt hat. Unterzeichnen jetzt noch die Mitgliedsstaaten die Vorschrift, sind ab 2021 Strohhalme, Plastikgeschirr oder Wattestäbchen verboten.

Die Eier-Kennzeichnung könnte ein gutes Vorbild sein

Die Probleme in der Landwirtschaft, sie sind nicht weniger drängend als die in den Weltmeeren. Aber Julia Klöckner hat die Freiwilligkeit zum Prinzip erhoben - entsprechend mager sieht ihre Bilanz als Agrarministerin aus. Im Fall des Tierwohls führt ihr Agieren statt zu Orientierung zu Desorientierung: Mehrere Tierschutzlabels konkurrieren miteinander, was welches genau aussagt, ist für die Kunden kaum zu entziffern. Zudem bleiben die Anforderungen der von Klöckner geplanten Kennzeichnung teils hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück. Vielleicht ist es das, was die Lebensmittelwirtschaft meinte, als sie Klöckner lobte: Sie habe sich "von Beginn an als faire und konstruktive Taktgeberin gezeigt".

Dass es auch anders geht, hat eine andere Landwirtschaftsministerin bewiesen. Gegen den Widerstand der Wirtschaft und einiger EU-Länder setzte die Grünen-Politikerin Renate Künast Anfang der Nullerjahre durch, dass Eier nach ihren Produktionsbedingungen klassifiziert werden müssen. Die Kennzeichnung war ein Erfolg und könnte ein gutes Vorbild für die Fleischwirtschaft sein. Aber dafür müsste sich Klöckner mit der Agrarindustrie anlegen. Ein kleines bisschen wenigstens.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2019
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