Süddeutsche Zeitung

Fleischindustrie:Das sind die Pläne für ein staatliches Tierwohllabel

Lesezeit: 3 min

Mehr Platz, kürzere Transportzeiten: Die Regierung will das Leben von Schlachtvieh verbessern. Zunächst soll es nur für Schweine gelten.

Von Markus Balser, Berlin

Wie Schweine gelebt haben, deren Fleisch in der Kühltheke liegt? Verbraucher können das bis heute nur selten erkennen. Zwar wüssten aktuellen Umfragen zufolge fast 80 Prozent der Deutschen gerne, ob Lebensmittel aus tierfreundlicher Haltung kommen. Doch das wichtigste Unterscheidungsmerkmal beim Fleisch ist oft der Preis.

Selbst die bestehenden Labels von Supermarktketten machen es den Käufern schwer: Sie sind kaum vergleichbar. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will das mit einem staatlichen Tierwohllabel ändern. Die Pläne, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, sehen mehr Platz und ein Verbot umstrittener Praktiken vor. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was wird sich für Tiere wirklich ändern?

Geplant ist, ein dreistufiges Kennzeichen einzuführen. Von der Einstiegsstufe (nur etwas bessere Bedingungen) bis zur Premiumstufe (deutliche Verbesserungen) sollen alle über den gesetzlichen Mindeststandards liegen und das Leben von Tieren von der Geburt bis zur Schlachtung positiv verändern. Die Bundesregierung nennt hierzu 14 Kriterien für Futter, Platz in Ställen, Tiergesundheit, Transport oder Schlachtung. So sollen Schweine in der Regel in der Stufe eins 27 Prozent, in Stufe zwei 47 Prozent und in Stufe drei 100 Prozent mehr Platz bekommen. Die schmerzhafte Prozedur der betäubungslosen Kastration wird für alle Stufen untersagt, auch das umstrittene Kupieren von Schwänzen wird stark eingeschränkt und nur in Ausnahmefällen in der niedrigsten Stufe erlaubt. Die Transportdauer soll bei höchstens acht Stunden liegen. Videoaufnahmen sollen bei großen Schlachtzahlen belegen, dass die Tiere keine Lebenszeichen mehr erkennen lassen - der Schlachtvorgang also nicht zu schnell durchgeführt wird.

Welches Fleisch wird etikettiert? Und ab wann liegt es im Supermarkt?

Das Label soll zunächst nur für Schweinefleisch gelten, die Fleischsorte, die Deutsche am häufigsten essen. Etwa 36 der 60 Kilogramm Fleisch, die hierzulande im Durchschnitt jährlich verzehrt werden, sind Schweinefleisch. Labels für Geflügel und Rinder sollen folgen. Kaufen können Kunden das Fleisch frühestens 2020. Die Bundesregierung will bis Ende 2019 ein Gesetz erlassen, dann muss der Handel die Vorgaben umsetzen. Am Dienstag fand in Berlin ein achtstündiges Spitzentreffen von Experten des Ministeriums mit Landwirtschafts-, Handels- und Fleischverbänden statt. Dabei wurden die von Klöckner vorgeschlagenen Kriterien beraten. Änderungen seien noch möglich. Die Ergebnisse könnten in den nächsten Wochen vorgestellt werden, hieß es.

Warum kommt das Label nur freiwillig und nicht verpflichtend?

Neben Kunden favorisieren auch Bauern und Handel eigentlich ein verpflichtendes Kennzeichnungssystem wie bei Eiern. Das allerdings wäre nur möglich, wenn es in ganz Europa eingeführt wird. Aus den Verhandlungskreisen heißt es, das dauere schlicht zu lange. An einen Start sei wegen eines drohenden Widerstands mancher Länder dann erst in vielen Jahren zu denken. Man hoffe, dass in Deutschland 20 bis 30 Prozent des Marktes mit dem neuen Siegel gekennzeichnet werden. Die Bundesregierung plant eine millionenschwere Werbekampagne.

Wer zahlt für die besseren Bedingungen - und wie werden sie kontrolliert?

Die Kosten für weniger Tiere im Stall und Verbesserungen bei Futter, Transport und Schlachtung soll der Kunde über höhere Preise zahlen. Experten rechnen damit, dass Fleisch der Tierwohl-Einstiegsstufe 20 Prozent mehr kostet. Fleisch der Premium-Stufe müsste demnach noch teurer werden. Möglicherweise wird der Start in das neue System aber auch mit öffentlichem Geld gefördert. Die Kontrolle sollen private Prüfer übernehmen, die teilnehmende Betriebe ein bis zweimal pro Jahr kontrollieren.

Wie unterscheidet sich das staatliche Siegel von den bereits eingeführten privaten Kennzeichen?

Ob Aldi, Lidl, Netto, Penny oder Rewe: Viele große Supermarktketten haben längst ein eigenes System entwickelt, mit dem sie Teile ihres Frischfleischs kennzeichnen. Das bekannteste Label ist das der Initiative Tierwohl (ITW). Alle bisherigen Kennzeichnungen betreffen nur die Haltung der Tiere, nicht aber Transport oder Schlachtung. Die Brancheninitiative Tierwohl hat die Regierung nun zu einer engen Zusammenarbeit aufgefordert. "Die staatliche Tierwohlkennzeichnung solle nicht als Konkurrenz für etablierte Tierwohlprogramme wie zum Beispiel ITW, Neuland oder auch Bio angesehen werden", sagte ein Sprecher. Der Staat könne die Programme mit der Umsetzung der geplanten Kennzeichnung beauftragen. Ziel sei ein "glaubwürdiges staatliches Kennzeichen", das für ländliche Betriebe praktikabel sei und "auf das sich die Verbraucher verlassen können", sagte Agrar-Staatssekretär Hermann Onko Aeikens.

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Quelle:
SZ vom 09.01.2019
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