Der Präsident war deutlich, seine Enttäuschung ist in jede Zeile gemeißelt. Eine "Scheinlösung" werde da proklamiert, die "einer wissenschaftlichen Bewertung nicht standhält". Das Ganze empfinde er als "sehr bedrückend". Der fünfseitige Brief endet mit den Worten: "Sehr geehrter Herr Müller, ich hoffe, dass ich sie nachdenklich stimmen konnte." So schrieb es Folkhard Isermeyer, der Präsident des bundeseigenen Thünen-Instituts Mitte Februar an Deutschlands obersten Verbraucherschützer Klaus Müller. Doch das Schreiben verpuffte.
Das Thünen-Institut ist Deutschlands Denkfabrik für die Ökonomie der Landwirtschaft. Wie mehr als zwei Dutzend andere Experten aus Wissenschaft, Politik, Praxis und Interessenverbänden saß auch Isermeyer in einer Kommission, die sich über eine bessere Tierhaltung in Deutschland Gedanken machen sollte. Auch Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), war Mitglied - bis er kurz vor Schluss ausstieg. Das gemeinsame Ergebnis wollte er nicht mittragen.
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Das alles war vor dem Corona-Ausbruch in Deutschland, er überlagerte anschließend alle Diskussionen. Doch spätestens seit den Vorkommnissen in der Schlachtfabrik Tönnies werden die Kernfragen der Kommission wieder heiß diskutiert: Wie kommt man heraus aus der Effizienzfalle, in der Tiere nur noch Produkte sind, die möglichst billig hergestellt, transportiert und geschlachtet werden sollen?
Unter dem Vorsitz des einstigen Landwirtschaftsministers Jochen Borchert hatte die Kommission dafür Empfehlungen ausgearbeitet. Sie prüfte verschiedene Varianten, entschied sich aber schließlich für eine Abgabe auf tierische Produkte als "bestgeeignete Lösung". Zwei Cent Aufschlag auf den Liter Milch, vier Cent je 100 Gramm Wurst und Fleischprodukte. Aus dem Aufkommen dieser "Tierwohlabgabe" sollten dann schrittweise bessere Ställe finanziert werden. Bauern, die ihren Tieren mehr Platz und Auslauf bieten, sollten so verlässliche Hilfe bekommen. Denn ein Stallumbau ist teuer und amortisiert sich erst nach vielen Jahren. Viele Tierhalter schrecken davor zurück.
Eine Abgabe wäre also eigentlich eine charmante Lösung, weil sie zugleich das oft verramschte Fleisch etwas verteuert. "Sie sollte sozialpolitisch flankiert werden", schrieb die Kommission noch. Schließlich trifft so eine Abgabe die sozial Schwachen überproportional stark. Am Ende stand ein breites Bündnis hinter den Vorschlägen, vom Bauernverband über die bäuerliche Landwirtschaft bis hin zum Umweltverband BUND. Nicht aber die Verbraucherzentralen.
"Nur weil Steuern steigen, geht es keinem Tier besser", kritisiert der Verbraucherschützer
Vorigen Samstag stellte sich auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hinter die Tierwohlabgabe. "Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen", sagte sie. "Fleisch ist zu billig." An diesem Freitag will die Ministerin mit Branchenvertretern und Verbraucherschützern über über Konsequenzen beraten. Müller reagierte schnell auf Klöckners Aussagen: Höhere Preise garantierten nicht, dass es den Tieren besser gehe, die Qualität des Fleisches steige oder die Bedingungen in Schlachthöfen besser würden, ließ er wissen. Steht am Ende das Wohl der Verbraucher über dem der Tiere?
Müller selbst weist das zurück. Natürlich sei auch er für artgerechte Haltung. "Aber wir können nicht alles über Steuern regeln, was gesellschaftlich zu Recht gewollt wird", sagt er. "Nur weil Steuern steigen, geht es keinem Tier besser." Sein Vorschlag: Eine Umschichtung im milliardenschweren Agrarhaushalt, um daraus bessere Ställe zu finanzieren - und das flankiert von einem verpflichtenden Tierwohllabel. Dann wüssten Verbraucher, was sie für mehr Geld an zusätzlichem Tierwohl erhielten, und könnten dann entscheiden. Es gehöre eben zur Wahrheit, dass Fleisch durch höhere Tierschutzstandards teurer werde, sagt Müller. Bei einer Umfrage des ZDF-Politbarometers, die am Freitag veröffentlicht wurde, sprachen sich 92 Prozent der Befragten für strengere Gesetze für die Fleischindustrie aus, auch wenn Fleisch dadurch teurer würde.
Ein verpflichtendes Label wollte die Borchert-Kommission auch. Ihr Zeitplan ist ehrgeizig, mit einer ersten "Finanzierungsstrategie" noch in diesem Jahr. Peu à peu sollen fortan die Bedingungen besser werden, über 20 Jahre gestreckt. Ein Entschließungsantrag, mit dem sich die Fraktionen von Union und SPD hinter die Ergebnisse der Kommission stellen wollen, soll nächste Woche den Bundestag passieren. Klöckner würde damit aufgefordert, die nächsten Schritte einzuleiten. Der Widerstand der Verbraucherschützer dürfte weiterhin bleiben.
Er fände es ja zumindest ehrlich und respektabel, sollte der VZBV sich auf "eine Positionierung 'billige Lebensmittel sind uns wichtiger als mehr Tierwohl' " festlegen, schrieb Thünen-Präsident Isermeyer an Müller - auch wenn das vielleicht nicht der Mehrheitsmeinung entspreche. "Eine Positionierung 'deutlich mehr Tierwohl, aber bitte umsonst' kann ich hingegen nicht akzeptieren."