Tierschutz:Der lange Weg zum Label

Statt sein staatliches Tierwohl-Siegel vorzustellen, präsentiert Agrarminister Schmidt wieder nur grobe Absichten. Die Anforderungen an die Landwirte bleiben unklar.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Das Einzige, was fertig geworden ist, ist die Deko. Während die Handwerker auf dem Berliner Messegelände vor der Eröffnung der Agrarmesse Grüne Woche noch an allen Ständen schrauben, stehen in der Halle 23 die Aufsteller bereit. Hier will der Bundeslandwirtschaftsminister der Presse seine Errungenschaften präsentieren. Christian Schmidt (CSU) reißt eine Papierfahne von einer Leinwand, streckt die rechte Hand aus und lächelt freundlich. Zu sehen ist ein staatliches Tierschutzlabel, ein Emblem für "Mehr Tierwohl", mit Deutschlandfahne und Sternchen. Blitzlichtgewitter.

Bloß wo dieses neue Etikett nun kleben soll und was Landwirte tun müssen, um mit ihm werben zu dürfen, das ist an diesem Donnerstag noch völlig unklar. Die Spitzenverbände des deutschen Lebensmittelhandels, der Fleischindustrie und des Tier- und Verbraucherschutzes haben sich mit dem Ministerium in einem Konsenspapier darauf geeinigt, dass sie "den Weg" zu einem Tierschutzlabel unterstützen wollen - mehr nicht.

"Angestrebt wird ein mehrstufiges Label", steht in dem Papier, bei dem Anforderungen "an alle Schritte der Tierhaltung, von der Erzeugung, der Aufzucht über die Mast, den Transport bis zur Schlachtung definiert werden". Genaueres wolle er nun bis "rund herum Ostern in den Grundstrukturen" entwickeln, sagt Schmidt. Von einem fertigen Gesetz kann dann aber noch lange nicht die Rede sein. Schmidt sagt, er wolle "eine Gesetzesinitiative vorbereiten" - für den Agrarminister, der ihm nach der Bundestagswahl im September ins Amt folgen wird. Schmidt selbst wird das Tierwohllabel nicht mehr einführen. "Eine ziemliche Frechheit", sagt die Verbraucherschutzpolitikerin Nicole Maisch von den Grünen.

Er will den Tierschutz staatlich unterstützen - wie genau, kann der Agrarminister nicht sagen

Erst im nächsten oder übernächsten Jahr könne nach diesem Zeitplan tatsächlich Fleisch aus tiergerechterer Haltung im Supermarkt liegen, sagt der Minister. Er selbst könne sich Einstieg- und Premium-Stufe vorstellen, doch festgelegt sei er nicht. Auch bei der Finanzierung eines besseren Tierschutzes in Deutschland kann Schmidt noch nichts Konkretes sagen: "Es wird nicht ohne staatliche Unterstützung gehen", erklärt er. Aber welche? EU-Gelder könnten die Bauern bei einer Verbesserung der Ställe und damit der Haltungsbedingungen unterstützen, sagt er, im Konsenspapier werden "einzelbetriebliche Fördermaßnahmen" genannt. Erst einmal habe er allerdings nur 70 Millionen Euro bereit gestellt, um das neue Label mit einer "Informationskampagne" zu vermarkten.

Bavarian farmer brings cows to boat to be transported over Lake Koenigssee

So gut wie dieser Kuh nahe des bayerischen Königssees geht es wenigen Nutztieren in Deutschland. Doch bis es ein eigenes Siegel des Agrarministers für mehr Tierwohl gibt, wird es dauern.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums hatte unterdessen ganz andere Größenordnungen genannt, um eine bessere Tierhaltung in Deutschland zu erreichen. Drei bis fünf Milliarden Euro im Jahr seien insgesamt nötig, um Ställe mit mehr Platz, mit Luft und Beschäftigungsmaterial für die Tiere auszustatten, damit sie ein qualfreies Leben führen. Wenn man diese Mehrkosten auf die Lebensmittelpreise umlegen würde, müssten die Bürger mit einer Steigerung von drei bis sechs Prozent rechnen. Erst vergangene Woche hatte auch der Vorsitzende des Kompetenzkreises Tierwohl, den Schmidt selbst eingesetzt hatte, eine umfassende Strategie für Nutztiere gefordert - inklusive Finanzierungskonzept. Von einer "Nutztierstrategie" spricht auch Christian Schmidt. Ein weiteres Projekt.

Die Tierhaltung ist auf der Messe großes Thema - die Wirtschaft präsentiert eigene Initiativen

Eigentlich hatten Wirtschaftsvertreter und Tierschützer damit gerechnet, dass der Minister zur Grünen Woche ein Label mit Kriterien und Zeitplänen präsentieren würde. Das Thema Tierhaltung ist auf der Messe deshalb omnipräsent. Eine private Initiative der Lebensmittelbranche hatte noch am Donnerstagmorgen angekündigt, ein eigenes Tierwohl-Label für unbehandeltes Geflügelfleisch aufzulegen. Bereits heute sammele man bei den großen Lebensmittelketten Geld, um bessere Haltung zu finanzieren. 645 Millionen Euro sollen in fünf Jahren zusammen kommen.

Auch der Deutsche Tierschutzbund hat sich zur Agrarmesse etwas ausgedacht. Neben dem freiwilligen Label "Für mehr Tierschutz", für das der Verein bereits heute 74 Landwirtschaftsbetriebe verpflichtet hat, soll nun ein zusätzliches Milch-Label entstehen. 150 Milchkuh-Betriebe verkauften ihre Erzeugnisse von besser gehaltenen Tieren bald Lidl- und Aldi-Filialen.

Agarminister Schmidt will sowohl die Ideen der Brancheninitiative als auch die des Tierschutzbundes zur Grundlage nehmen, um sein eigenes Label zu entwickeln, kündigt er an. Dabei hatte der Tierschutzbund, der die Brancheninitiative einmal beraten hatte, diese bereits im September wütend verlassen. Das ganze System sei falsch, schimpfte dessen Präsident Thomas Schröder. Der Handel meine sein Tierschutzanliegen nicht ernst. Jetzt sucht Schmidt wieder den Kompromiss. Auch deshalb ist ein Ende kaum absehbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: