Thyssenkrupp:"Ziemliche Unruhe"

ThyssenKrupp

Thyssenkrupp-Stahlwerk: Künftig soll Wasserstoff statt Kohle die Hochöfen anheizen.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Die neue Chefin Martina Merz stellt sich den Beschäftigten vor und konkretisiert Sparpläne für die Verwaltung. Mehrere Geschäfte des Konzerns stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Bislang hat Martina Merz die große Bühne gemieden. Das eine längere Portrait, das die Stuttgarter Zeitung der schwäbischen Managerin einst widmete und das viele Medien nun herauskramen, ist bereits zwölf Jahre alt. "Schon in der Schule war ich keineswegs schüchtern", verriet Merz damals, und dass sie "auch rustikal werden" könne.

Nun können sich die 161 000 Beschäftigten von Thyssenkrupp ihr eigenes Bild machen. Nachdem Merz vor einer Woche übergangsweise an die Vorstandsspitze des Konzerns gerückt ist, hat sich die 56-Jährige nun ihren wichtigsten Führungskräften vorgestellt. Für diesen Mittwoch sind Versammlungen für alle Beschäftigten in Essen anberaumt. Und es zeichnet sich ab, dass die bisherige Aufsichtsratschefin den Umbau beschleunigen wird, den sich Thyssenkrupp bereits unter dem kürzlich entlassenen Vorstandschef Guido Kerkhoff vorgenommen hat. Weniger wohlwollende Stimmen sprechen eher von einer "Filettierung", die dem größten Industriekonzern des Ruhrgebiets da bevorstehe.

So will Thyssenkrupp dem Vernehmen nach die Verwaltungen des Komponentengeschäfts und des Anlagenbaus radikal ausdünnen. Die Komponentensparte liefert mit gut 34 000 Beschäftigten vor allem der Autoindustrie zu; im Anlagenbau arbeiten gut 21 000 Menschen, die etwa Chemie- oder Zementwerke errichten. In den Führungsgesellschaften beider Geschäfte arbeiten etwa 300 Menschen. Hier sieht der Konzern offenbar Überlappungen mit seiner eigenen Verwaltungszentrale.

Die Einsparungen seien noch keine Vorentscheidung über die Zukunft der Sparten, heißt es in Essen

Thyssenkrupp hatte bereits im Mai, noch unter Vorstandschef Kerkhoff angekündigt, dass der Konzern seine jährlichen Verwaltungskosten nahezu halbieren will. Insgesamt will Thyssenkrupp in den nächsten Jahren bis zu 6000 Stellen abbauen, 4000 davon in Deutschland. Der Konzern will sich wieder stärker auf seine Stammgeschäfte Stahl und Werkstoffhandel konzentrieren. Im Anlagenbau und der Komponentensparte will Thyssenkrupp hingegen kritisch prüfen, für welche Geschäfte man noch der richtige Eigentümer sei. Die lukrativste Sparte mit Aufzügen und Rolltreppen will der Konzern zumindest teilverkaufen oder an die Börse bringen.

Hintergrund der Ankündigungen: Thyssenkrupp hatte sich vor einem Jahrzehnt mit einer Expansion nach Amerika verhoben und ist hoch verschuldet. Selbst in den vergangenen Jahren des allgemeinen Aufschwungs hat der Konzern kaum Gewinne erwirtschaftet. Nun leidet Thyssenkrupp unter der schwächeren Autokonjunktur, auch in Folge weltweiter Handelskonflikte, sowie hohen Eisenerzpreisen und teureren CO₂-Verschmutzungsrechten. Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit des Ruhrkonzerns herabgestuft, kürzlich ist Thyssenkrupp aus dem hiesigen Leitaktienindex Dax abgestiegen.

"Bei uns herrscht ziemliche Unruhe", sagt ein Essener Betriebsrat vor den Versammlungen an diesem Mittwoch. Von der Vorstellung der neuen Vorstandschefin seien vor allem Details zur künftigen Organisationsstruktur zu erwarten. "Wichtiger wäre ja eigentlich: Wohin gehen die Geschäfte?", klagt der Arbeitnehmervertreter. Je mehr Sparten aus dem Konzern herausbrächen, desto weniger Beschäftigte brauche Thyssenkrupp noch in den Verwaltungsabteilungen in Essen.

In Konzernkreisen betont man indes, dass die geplanten Einsparungen in der Verwaltung des Komponentengeschäfts und des Anlagenbaus noch keine Vorentscheidung seien, wie es mit diesen Sparten weitergehe. Festzustehen scheint allerdings, dass der bisherige Chef des Anlagengeschäfts, Marcel Fasswald, Thyssenkrupp verlassen wird. Der Ingenieur war erst vor einem Jahr angetreten, um die Sparte als Ganzes wieder profitabel aufzustellen. Das Handelsblatt hat zuerst darüber berichtet.

Die IG Metall in NRW fordert, dass der Konzern die Mehrheit am Aufzugsgeschäft behalten sollte

Im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp hatten die Arbeitnehmervertreter die neue Strategie - mit Stahl als Kerngeschäft und möglichen Partnerschaften für Aufzüge, Anlagen und Autoteile - mitgetragen. Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen fordert allerdings, dass der Konzern zumindest mehrheitlich an seinem Aufzugsgeschäft beteiligt bleiben sollte: "Eine komplette Abgabe der Thyssenkrupp-Aufzugssparte macht weder betriebswirtschaftlich noch beschäftigungspolitisch Sinn", sagt Bezirksleiter Knut Giesler am Telefon, "und würde Krieg mit den Arbeitnehmervertretern bedeuten".

Dass die bisherige Aufsichtsratschefin Merz nun selbst - für höchstens zwölf Monate, wie es heißt - an die Vorstandsspitze wechselt, begründen Kerkhoff-Kritiker mit dessen Zögerlichkeit: Der geschasste Vorstandschef habe die Strategie aus dem Mai nicht schnell genug und nicht beherzt genug umgesetzt, heißt es von mehreren Seiten.

Seine Nachfolgerin Merz hatte nach dem Maschinenbaustudium in Stuttgart bei Bosch Karriere gemacht. Sie erlebte gleich zweimal, dass der weltgrößte Automobilzulieferer einzelne Sparten abgab - und wechselte jeweils als Chefin mit: einmal des Schließsysteme-Geschäfts und einmal der Basisbremsensparte. "Ich lasse es gerne auch mal krachen", ließ sich Merz in jenem Portrait zitieren. Und der nächste Kracher, so scheint es, kommt bei Thyssenkrupp bestimmt.

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