Süddeutsche Zeitung

Thyssenkrupp:Schluss mit dem Geldverbrennen

  • Bei der Präsentation der Quartalszahlen findet Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff deutliche Worte.
  • Teile des Konzerns würden Geld verbrennen, so könne es nicht weitergehen.
  • Thyssenkrupp bekam zwar zuletzt wieder mehr Aufträge, muss allerdings die Gewinnziele für das laufende Geschäftsjahr kassieren.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Guido Kerkhoff schwafelt nicht gern und mag klare Ansagen. Doch derlei harte Worte sind auch für seine Verhältnisse ungewöhnlich: "Dass Geschäfte ohne klare Perspektive dauerhaft Geld verbrennen und damit Wert vernichten, den andere Bereiche erwirtschaftet haben", sagt der Chef von Thyssenkrupp, "wird es jedenfalls in Zukunft nicht mehr geben." Wumm, das hat gesessen.

Kerkhoff hat in seinem Konzern Werke ausfindig gemacht, die "trotz intensiver Anstrengungen" nicht wettbewerbsfähig seien und Geld verlieren. Diese Geschäfte mit etwa 9300 Beschäftigten stelle Thyssenkrupp nun "auf den Prüfstand": Es geht um Federn und Stabilisatoren, die in Autos stecken, aber auch um Anlagen für die Autoindustrie sowie um Grobbleche, die in Schiffen oder Pipelines verbaut werden. Sogenannte Sanierungsexperten sollen da nun ran. Man sehe zwar durchaus Chancen für diese Geschäfte, sagt Kerkhoff, "aber nicht notwendigerweise unter dem Dach von Thyssenkrupp."

Gut möglich also, dass einer der größten Industriekonzerne Deutschlands bald wieder ein bisschen kleiner wird.

Investoren kritisieren seit Jahren, Thyssenkrupp sei mit seinen vielen Sparten vom Stahlwerk bis zum Aufzugsbau zu komplex aufgestellt, die Zentrale in Essen sei übergroß. Sie bevorzugen Firmen, die sich auf wenige Geschäfte konzentrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass Thyssenkrupp vor Jahren übermütig nach Brasilien expandierte und so Milliarden versenkt hat. Dieses Geld fehlt heute an allen Ecken und Enden; Investitionen müssen warten.

Finanzfachmann Kerkhoff, der vor einem Jahr an die Spitze rückte, will nun "ein grundlegend neues Thyssenkrupp bauen". Ihm schwebt eine Holding vor, eine Dachgesellschaft also mit mehr Freiheit für die einzelnen Geschäfte. Der einst so stolze Ruhrkonzern solle "schlanker, schneller, einfacher und flexibler" werden. Es ist ein Grundsatz, dem sich etwa Siemens schon vor Jahren verschrieben hat. Doch kann das auch in Essen klappen?

Für die gut 160 000 Beschäftigten bedeuten die Ankündigungen zunächst: Unsicherheit. Bis zu 6000 Stellen will Thyssenkrupp in den nächsten Jahren abbauen, davon 4000 in Deutschland. Näheres dazu will der Konzern bis Jahresende bekannt geben. Fest steht, dass Rechtsvorstand Donatus Kaufmann bis Ende September gehen wird. Und dass die Verwaltungskosten weiter sinken sollen. Am besten flott.

Zudem will Kerkhoff das Geschäft mit Aufzügen und Rolltreppen teilweise an die Börse bringen, um dringend nötiges Kapital einzusammeln. Der Konzern will aber mehrheitlich an der Sparte beteiligt bleiben, da sie die höchsten und stabilsten Gewinne im Thyssenkrupp-Reich einfährt. Schon im nächsten Geschäftsjahr, also zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020, könnte der Börsengang kommen, teilt der Konzern mit.

Doch seitdem der Plan bekannt ist, verzeichnet Thyssenkrupp ein "deutliches Interesse von Investoren". Konkurrenten wie Kone aus Finnland haben sich etwa für eine Aufzugsfusion ins Spiel gebracht. Derlei Bekundungen prüfe man, seit Mai führe der Konzern "verschiedene Gespräche", sagt Kerkhoff und fügt an: "Das gilt auch für die anderen Geschäfte." Dem Vorstandschef schweben also weitere Partnerschaften unter dem Dach der neuen Holding vor. Auch das erinnert an den Siemens-Konzern, der etwa seine Windkraftsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der spanischen Gamesa ausgelagert hat. Zusammen kann man Kosten sparen.

Die anderen Geschäfte, das sind bei Thyssenkrupp etwa Komponenten für die Autoindustrie. In dem Geschäft sei "Größe entscheidend", da sich die Branche gerade wandele: hin zur Elektromobilität und zum autonomen Fahren. Doch die Zuliefersparte von Thyssenkrupp ist vergleichsweise klein; etwa kehrte der Konzern erst vor zwei Jahren wieder auf die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt zurück. Auch im Anlagenbau stelle sich die Frage, "ob sich die Geschäfte durch Partnerschaften oder Zusammenschlüsse" nicht besser entwickeln könnten.

Zum Kerngeschäft hat Kerkhoff hingegen die Stahlwerke und den Werkstoffhandel erkoren. Damit sind sie großgeworden im Ruhrgebiet, damit kennen sie sich aus, hier kann sich Thyssenkrupp auch Zukäufe vorstellen. Das Problem ist nur, dass genau diese Geschäfte derzeit schlecht laufen. So haben etwa die Stahlwerke in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres nur 77 Millionen Euro vor Zinsen und Steuern verdient, mehr als 80 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In der Sparte gilt nun ein Einstellungsstopp.

Thyssenkrupp will gegen die EU-Kommission klagen

Denn viele Volkswirtschaften wachsen in diesem Jahr schwächer, etwa wegen der Handelskonflikte. Weltweit laufen in diesem Jahr weniger Autos vom Band. In der Folge ist Stahl auf dem Weltmarkt billiger geworden, während der Preis für den wichtigen Rohstoff Eisenerz stark gestiegen ist. Eine schwierige Gemengelage, in der auch die Gewinne anderer Stahlhersteller eingebrochen sind.

Ursprünglich wollte Thyssenkrupp die Stahlsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata Steel einbringen. Doch die Fusion scheiterte an Wettbewerbsbedenken der EU-Kommission. Die Essener wollen nun gegen diese Entscheidung klagen. Die Begründung aus Brüssel sei derart schwach, sagt Kerkhoff, "dass wir sie nicht stehen lassen wollen." Die Fusion kann er damit aber nicht retten: Eine Klage kann drei Jahre dauern.

Im gesamten Konzern gingen in den vergangenen Monaten zwar etwas mehr Aufträge ein als im Vorjahreszeitraum; auch der Umsatz stieg leicht. Doch steht unter dem Strich ein Verlust von gut 200 Millionen Euro. Für das gesamte Geschäftsjahr erwartet Thyssenkrupp nun nur noch einen Gewinn vor Zinsen und Steuern von etwa 800 Millionen Euro - 300 bis 400 Millionen Euro weniger als ursprünglich prognostiziert. Auch andere Industriekonzerne kassierten zuletzt ihre Prognosen. Daher hatten sich Anleger schon auf schlechte Zahlen eingestellt: Die Thyssenkrupp-Aktie notiert seit einigen Tagen so niedrig wie seit 16 Jahren nicht mehr.

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SZ vom 09.08.2019/vd
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