Industrie:Umstrittene Thyssenkrupp-Chefin schmeißt hin

Industrie: Martina Merz führt Thyssenkrupp seit Herbst 2019.

Martina Merz führt Thyssenkrupp seit Herbst 2019.

(Foto: Rolf Vennenbernd/picture alliance/dpa)

Martina Merz verlässt den Industriekonzern in schwierigen Zeiten. Ihr Plan, die Stahlsparte zu verkaufen, ist umstritten. Doch ihr Rückzug soll andere Gründe haben.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Stahl- und Technologiekonzern Thyssenkrupp wechselt in schwierigen Zeiten die Führung aus: Die umstrittene Vorstandsvorsitzende Martina Merz habe den Aufsichtsrat gebeten, ihren bis 2028 laufenden Vertrag aufzulösen, teilte der Essener MDax-Konzern am Montag überraschend mit. Das kam bei den Investoren schlecht an; die Aktie verlor am Nachmittag 13 Prozent an Wert. Im Juni soll Miguel Ángel López Borrego als Nachfolger anfangen. Der in Deutschland geborene Spanier ist seit Januar Chef des hessischen Auto- und Industriezulieferers Norma, wobei er dieses Amt nur übergangsweise ausüben sollte, bis Norma eine Dauerlösung gefunden hat. Dieser Ausputzer-Dienst wird passenderweise von Juni an nicht mehr gebraucht. Zuvor leitete der 58-jährige Betriebswirt die Geschäfte von Siemens in Spanien.

Merz führt das Unternehmen mit seinen 96 000 Beschäftigten seit Herbst 2019, nachdem sie zuvor den Aufsichtsrat geleitet hat. Die Ingenieurin - die erste Frau an der Spitze von Thyssenkrupp - will den Mischkonzern zu einer Gruppe weitgehend unabhängiger Firmen umbauen; die Essener Zentrale von Thyssenkrupp soll bloß noch eine Holdinggesellschaft sein. Zudem sucht die 60-Jährige Käufer oder Partner für wichtige Sparten, etwa für das Stahlgeschäft. Doch dieser Kurs ist umstritten - und Merz kam deutlich langsamer voran, als sie es sich selbst gewünscht hätte.

Bei einer Sondersitzung des Aufsichtsrats vor gut drei Wochen gab es scharfe Kritik von Arbeitnehmervertretern: Es gehe nicht vorwärts, und Merz müsse "endlich" ein neues Gesamtkonzept vorlegen, hieß es in einem Protokoll des Treffens, das die IG Metall an ihre Betriebsräte schickte. Einige Arbeitnehmervertreter und auch Teile des Managements sehen insbesondere das Vorhaben skeptisch, sich von der Stahlsparte zu trennen. Diese Kritiker wollen Stahl stattdessen zum Zentrum von Thyssenkrupp machen und andere Geschäfte abstoßen. Das Unternehmen ist der größte Stahlhersteller Deutschlands.

In Merz' Umfeld wird aber betont, der Rückzug sei nicht Folge dieser Angriffe, sondern hänge mit ihrer Lebensplanung zusammen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Russwurm - zugleich Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie - sagt zu dem Wechsel, das Unternehmen werde mit dem neuen Chef "den Weg der Transformation auf Basis der entwickelten strategischen Linien fortführen": Das klingt nicht so, als solle López Borrego einen Strategieschwenk hinlegen.

Der stellvertretende Aufsichtsratschef und IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner mahnt, der neue Firmenchef werde "leider nicht viel Zeit zum Einarbeiten haben: Die Probleme liegen auf dem Tisch, die Zeit drängt". Die Arbeitnehmervertreter erwarteten, dass "der Vorstand unter seiner Führung schnell Lösungskonzepte entwickelt".

Die Schulden bedrohten die Existenz

Als Merz den Vorstandsvorsitz übernahm, waren die Schulden so hoch, dass sie die Existenz des Konzerns bedrohten. Die Chefin verkaufte daher schnell das Geschäft mit Aufzügen für 17 Milliarden Euro, um die drückende Schuldenlast zu senken. Merz will aber noch weitere Bereiche abgeben oder zumindest Partner suchen, weil der Konzern alleine nicht ausreichend Geld hat, um überall genug in Wachstum investieren zu können. Zuletzt suchte Merz daher Käufer nicht nur für die Stahlsparte, sondern auch für das Rüstungsgeschäft Marine Systems, den Weltmarktführer für nicht-atomgetriebene U-Boote.

Außerdem will Merz einen Minderheitsanteil an der Wasserstoff-Tochter Nucera an die Börse bringen. Die Firma baut Elektrolyseure, also Anlagen, die mithilfe von Strom Wasserstoff produzieren - ein Zukunftsmarkt, denn klimafreundlicher Wasserstoff soll künftig in Industrie und Kraftwerken Erdgas ersetzen.

Doch wegen der Covid-Krise und des Kriegs war bisher das Börsenumfeld zu schlecht. Und beim Stahl gestaltet sich das Werben um Käufer ebenfalls zäh. Merz ist auch nicht die Erste, die sich von der Sparte trennen will: Schon zur Jahrtausendwende wollte der damalige Vorstandschef Gerhard Cromme das Geschäft an die Börse bringen, was aber nicht gelang. Später scheiterten Fusionen mit den Rivalen Tata und Liberty Steel. Beim jüngsten Versuch gelten Finanzinvestoren oder ausländische Konkurrenten wie CSN aus Brasilien als Interessenten.

Merz brachte auch die Möglichkeit ins Spiel, dass sich große Wasserstoffproduzenten, etwa aus dem arabischen Raum, beteiligen könnten. Schließlich werden die Duisburger Stahlwerke von Thyssenkrupp in wenigen Jahren riesige Mengen an Wasserstoff benötigen, um Stahl klimafreundlich und ohne Koks und Kohle herstellen zu können. In ihrer Mitteilung zum Abschied verkündet Merz nun lediglich, Thyssenkrupp habe für die Sparte "vielversprechende Gespräche mit möglichen Partnern aufgenommen".

Der Großaktionär bedauert den Abschied sehr

Größter Aktionär des Konzerns ist die "Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung" in Essen. Die Stiftung hält 21 Prozent der Papiere und finanziert ihre Fördertätigkeit mit Dividenden. Die Stiftung teilt mit, sie bedauere die Entscheidung der Vorstandschefin "außerordentlich". Kuratoriumsvorsitzende Ursula Gather hat Merz' Kurs stets unterstützt. "Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Thyssenkrupp mit dem von ihr eingeschlagenen strategischen Kurs nachhaltig wettbewerbs- und langfristig dividendenfähig werden kann", sagt die emeritierte Mathematik-Professorin und frühere Rektorin der Technischen Universität Dortmund.

Merz schreibt in einer Mitteilung an die Beschäftigten, es gelte, "nach einer disruptiven Phase nun, den Umbau von Thyssenkrupp nachhaltig erfolgreich abzusichern". Dafür wolle sie den Weg freimachen.

Ihren Nachfolger preist Aufsichtsratschef Russwurm als erfahrenen Experten für Übernahmen und Fusionen. Diese Expertise wird López Borrego gut gebrauchen können, wenn er die Verkaufsliste seiner Vorgängerin abarbeitet.

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