Die Stahlarbeiter haben ein Foto des Eiffelturms auf ihr Plakat geklebt, eine Brücke ist zu sehen, Autos natürlich und Elektronikgeräte. All das gäbe es ohne ihren Werkstoff nicht, lautet die Botschaft, "und noch vieles mehr". Doch die Stahlhersteller, allen voran Thyssenkrupp mit 27 000 Beschäftigten in den hiesigen Hüttenwerken, stecken in einer tiefen Krise, nicht erst seit Corona. Allein Thyssenkrupp meldete zuletzt 344 Millionen Euro Quartalsverlust im Stahlgeschäft. "Das Geld schmilzt wie Schnee in der Sonne", sagt Tekin Nasikkol. Der Betriebsratschef der Sparte trägt an diesem Freitag eine orange Warnweste.
In 127 Bussen hat die IG Metall knapp 3000 Beschäftigte nach Düsseldorf gefahren. Eigentlich wollen die Stahlwerker an diesem Freitag dafür demonstrieren, dass der Staat bei der Thyssenkrupp-Sparte einsteigen sollte, damit diese in die Zukunft investieren kann. Nun stehen sie da auf den Rheinwiesen, gegenüber der Sitz der Landesregierung. Rotweißes Flatterband trennt die Gruppen voneinander. Und jetzt das.
"Wie sollte ein anderer Hersteller, dem selbst das Geld auszugehen droht, die nötigen Investitionen finanzieren?"
Just an diesem Tag kommt eine überraschende Offerte. Der britische Konzern Liberty Steel will die angeschlagene Thyssenkrupp-Sparte übernehmen. Die Londoner Firma legt ein unverbindliches Angebot vor. Weitere Details, etwa zum möglichen Preis, gibt Liberty noch nicht bekannt. Man wolle nun genauer in die Bücher der Stahlsparte schauen. "Ich glaube fest an die Zukunft des europäischen Stahls", sagt Sanjeev Gupta, Gründer und Vorstandschef von Liberty Steel, per Telekonferenz, während in Düsseldorf demonstriert wird. Und dass sich beide Unternehmen gut ergänzen würden.
Die Reaktionen pendeln zwischen Euphorie und strikter Ablehnung. Die Thyssenkrupp-Aktie legt am Freitag um zeitweise bis zu 25 Prozent zu und notiert auch später noch sehr im Plus. Die versammelten Arbeitnehmervertreter in Düsseldorf dagegen sind entsetzt. "Wir brauchen jetzt eine stabile Liquidität bei Thyssenkrupp Stahl", sagt Jürgen Kerner von der IG Metall, der auch Aufsichtsratsvize von Thyssenkrupp ist. "Wie sollte ein anderer Hersteller, dem selbst das Geld auszugehen droht, die nötigen Investitionen finanzieren?", fragt der Gewerkschafter und verweist auch auf anstehende Milliarden-Investitionen in klimaschonendere Technologien.
Ministerpräsident Laschet wechselt seinen schwarzen Mundschutz gegen ein rotes Modell von der IG Metall
Kerner fordert deshalb einen Einstieg des Staats. "Ich halte Thyssenkrupp Stahl für genauso systemrelevant wie die Lufthansa." Mögliche Partnerschaften mit anderen Stahlherstellern sollte Thyssenkrupp erst angehen, "wenn die Zukunftsfragen geklärt sind", so der Gewerkschafter. Der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler ergänzt: "Wer meint, in einem Ein-Euro-Laden Thyssenkrupp billig kaufen zu können, ist nicht der richtige Partner." Liberty habe kein industrielles Konzept, sondern betreibe bislang nur Billigstandorte.
Auch Ministerpräsident Armin Laschet, einer der Anwärter auf den CDU-Vorsitz, kommt am Freitag zur Kundgebung, er wechselt seinen schwarzen Mundschutz gegen ein rotes Modell von der IG Metall und spricht zu den Demonstrierenden. Der Stahl gehöre zur DNA des Landes, sagt der CDU-Politiker. "Deshalb müssen wir alles tun, ihn im Land zu halten." Vertreter des Landes sprechen im Moment fast wöchentlich mit allen Beteiligten, so Laschet. "Wir wollen den Umstieg zu ökologischem Wirtschaften." Doch ob der Staat dazu gleich bei Thyssenkrupp einsteigen sollte, dazu sagt Laschet: "Ich glaube am Ende nicht, dass der Staat der bessere Unternehmer ist."
Die Stahlwerke von Thyssenkrupp könnten das "Herzstück" der Geschäfte von Gupta in Europa werden, wirbt der Bieter
Thyssenkrupp wiederum will sich nun die Offerte von Liberty Steel "sorgfältig" anschauen, teilt das Unternehmen mit. Gleichzeitig spreche man auch weiter mit anderen potenziellen Partnern. Ziel sei, das Stahlgeschäft nachhaltig zukunftsfähig zu machen. "Es kommt für uns darauf an, dafür die beste Lösung zu finden." Deutschlands größter Stahlhersteller steckt schon lange in einer schweren Krise. Seine größte Kundengruppe, die Autoindustrie, hat ihre Produktion während der Corona-Krise zeitweise heruntergefahren. Seit Jahren macht zudem Konkurrenz aus Asien hiesigen Stahlherstellern zu schaffen. Hinzu kommt, dass die Stahlindustrie weltweit etwa sieben Prozent aller CO₂-Emissionen verursacht. Die Branche muss daher Milliarden in klimaschonendere Verfahren investieren, damit sie langfristig eine Zukunft in Europa hat. Ein erster Fusionsversuch mit der niederländisch-britischen Tata Steel Europe war 2019 am Veto der EU-Kommission gescheitert. Zuletzt hatte Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz dann einen Einstieg des Staates in die Stahlsparte als "eine Option" bezeichnet.
Liberty-Gründer Gupta wirbt nun für den Zusammenschluss mit der Thyssenkrupp-Sparte. Gemeinsam könne man auch die Produktion von grünem Stahl vorantreiben. Die Zusammenarbeit mit dem Management von Thyssenkrupp sei bisher sehr gut gewesen. Man strebe auch eine Partnerschaft mit den Arbeitnehmern an, die Stahlsparte von Thyssenkrupp könnte künftig das "Herzstück der europäischen Geschäfte" sein. Ob Jobs gestrichen werden würden, ließ er aber offen. Liberty Steel hat insgesamt mehr als 30 000 Beschäftigte in Europa, Großbritannien, den USA und China und verfügt über eine Produktionskapazität von 18 Millionen Tonnen. Gegründet wurde das Unternehmen 1992 von Gupta, einem in Großbritannien ansässigen Industrie-Unternehmer. Er baute den Konzern durch mehrere Übernahmen aus.
Sollten die Stahlgeschäfte von Gupta und Thyssenkrupp tatsächlich zusammenfinden, dann träfe der Ruhrkonzern auf jeden Fall einen alten Bekannten wieder: Premal Desai - bis Ende Februar war er Chef des Stahlgeschäfts von Thyssenkrupp - zieht offiziell im kommenden Jahr in den Vorstand der Gupta Family Group (GFG) ein, wie die Firma ebenfalls am Freitag mitteilt. Offenbar mischt er aber schon jetzt mit. In Duisburg und bei Thyssenkrupp kennt sich Desai jedenfalls gut aus. Auf der Suche nach der Zukunftsstrategie für die Sparte trennten sich die Wege. Vorerst.