Süddeutsche Zeitung

Thyssenkrupp:Kompromiss mit Mundschutz

Jetzt auch noch Corona: Thyssenkrupp will 1000 Stellen zusätzlich in den Stahlwerken abbauen und Kurzarbeit anmelden. Im Gegenzug will der Konzern investieren.

Von Benedikt Müller, Köln

Für Oliver Burkhard war es eine Premiere. Noch nie hatte der Personalchef von Thyssenkrupp Tarifverhandlungen mit Mundschutz und Sicherheitsabständen geführt. Doch den Arbeitnehmervertretern war es gerade wegen der Corona-Epidemie wichtig, Sicherheiten für die etwa 28 000 Stahlwerker des Ruhrkonzerns auszuhandeln. In der Nacht zu Mittwoch haben sich Thyssenkrupp und die Gewerkschaft IG Metall auf einen Tarifvertrag und Zukunftsplan für die derzeit defizitären Stahlwerke geeinigt.

Dieser klingt zunächst selbstbewusst: Deutschlands größter Stahlhersteller will demnach wieder "Technologieführer" werden und fortan mehr als die bislang geplanten 570 Millionen Euro jährlich in sein Stahlgeschäft investieren. Voraussetzung dafür sei freilich, dass die Kosten deutlich sinken sollen.

So will Thyssenkrupp bis 2026 insgesamt 3000 Stellen in den Stahlwerken abbauen; ursprünglich war von 2000 Stellen die Rede. "Betriebsbedingte Kündigungen sollen vermieden werden", teilt der Konzern mit. Stattdessen setzen sie in Duisburg auf freiwillige Angebote sowie die natürliche Fluktuation.

Die IG Metall ist zufrieden: Endlich erhalte die Stahlsparte das Geld, das sie seit Jahren benötige

Ganz akut leidet der größte Industriekonzern des Ruhrgebiets unter den Folgen der Corona-Epidemie. Beispielsweise hat die Autoindustrie als wichtigste Kundengruppe von Thyssenkrupp ihre Produktion heruntergefahren - und bestellt in der Folge auch weniger Stahl und Komponenten. Die Auftragslage sei entsprechend schlechter. "Wir werden an vielen Standorten in den nächsten Wochen in Kurzarbeit gehen müssen", kündigt Vorstand Burkhard an. "Auch wenn uns die Arbeit ausgeht, versuchen wir, alle in Arbeit zu halten."

Die Stahlsparte von Thyssenkrupp leidet ohnehin seit Jahren unter dem weltweiten Wettbewerb samt vieler Billigimporte aus Asien. Die Nachfrage von Autoherstellern und Maschinenbauern begann schon vor dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus zu schwächeln. Zudem werden die vielen klimaschädlichen Treibhausgasemissionen der Stahlindustrie immer teurer. Thyssenkrupp testet zwar Ansätze einer CO₂-ärmeren Stahlerzeugung. Doch eine weitgehende Umrüstung der Branche auf sogenannten grünen Stahl wird mehrere Milliarden kosten.

Noch vor einem Jahr wollte der Ruhrkonzern das krisenanfällige Stahlgeschäft lieber in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata auslagern. Doch die Fusion ist voriges Jahr am Veto der EU-Kommission gescheitert.

In der Zwischenzeit investierte Thyssenkrupp nach Ansicht mehrerer Beteiligter nur noch das Nötigste in die alte Stammsparte. Ende 2019 räumten die Essener dann "große Qualitätsprobleme" ein. Einige Anlagen seien "nicht optimal ausgelastet oder entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik", hieß es damals. "Wir haben Probleme zu lange aufgeschoben und harte Entscheidungen gescheut", konstatiert Konzernvorstand Klaus Keysberg.

Umso mehr begrüßen nun auch Gewerkschafter, dass "in den chronisch unterinvestierten Stahlbereich endlich die Gelder" fließen sollen, die benötigt würden, wie es Knut Giesler formuliert, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Dies sei existenziell wichtig und schaffe Zukunft. "Das sind gute Nachrichten für die Belegschaften in so unsicheren Zeiten", sagt Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef der Thyssenkrupp-Stahlsparte.

Allerdings verlangt der Konzern von seinen Stahlwerkern fortan mehr Flexibilität: Man werde zwar den größten Standort Duisburg stärken, dafür beispielsweise ein Warmbandwerk in Bochum schließen. "Wir investieren in einen der besten Stahlstandorte weltweit", gibt sich Manager Keysberg selbstbewusst. Für ein kriselndes Grobblechwerk mit 800 Beschäftigten im Duisburger Süden will Thyssenkrupp hingegen noch bis Ende des Jahres einen Käufer suchen; sonst droht der Anlage 2021 das Aus. Das Unternehmen will allen betroffenen Beschäftigten einen Arbeitsplatz an anderer Stelle anbieten.

Insgesamt musste der Thyssenkrupp-Konzern, der neben Stahl auch Autoteile und Marineschiffe verkauft, seine Prognose für dieses Geschäftsjahr bereits am Montagabend zurückziehen: Zu unsicher ist die Lage in Zeiten der Corona-Pandemie. Trotz anhaltender Verluste sehen sich die Essener jedoch nicht als Rettungsfall. Der Konzern hat Ende Februar den milliardenschweren Verkauf seiner profitablen Aufzugssparte besiegelt. Mit dem Erlös, der bis spätestens Herbst erwartet wird, will Thyssenkrupp Schulden tilgen, Pensionsverpflichtungen decken und wieder mehr Geld in die Geschäfte investieren.

Unterdessen hat am Mittwoch auch der Duisburger Stahlhändler Klöckner & Co seine Gewinnprognose für das laufende Jahr kassiert. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie in den nächsten Wochen und Monaten seien noch "unabsehbar", teilt das S-Dax-Unternehmen mit. Die Geldreserven seien aber "erheblich", heißt es darin vorsorglich. Auch Klöckner will nun unter anderem mit Kurzarbeit gegensteuern.

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SZ vom 26.03.2020
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