Thyssenkrupp:Jobs in Gefahr, Umzug nach Amsterdam - wie es jetzt bei Thyssenkrupp weitergeht

Warnstreik IG Metall in Andernach

Die Angestellten von Thyssenkrupp müssen bei der Fusion mit Tata um ihre Jobs bangen

(Foto: dpa)

Warum Amsterdam als Hauptsitz? Stirbt die Stahlproduktion in Deutschland ganz? Thyssenkrupp stehen wegen der Fusion mit Tata Steel zähe Verhandlungen mit den Arbeitnehmern bevor. Die wichtigsten Streitfragen.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Sie sind sich einig, dass sie sich nicht einig sind: Die Arbeitnehmer-Vertreter von Thyssenkrupp wollen nicht, dass der Konzern sein Stahlgeschäft in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Tata auslagert. Doch genau diese Absicht haben Thyssenkrupp und Tata in dieser Woche erklärt. Damit die Vorstände einen bindenden Vertrag unterschreiben können, muss allerdings der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp zustimmen, der zur Hälfte mit Arbeitnehmer-Vertretern besetzt ist. Deren Votum hat traditionell Gewicht. Am Samstag beraten Vorstand und Aufsichtsrat erstmals die Fusionspläne. "Die Gespräche werden sicher nicht einfach", sagt Konzernchef Heinrich Hiesinger. Folgende Streitfragen stehen im Mittelpunkt.

Will Thyssenkrupp sein Stahlgeschäft durch den Zusammenschluss loswerden?

Das befürchten Arbeitnehmer-Vertreter. Zwar deutet es Konzernchef Hiesinger als Akt der Verbundenheit, dass Thyssenkrupp seine Stahlsparte weder verkaufe noch an die Börse bringe. "Thyssenkrupp bleibt am Stahl beteiligt", betont er. Es ist aber kein Teil der Absichtserklärung, wie lange Thyssenkrupp seine 50 Prozent an der gemeinsamen Tochter halten müsste. Vertreter der Belegschaft fordern, der Konzern sollte sich langfristig verpflichten. Vorstandschef Hiesinger hat bereits angekündigt, diese Frage sei Gegenstand der Verhandlungen mit den Arbeitnehmern.

Warum soll das Gemeinschaftsunternehmen seinen Sitz in Amsterdam haben?

Die Stahltochter von Thyssenkrupp hat ihren Sitz in Duisburg, das europäische Stahlgeschäft von Tata ist in London ansässig. Um keinen Partner zu bevorzugen, soll die gemeinsame Tochter künftig in Amsterdam sitzen; dies sei für beide gut erreichbar, sagt Hiesinger. Hinzu kommt, dass Tata im niederländischen IJmuiden ein Stahlwerk mit etwa 9000 Beschäftigten betreibt; die Firma ist also bereits im Land.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ausländische Firmen in den Niederlanden Steuervorteile genießen. "Niemand ist so naiv zu glauben, dass Unternehmenssitze mit dem Lineal auf dem Atlas ausgewählt würden", sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. "Es ist wahrscheinlich, dass Duisburg und NRW durch die Sitzverlegung Steuereinnahmen verlieren." Thyssenkrupp-Chef Hiesinger bestreitet, dass sein Unternehmen die Niederlande aus steuerlichen Gründen bevorzugen würde. Die Landesgesellschaften des Gemeinschaftsunternehmens würden weiterhin im jeweiligen Staat Steuern zahlen.

Am Standort Duisburg profitieren Arbeitnehmer-Vertreter davon, dass ihnen die Montan-Mitbestimmung weitreichende Mitsprache einräumt. Beispielsweise entscheiden die Vertreter, wer Personalchef des Unternehmens wird. "Die Montan-Mitbestimmung muss erhalten bleiben", fordert Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen. Zumindest für das Deutschland-Geschäft des Gemeinschaftsunternehmens hat Thyssenkrupp-Chef Hiesinger dies zugesagt. In der Zentrale in Amsterdam würde hingegen niederländisches Recht gelten. Die Absichtserklärung sieht allerdings vor, dort nur ein "schlankes Management" einzurichten.

Wo werden Thyssenkrupp und Tata künftig noch Stahl produzieren?

Duisburg wäre mit 14 000 Beschäftigten der größte Standort des Gemeinschaftsunternehmens; hinzu kommen hierzulande etwa 10 000 Mitarbeiter an Standorten wie Bochum, Dortmund oder Andernach. Tata beschäftigt neben den Stahlkochern in den Niederlanden gut 10 000 Menschen in Großbritannien. Der Absichtserklärung zufolge würden die Konzerne im ersten Schritt bis zu 2000 Arbeitsplätze in den Stahlwerken beider Parter streichen, hinzu kämen 2000 Verwaltungsstellen. Doch schon im Jahr 2020, wenn das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen steht, wollen die Partner die Produktionsstätten abermals auf den Prüfstand stellen. Hier deuten sich zähe Verhandlungen an: Die IG Metall fordert Garantien für Standorte und Arbeitsplätze in Deutschland.

Wie viel Stahl wird in Deutschland überhaupt noch hergestellt?

Im vergangenen Jahr produzierten Thyssenkrupp, Salzgitter und die Konkurrenz 42 Millionen Tonnen Stahl in Deutschland. Zwar ist die Menge seit Jahren in etwa konstant, weltweit wird aber immer mehr Stahl hergestellt. Vor allem China hat seine Produktion seit der Jahrtausendwende vervierfacht. Dort gelten schwächere Sozial- und Umweltauflagen. Die Preise in Europa schwanken stark, und die Stahlwerke sind hierzulande schlechter ausgelastet als zu Beginn des Jahrtausends. Auch die Zahl der Stahl-Arbeitsplätze ist leicht zurückgegangen, auf 72000 Stellen bundesweit.

Wie wollen die Stahlkocher ihren Forderungen Ausdruck verleihen?

IG Metall und Betriebsrat veranstalten am Freitag eine Demonstration in Bochum. Am Vormittag soll die Stahlproduktion von Thyssenkrupp in Deutschland zum Stillstand kommen, kündigt der Betriebsrat an. Zwei Tage vor der Bundestagswahl erwarten die Stahlkocher auch Render aus der Politik: etwa Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die vor einem "Zusammenschluss um jeden Preis" gewarnt hat.

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