Besonders in Städten sparen sich viele Menschen ein eigenes Auto - und leihen sich stattdessen bei Bedarf eins aus. Doch auch ein Leihwagen streift mal einen Poller oder Bordstein; zuweilen übernimmt man schon vom Vornutzer ein Auto mit Makeln. Sharing-Firmen entstehen so hohe Kosten. "Die Anbieter berichten, dass fast jeder zweite Schaden an ihren Autos nicht gemeldet wird", sagt Nico Schön vom Dienstleister Carvaloo. Anders als klassische Autovermieter kontrollieren Carsharing-Anbieter die Wagen nicht nach jeder Nutzung. "Schäden werden häufig erst nach Tagen oder Wochen entdeckt", so Schön. "Somit bleiben die Firmen meistens auf den Kosten sitzen."
Das will Carvaloo, eine Tochter von Thyssenkrupp, nun ändern. Entstanden 2016 als Start-up innerhalb des Industriekonzerns, hat Carvaloo erste Sharing- und Mietwagen in Europa mit Sensoren ausgerüstet. Eine Software untersucht die Beschleunigungs- und Standortdaten dann nach Auffälligkeiten, die wie Schadensfälle aussehen. "Zudem haben wir erste Standorte von Lieferdiensten und Logistikunternehmen mit unserer Lösung ausgestattet", sagt Vertriebsgeschäftsführer Tom Althoff. "Wir befinden uns in vielversprechenden Gesprächen, um demnächst komplette Flotten auszurüsten." Doch wie funktioniert diese Technik? Und was sollten Fahrer darüber wissen?
Grundlage ist eine Sensor-Box, nicht viel größer als eine Zigarettenschachtel, die Carvaloo im Motorraum befestigt und an die Batterie anschließt. Das System weiß dank GPS, wo sich das Fahrzeug befindet, ob es gerade fährt oder steht. Zudem erfasst ein Sensor die Beschleunigung und Drehung. Per Mobilfunk überträgt die Box die Daten ins Internet. Im Laufe der Jahre hat die künstliche Intelligenz von Carvaloo so Muster erlernt: beispielsweise Schwingungen, die entstehen, wenn ein Auto steht, der Fahrer die Tür schließt, der Anlasser knattert - all das harmlose Vorgänge.
Carvaloo erkenne 95 Prozent aller schadenrelevanten Ereignisse, sagt der Chef
Doch die Ingenieure haben das Programm auch mit Daten von Hunderten Schadensfällen gespeist, die sich in Autos eines Schweizer Sharing-Anbieters zugetragen haben, mit dem Carvaloo kooperiert. So hat die Software etwa gelernt, wie ein Parkrempler in den Beschleunigungsdaten aussieht. "Aber natürlich hat sie auch Grenzen", gesteht Althoff. Wenn jemand zum Beispiel mit einem Schlüssel sehr vorsichtig eine Autotür zerkratzt, werde eine eindeutige Erkennung schwierig. "Wir erkennen mittlerweile aber über 95 Prozent aller schadenrelevanten Ereignisse an einem Fahrzeug." Einige Millionen Fahrkilometer haben Carvaloo-Sensoren in bisherigen Projekten erfasst.
Für weiteres Wachstum arbeitet die Thyssenkrupp-Tochter fortan mit dem TÜV Rheinland zusammen. Der Prüfdienst will künftig Schadenshöhen schätzen, wenn Flottenbetreiber ihm Meldungen von Carvaloo sowie Fotos der Schäden übermitteln. Zuvor hatte der TÜV mehrere technische Angebote getestet. "Die automatische Schadenerkennung von Carvaloo überzeugt durch ihre Präzision", teilt Karl Obermair vom TÜV Rheinland mit.
Gemeinsam schielen der Dienstleister und das Start-up nun auf einen Markt mit vielen Millionen Wagen. "Insgesamt werden immer mehr Fahrzeuge professionell in Flotten genutzt", sagt Nico Schön, in der Carvaloo-Geschäftsführung für den operativen Betrieb zuständig. Beispielsweise könnten auch Fuhrparkbetreiber oder Verkehrsbetriebe ein Interesse haben, ihre Flotte digital zu überwachen.
Flottenbetreiber müssen die Fahrer informieren, dass sie entsprechende Daten erheben
Eine Web-Anwendung von Carvaloo zeigt Kunden dann, welches ihrer Fahrzeuge wann und wo ein auffälliges Ereignis hatte, ob der Wagen zu dem Zeitpunkt fuhr, hielt oder parkte. Das Programm prognostiziert, wo am Fahrzeug ein Schaden entstanden sein dürfte, ob eher schwache oder starke Kräfte wirkten. Der Flottenbetreiber kann daraufhin eine Inspektion veranlassen - sowie den jeweiligen Fahrer oder dessen Versicherung kontaktieren.
Freilich müssen Flottenbetreiber ihre einzelnen Fahrer oder Kunden informieren, dass sie entsprechende Daten erheben. Nutzer könnten dies als übergriffige Kontrolle empfinden, als Ausdruck von Misstrauen. Andererseits bleiben Schäden bislang oftmals über mehrere Mieten unerkannt, hält Carvaloo-Mann Schön dagegen: "Dann haftet in der Regel der letzte Mieter." Ihn könne die Software entlasten, indem sie Vorschäden eindeutig zuordne. Die Thyssenkrupp-Tochter selbst verarbeite dabei keine personalisierten Daten, betont Schön. "Wir wissen nicht, wer die jeweiligen Fahrer sind."
Das Geschäftsmodell von Carvaloo besteht darin, dass Flottenbetreiber eine monatliche Gebühr je angeschlossenem Fahrzeug zahlen. Die Höhe hängt davon ab, wie groß ihre Flotte ist und wie umfangreich sie die Dienste nutzen.
Langfristig will Carvaloo Daten nutzen, die das Fahrzeug selbst erhebt
Von anfangs nur drei Thyssenkrupp-Mitarbeitern ist die Belegschaft von Carvaloo mittlerweile auf zehn feste Beschäftigte angewachsen. Den Vertrieb organisiert Althoff von Essen aus, die Software lernt in München weiter. Zudem greift das Start-up punktuell auf Unterstützung aus dem Thyssenkrupp-Konzern zurück. Voriges Jahr hat das Mutterunternehmen Carvaloo als eigenständige GmbH eintragen lassen, die ihr bislang freilich komplett gehört.
Technisch machen dem Start-up beispielsweise sogenannte 100-Prozent-Scanner Konkurrenz, die Fahrzeuge auf Herz und Nieren prüfen. Allerdings müssten Flottenbetreiber solche Geräte eigens anschaffen und aufstellen. Zudem ist es gerade beim Carsharing unrealistisch, jedes Auto nach jeder Nutzung durch einen Scanner fahren zu lassen.
"Langfristig ist unser Ziel, die im Fahrzeug bereits vorhandenen Daten zu nutzen", kündigt Geschäftsführer Althoff an. "Hierzu befinden wir uns in Gesprächen mit den Herstellern." Verbunden mit dem eigenen Diagnose-System eines Autos, könnte die Software dann etwa auch den Tankfüllstand, Verbrauch oder Reifendruck übermitteln. Bis dahin verkauft es Althoff freilich auch als Vorteil, dass Carvaloo unabhängig von einzelnen Herstellern ist. Schließlich haben viele Flottenbetreiber Fahrzeuge von verschiedenen Fabrikanten im Einsatz.