Thomas Middelhoff:Zwischen Unvernunft und Untreue

Untreueprozess gegen Middelhoff

Thomas Middelhoff steht erneut in Essen vor Gericht. Er war bereits im November 2014 vom Landgericht unter anderem wegen Untreue zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden.

(Foto: Ina Fassbender/dpa)

Arcandor stand kurz vor der Pleite, trotzdem bekam der Vorstandschef Millionen-Boni für "außerordentliche Leistungen". Jetzt, fast neun Jahre später, stehen die damaligen Aufsichtsräte vor Gericht.

Von Benedikt Müller, Essen

Zum Geburtstag gratuliert der Richter nicht. Aber er will nicht einfach im Raum stehen lassen, dass Thomas Middelhoff, bereits verurteilter Ex-Chef von Arcandor, ausgerechnet an seinem 64. Geburtstag abermals auf der Anklagebank sitzen muss. "Seien Sie versichert, dass es einfacher gewesen wäre, Ihren Geburtstag zu verlegen als diesen Termin", sagt der Richter zu Beginn des Untreue-Prozesses. Middelhoff steht am Donnerstag nicht alleine vor Gericht, sondern mit sechs ehemaligen Aufsichtsräten von Arcandor. Daher sei es schwer gewesen, einen Termin zu finden.

So beginnt in Essen ein Strafprozess, in dem es um die Verantwortung von Managern geht: Müssen Aufsichtsräte haften, wenn sie irrwitzig hohe Bonuszahlungen an Vorstände durchwinken, obwohl der Konzern vor der Pleite steht? Die sechs Aufseher, die in Essen eine riesige Anklagebank füllen, wachten bei Arcandor über die Vorstände. In den Jahren vor der Insolvenz 2009 verfehlte der Mutterkonzern von Karstadt, Quelle und Neckermann die Umsatzziele und häufte hohe Verluste an. Trotzdem ließen die Aufseher Millionen-Boni durchgehen, als Top-Manager Ende 2008 das sinkende Schiff verließen.

Vernünftig ist das nicht. Aber ist es auch strafbar?

Ja, sagt die Staatsanwaltschaft Bochum. Sie wirft den Aufsichtsräten Untreue vor - und Middelhoff habe sie angestiftet. 2008 entzogen Investoren dem Arcandor-Chef das Vertrauen, da die Verluste auf mehr als 750 Millionen Euro stiegen. Ende November erklärte sich Middelhoff bereit zum Rückzug. Mit Aufsichtsratchef Friedrich Janssen habe er dann einen viel zu hohen Bonus von knapp 2,3 Millionen Euro ausgehandelt, so die Ankläger, der wenige Tage später auf dem Konto des Managers einging. Erst danach hätten die Aufsichtsrate den Bonus durchgewinkt, ohne vertragliche Grundlage, ohne Nutzen für Arcandor.

Der Richter fragt nach dem Wohnort. Antwort: "Das Gefängnis in Bielefeld."

Middelhoffs Anwältin sieht das freilich anders. Der Vorstandschef habe zuerst formuliert, welcher Bonus für vergangene Jahre angebracht sei; erst danach habe er von seiner Entlassung erfahren. Die Aufsichtsräte wiederum hätten die Forderung nach unten korrigiert; erst dann sei das Geld geflossen. Dass die Entscheidung erst Tage später protokolliert wurde, sei reine Formsache gewesen. "Eine Anstiftung scheidet damit aus", sagt die Verteidigerin.

Von den Aufsichtsräten, denen bei einem Urteil bis zu fünf Jahre Haft drohen, äußern sich zum Auftakt nur die Anwälte der beiden bekanntesten Altherren: Der Verteidiger von Leo Herl argumentiert, der 74-Jährige habe gar kein Interesse gehabt, Arcandor zu schädigen. Als Ehemann der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz habe die Insolvenz einen Großteil seines Familienvermögens vernichtet. Und der Anwalt von Friedrich Janssen, früherer Banker von Sal. Oppenheim, betont die vertragliche Regelung, wonach der Aufsichtsrat nach eigenem Ermessen Boni für "außerordentliche Leistungen" gewähren könne.

Das Gericht muss nun entscheiden, ob die Leistungen außerordentlich genug waren, und ob die gezahlten Millionen in angemessenem Verhältnis zur Lage des Konzerns standen. Eines Konzerns, der schon im Juni 2009 pleite ging. 34 Verhandlungstage hat die Kammer angesetzt; das Verfahren könnte sich bis Weihnachten ziehen.

Ursprünglich ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen 15 Arcandor-Manager. Doch das Gericht hat die Klage nur zum Teil zugelassen. Neben den Millionen für Middelhoff ist eine Millionen-Abfindung übrig geblieben, die der frühere Finanzchef Ende 2008 erhielt, als er den Konzern widerwillig verließ. Dieser Manager ist nun aber nicht wegen Anstiftung angeklagt, entschied das Gericht. Es sei legitim, dass ein Manager eine möglichst hohe Abfindung aushandelt, um seine Interessen zu wahren.

Nur bei Middelhoff steht der Anstiftungsverdacht noch im Raum. Das Geburtstagskind, das schon 2014 hier in Essen wegen Untreue verurteilt und noch im Gerichtssaal festgenommen wurde, äußert sich am Donnerstag nicht. Er sagt nur einen Satz, als ihn der Richter nach dem Wohnort fragt: "Das Gefängnis in Bielefeld momentan." Die Adresse kennt Middelhoff inzwischen auswendig.

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