Thomas Middelhoff: Arcandor:Aktenzeichen 4 O 244/09

Hat der ehemalige Arcandor-Chef Aktionäre hinters Licht geführt? Bislang hat sich Thomas Middelhoff einer direkten Konfrontation mit Klägern entzogen, doch das könnte sich bald ändern

Hans-Jürgen Jakobs

Persönlich lernten sie sich vor einigen Jahren kennen. Da war Thomas Middelhoff noch der charismatische Chef eines deutschen Großunternehmens. In einer Journalistenrunde plauderte er über Karstadt, Quelle und die Chancen an der Börse. Jan-Eric Peters hörte aufmerksam zu. Schließlich interessierte er sich seit langem für Wirtschaft und Aktienkurse; schon 1990 betreute er bei der Münchner Abendzeitung einen Börsenkasten.

Arcandor - Thomas Middelhoff

Hat Thomas Middelhoff die Lage von Arcandor bewusst schöner dargestellt als sie war?

(Foto: dpa)

Heute ist Peters im Axel Springer Verlag der einflussreiche Chefredakteur der Zeitungsgruppe Die Welt - und eine Gefahr für Middelhoff, 57, den einstigen Vorstandschef des Essener Handelsriesen Arcandor. Privat fühlt sich Peters, 45, geneppt von dem Manager. Er hat im Vertrauen auf Versprechungen Aktien gekauft, die rasch an Wert verloren. 50 000 Euro will der Journalist zurück und klagt wegen Falschaussage.

Am 6. Januar 2011 soll es zum Urteil kommen. So startet am Tag der Heiligen Drei Könige vor dem Essener Landgericht, Saal 201, eine ganze Serie juristischer Aufarbeitungen der Ära Middelhoff. Ein kleiner Prozess liefert einen Vorgeschmack auf das, was auf den promovierten Kaufmann zukommen könnte.

Gleich drei Staatsanwaltschaften (Köln, Bochum, Essen) sind mit dessen Hinterlassenschaft beschäftigt. Es geht um den Verdacht der Untreue, es gab eine Razzia in Middelhoffs Büro und seiner Villa in Bielefeld. Der smarte Firmenführer, den Freunde "Big T" nannten, hatte im Bermuda-Dreieck zwischen der Privatbank Sal. Oppenheim, dem Immobilienkönig Josef Esch und der Eigentümerin Madeleine Schickedanz die Traditionsfirmen Karstadt und Quelle an den Abgrund manövriert. Vier Monate nach Middelhoffs Demission, im Juni 2009, ging Arcandor in die Pleite - und der Insolvenzverwalter strengte eine Klage auf Schadenersatz an. Und schließlich läuft ein Verfahren gegen Middelhoff wegen Beihilfe zur Untreue. Er hatte in Sachen Arcandor einen dicken Beratervertrag für Sal. Oppenheim übernommen.

Das alles hätte sich Jan-Eric Peters nicht träumen lassen, als er am 23. September 2008, einem Dienstag, 50.000 Arcandor-Aktien kaufte. Den damaligen Leiter der Axel Springer Akademie hatte ein Interview Middelhoffs im Tagesspiegel begeistert. Da dementierte der Manager: "Eine Kapitalerhöhung ist nicht geplant. Das ist völliger Quatsch." Und protzte: "In unseren Zahlen sehen wir nicht einen Hauch von Krise." Als dann Pressesprecher Jörg Howe am Mittwoch einen Verkauf der Reisetochter Thomas Cook kategorisch ausschloss, kaufte Peters noch mal 20.000 Aktien dazu.

Wenige Stunden später kam alles anders. Arcandor teilte offiziell mit, ein Teilverkauf von Thomas Cook sei möglich. Ein paar Tage später war eine Kapitalerhöhung nötig. Der Aktienkurs stürzte ab wie der Preis für fehlerhaftes Geschirr im Schlussverkauf, der gutgläubige Peters war düpiert. Er sieht eine "sittenwidrige Schädigung".

Erstaunliche Einblicke schon am ersten Prozesstag

Schon der erste Prozesstag im Juni hatte erstaunliche Einblicke in den einst von Middelhoff gelenkten Konzern eröffnet. Es hat sich dort ein Drama abgespielt. Die sieche Arcandor AG ringt intern von August 2008 an um Sanierung. Am 17.September zieht die Royal Bank of Scotland den Stöpsel und will Kredite fällig stellen. Das ist das Umfeld, vor dem Middelhoff per Tagesspiegel ("Wir legen momentan noch zu") Jubelstimmung verbreitet. Kein Hauch von Krise? Wohl eher kein Hauch von Wahrheit. Vier Tage später ist nach einem "Pre-Marketing-Test" klar, dass ein Verkauf von Thomas Cook nicht die benötigten Millionen einbringt. Am 28. September, einem Samstag, erfährt Arcandor-Justiziar Detlev Haselmann, dass Sal. Oppenheim ein Darlehen über 60 Millionen Euro nicht gewährt. Da will der Rechtsexperte spontan auf die Idee einer Kapitalerhöhung gekommen sein - die prompt am Sonntag genehmigt und am Montag durchgeführt wird.

Kapitalerhöhung in einer großen AG innerhalb weniger Stunden? Das ist Rekord. Üblicherweise wird eine solche Aktion lange vorbereitet und ist Sache des Finanzvorstands. Hat Middelhoff den Boden schon vorher bereitet? Hat er also Aktionäre hinters Licht geführt? Immerhin bat er im August 2008 die Wirtschaftsprüfer von KPMG, verschiedene Sanierungsüberlegungen zu prüfen.

Welt-Chefredakteur Peters glaubt, es mit einem Lügengebilde zu tun zu haben. Er arbeite ja selbst in einer AG und wisse, dass man die Lage nicht besser darstellen dürfe als sie ist. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner dürfte nichts dagegen haben, dass der Fall aufgedröselt wird: Er kennt Middelhoff aus gemeinsamen Tagen im Medienhaus Bertelsmann - das hat der Beklagte auch einmal geleitet.

Wäre Peters ein unbekannter Kleinaktionär, würde sich jetzt wohl kaum einer für die letzte September-Woche 2008 interessieren. So aber wird der Rechtsstreit Peters gegen Middelhoff, Aktenzeichen 4 O 244/09, zum Präzedenzfall. Am ersten Prozesstag im Juni traten gleich mehrere Middelhoff-Anwälte auf; er selbst kam nicht. Der Richter legte nahe, das nächste Mal bitte zu erscheinen.

Middelhoffs Anwalt Jasper Hagenberg erklärt, der Vorwurf, der Manager habe die Lage von Arcandor geschönt, sei "nicht aufrechtzuerhalten". Er habe sich "jederzeit korrekt zur Situation des Unternehmens und den laufenden Verhandlungen geäußert". Zu den Angaben des Pressemanns Howe über den Verbleib von Thomas Cook heißt es, der Vorstand habe den Sprecher nicht zu dieser Aussage angewiesen. Das soll eine private Meinung gewesen sein. Der einstige Sat1-Chefredakteur und jetzige Sprecher der Daimler AG soll in Essen aussagen. Er ist als sehr vorsichtiger Mensch bekannt. Derzeit äußert er sich nicht.

Über all die Querelen hat Middelhoffs Ruf als Finanzinvestor erkennbar gelitten. Jüngst stieg er aus der gemeinsamen Firma mit Unternehmensberater Roland Berger und Manager Florian Lahnstein aus und macht nun alleine weiter in seiner Lieblingsstadt New York. Da sitzt er schon im Verwaltungsrat der New York Times und zieht eine Hedgefonds-Firma unter dem Namen Pulse Capital Partner hoch. Einsatz in Manhattan: Von dort aus gesehen ist ein kleiner Gerichtssaal in Essen sehr weit weg.

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