Thomas Cook:Szenen einer Pleite

FILE PHOTO: People relax at Ericeira beach, north of Lisbon

Per Pauschalreise an den Strand. Mit Thomas Cook in Zukunft nicht mehr.

(Foto: Jose Manuel Ribeiro/REUTERS)
  • Die britische Regierung hatte die finanzielle Lage des angeschlagenen Reiseveranstalters beobachtet, die Pleite aber nicht verhindert.
  • Der deutschen Tochter Condor geht es wirtschaftlich gut. Doch jetzt bricht der wichtigste Kunde weg.

Von Jens Flottau und Alexander Mühlauer

Es war noch dunkel, als Peter Fankhauser am frühen Montagmorgen in London vor die Fernsehkameras trat und sagte, was gesagt werden musste: "Wir waren nicht in der Lage, einen Deal zu schließen, um unser Unternehmen zu retten." Mit ruhiger Stimme las der Chef von Thomas Cook jene Sätze vor, die das Aus des ältesten Touristikkonzerns der Welt bedeuten. Fankhauser, ein aus dem Emmental stammender Schweizer, wirkte in diesem Moment zwar erschöpft, aber doch gefasst. Er hatte gehofft, sagte der Manager, dass er diese Stellungnahme nie würde abgeben müssen. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu entschuldigen.

Bei seinen Mitarbeitern, die ein gebrochenes Herz hätten. Bei allen Kunden, die derzeit im Urlaub seien oder eine Reise gebucht hätten. Und natürlich bei den Hoteliers und Partnerfirmen. Das Scheitern der Verhandlungen werde für viele Menschen "verheerend" sein, erklärte Fankhauser. Die Pleite löse "Angst und Stress" aus. Zwei Minuten dauerte seine Ansprache. Dann drehte er den Kameras wieder seinen Rücken zu. Ein Journalist wollte noch wissen, ob er persönlich Verantwortung übernehme. Doch da war Fankhauser schon hinter einer Glastür verschwunden.

Das Wochenende über hatte der Chef von Thomas Cook bis zuletzt versucht, mit den Gläubigerbanken und der britischen Regierung doch noch eine Lösung zu finden. Um einen Kredit in Höhe von 150 Millionen Pfund hatte der Reiseveranstalter die Regierung gebeten, bestätigte Premierminister Boris Johnson schließlich auf seinem Flug zur UN-Generalversammlung in New York. Das wäre viel Geld der Steuerzahler gewesen, sagte Johnson und fügte hinzu: "Der Staat wird sich einschalten müssen, um den gestrandeten Urlaubern zu helfen." Schon seit Monaten hatte die Regierung die finanzielle Lage des angeschlagenen Reiseveranstalters im Auge. Das Außenministerium arbeitete mit der britischen Flugbehörde CAA an einem Notfallplan, genannt "Operation Matterhorn".

Vielleicht war es britischer Humor, dass der Name an die Schweizer Herkunft des Thomas-Cook-Chefs erinnert. Fest steht jedenfalls: Seit Montagmorgen ist die Operation in vollem Gange. Noch in der Nacht starteten erste Flugzeuge zu verschiedenen Zielen auf der Welt. Etwa 150 000 britische Urlauber sollen in den kommenden zwei Wochen nach Hause zurückgeholt werden. Es ist die größte derartige Aktion in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Auch Reisende aus anderen Ländern warten auf Hilfe. Allein mit der deutschen Tochtergesellschaft sind 140 000 Gäste unterwegs. Am Montag und Dienstag wollten 21 000 Menschen in den Urlaub reisen. Doch daraus wird nichts.

Wie groß der Ärger für die Reisenden ist, zeigte sich am Montag an Flughäfen - und vor allem in Hotels, wo Thomas-Cook-Gäste aufgefordert wurden, ausstehende Rechnungen zu begleichen, obwohl die Urlauber die Reise längst bezahlt hatten. Berichten in britischen Medien zufolge soll ein Hotel in Tunesien Gäste regelrecht gefangen gehalten haben; keiner von ihnen durfte die Unterkunft verlassen - erst müsse die Rechnung bezahlt werden, hieß es.

Kein Wunder, dass nicht nur in den sozialen Netzwerken gewaltig über Thomas Cook geschimpft wird. Die Wut ist groß, viele stellen nun auch die hohen Managergehälter infrage. So titelte etwa der britische Telegraph über Fankhauser und seine Spitzenmanager: "Die Chefs von Thomas Cook, die in den vergangenen fünf Jahren 20 Millionen Pfund an Boni verdienten, während das Unternehmen zusammenbrach". Fankhauser selbst hat in dieser Zeit mehr als acht Millionen Pfund erhalten. Die Pleite der Firma trifft nun aber vor allem Mitarbeiter mit viel geringeren Gehältern. Viele von ihnen mussten bereits am Montag ihre Sachen packen und das Unternehmen verlassen. In der BBC waren Bilder von Arbeitnehmern zu sehen, die mit Tränen in den Augen den Konzernsitz verließen. Insgesamt 21 000 Mitarbeiter sind bei dem 1841 gegründeten Reiseveranstalter in 16 Ländern beschäftigt.

Der britische Touristikkonzern litt unter dem drohenden Brexit und dem schwachen Pfund

Die finanzielle Lage von Thomas Cook hatte sich in den vergangenen Monaten zugespitzt. Der Konzern ist vor allem durch eine milliardenschwere Abschreibung auf ein britisches Tochterunternehmen und ein schwächeres Reisegeschäft ins Schleudern geraten. Stärker als etwa der Konkurrent Tui litt der britische Touristikkonzern unter dem drohenden Brexit und dem schwachen Pfund. Angesichts der unsicheren politischen Lage verzichten viele Briten auf Urlaubsreisen ins Ausland. Pro Jahr entschieden sich weltweit 19 Millionen Urlauber für eine Reise mit Thomas Cook. Die Pleite trifft nun vor allem Länder wie Spanien, Griechenland oder die Türkei. Dortige Hoteliers und Restaurantbesitzer müssen mit hohen Einbußen rechnen.

In Deutschland steht nach der Pleite der britischen Muttergesellschaft der Fortbestand von heimischen Reiseveranstaltern wie Neckermann, Öger Tours oder Bucher sowie der Ferienfluggesellschaft Condor infrage. Die deutschen Thomas-Cook-Veranstalter ließen von Montag an keine neuen Buchungen zu und arbeiteten nach eigenen Angaben an "letzten Optionen", wie sie Insolvenzen vermeiden könnten. Condor nahm keine Kunden mehr an Bord, die über die konzerneigenen Reiseveranstalter gebucht haben.

Die Ferienfluggesellschaft hat bei der Bundesregierung eine Bürgschaft für einen Übergangskredit beantragt, um den Flugbetrieb aufrechterhalten zu können. Die Bundesregierung arbeitet einem Sprecher zufolge "mit Hochdruck" an dem Fall.

Auch konkurrierende Veranstalter wie TUI müssen auf eine Rettung hoffen

Condor selbst ist eigentlich wirtschaftlich gesund und profitabel, durch die Insolvenz des Konzerns fällt ihr aber der mit Abstand wichtigste Kunde weg. Nun hat Condor SZ-Informationen zufolge wichtigen Partnern wie etwa Flughäfen Vorkasse angeboten - das Unternehmen zahlt seine Gebühren also sofort. Branchenkreise äußerten sich tendenziell optimistisch zu den Aussichten, dass die Bundesregierung Condor hilft. "Alle wollen, dass die Condor überlebt", sagte ein Insider. Die hessische Landesregierung machte deutlich, sie sei grundsätzlich offen dafür, eine "ergänzende Landesbürgschaft" zur Verfügung zu stellen. Die Flughäfen haben ein großes Interesse daran, dass der Flugbetrieb fortgeführt wird. Auch konkurrierende Veranstalter wie Tui, die Zehntausende Kunden von Condor in den Urlaub fliegen lassen, müssen auf eine Rettung hoffen.

Die Bundesregierung hatte nach der Insolvenz von Air Berlin für einen Kredit in Höhe von 150 Millionen Euro gebürgt, mit dessen Hilfe die Airline zunächst weiterfliegen konnte. Anschließend übernahmen Lufthansa, Easyjet, Condor und Ryanair Teile des Unternehmens. Der Kredit ist mittlerweile komplett zurückgezahlt.

Die Lufthansa prüft den Kauf der Condor. Jedoch ist sich die Lufthansa intern nicht einig

Ein Kredit wäre allerdings nur eine kurzfristige Lösung. Daher versucht das Unternehmen nach SZ-Informationen, die Pleite durch einen Notverkauf zu verhindern. Ob die Lufthansa aber ihre ehemalige Tochtergesellschaft rettet, ist ungewiss. Dem Vernehmen nach ist man sich im Konzern nicht einig über das Vorgehen. Eine Denkschule argumentiert, Condor könne künftig das touristische Geschäft vor allem auf der Langstrecke übernehmen. Die Gegenseite warnt vor den hohen finanziellen Risiken. Condor fliegt seit Montag mit halb leeren Maschinen, dadurch schwinden die finanziellen Reserven schnell.

Unklar ist, ob die Europäische Kommission einer Übernahme durch die Lufthansa zustimmen würde. Beobachter rechnen in jedem Fall mit einer eingehenden Prüfung, die viele Monate in Anspruch nehmen würde. Zudem hat Lufthansa erhebliche Zugeständnisse machen müssen, als sie Teile von Air Berlin integrierte. Daher würden, sollte Lufthansa tatsächlich einsteigen wollen, die Europastrecken der Condor zumindest stark ausgedünnt werden. Andererseits gibt es bislang eher geringe Überschneidungen zwischen Lufthansa und dem Condor-Langstreckennetz. Condor betreibt derzeit eine Flotte von 58 Maschinen und beschäftigt rund 4000 Mitarbeiter. Rund 40 Flugzeuge werden in Europa eingesetzt, der Rest fliegt auf Langstrecken nach Nordamerika, Afrika und in die Karibik.

Korrektur: In einer anderen Ausgabe dieses Artikels haben wir in der Bildunterschrift Portugal fälschlicherweise am Mittelmeer verortet. Richtig ist natürlich die Lage am Atlantischen Ozean.

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28 05 2018 Stockholm Schweden SWE Man betrachtet ein Flugzeug aus dem Terminal heraus *** 28

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