Theo Waigel im Interview:"Was die Griechen gemacht haben, ist übel"

Ex-Finanzmininister Theo Waigel über den Kursverfall der Währung, Griechenland - und die kontrollierte Ausweitung der Inflation.

Hans von der Hagen

Theo Waigel, 70, war von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister und damit an den wichtigen Weichenstellungen für den Euro beteiligt. Auch der Name der Gemeinschaftswährung stammt von ihm. Die Entscheidung über die Teilnahme Griechenlands in der Währungsunion fiel nach seiner Amtszeit, doch an den Finanzmärkten hat die Manipulation griechischer Haushaltsdaten jetzt eine Vertrauenskrise ausgelöst: Anleger fliehen aus dem Euro in den Dollar.

Theo Waigel im Interview: Theo Waigel: "Wer immer Probleme über Inflation lösen wollte, kämpfte am Ende nicht nur mit der Entwertung des Geldes, sondern zusätzlich mit wirtschaftlicher Stagnation."Ex-Finanzminister Theo Waigel arbeitet mittlerweile als Anwalt in einer Münchner Kanzlei und als Compliance Monitor bei Siemens.

Theo Waigel: "Wer immer Probleme über Inflation lösen wollte, kämpfte am Ende nicht nur mit der Entwertung des Geldes, sondern zusätzlich mit wirtschaftlicher Stagnation."

Ex-Finanzminister Theo Waigel arbeitet mittlerweile als Anwalt in einer Münchner Kanzlei und als Compliance Monitor bei Siemens.

(Foto: Foto: Getty)

sueddeutsche.de: Sie gehören zu den Vätern des Euro. Zuletzt hat die Währung erheblich an Wert eingebüßt. Machen Sie sich Sorgen um Ihr Euro-Kind?

Theo Waigel: Der Euro ist heute um fast 20 Cent teurer als bei der Einführung. Er ist so stark, wie es die D-Mark in ihren stärksten Zeiten war. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.

sueddeutsche.de: Das wurde an den Finanzmärkten zuletzt anders gesehen: Ein Verlust von fast zehn Prozent in gut zwei Monaten ist für eine Währung viel.

Waigel: Es liegt aber durchhaus in der Schwankungsbreite, die auch andere starke Währungen hatten. 1985 habe ich zum ersten Mal die US-Notenbank Federal Reserve besucht. Damals bekam man für einen Dollar 3,40 Mark. Zehn Jahre später kostete der Dollar nur noch 1,35 Mark. Das zeigt, welche Schwankungen sich innerhalb von einigen Jahren ergeben können.

sueddeutsche.de: Ein wesentlicher Grund für den Kursverfall beim Euro ist Vertrauensverlust: Griechenland hat die Öffentlichkeit bei den Haushaltsdaten betrogen. Welchen Ländern in der EU darf man noch Glauben schenken?

Waigel: Was die Griechen gemacht haben, ist übel. Ich betone aber, dass es nach meiner Zeit stattfand. Als ich 1998 noch die Entscheidung mit herbeiführte, wer zu den Eurostaaten gehören sollte, war Griechenland nicht dabei. Was da passiert ist, ist schlimm. Doch die anderen Länder sind langfristig ihren Stabilitätsverpflichtungen nachgekommen. 2008 waren die Finanzkennziffern Europas so gut wie noch nie in der Geschichte.

sueddeutsche.de: Der Begriff 'gut' ist dehnbar. Die Defizite der Euroländer sind gewaltig - ganz abgesehen von den Verpflichtungen, die bei allen Ländern außerhalb des regulären Zahlenwerks geführt werden. Wann sollen die Schuldenberge je wieder abgebaut werden?

Waigel: Es ist möglich. Das zeigte sich in der Periode von 1988 bis 1998. In diesen Jahren haben die meisten Länder gewaltige Forschritte erzielt, weil sie bei der Währungsunion dabei sein wollten. Länder, die zuvor regelmäßig mit sechs, acht oder gar zehn Prozent Defizit arbeiteten, machten sich auf den Weg zur Stabilität. Auch Deutschland erreichte die Kriterien, obwohl wir jedes Jahr vier bis fünf Prozent des Bruttosozialprodukts für die Wiedervereinigung ausgaben. Nun bleibt den Ländern nichts anderes übrig, als genau das zu machen, was zwischen 1988 bis 1998 schon einmal mit Erfolg passiert ist.

sueddeutsche.de: Wird das auch geschehen?

Waigel: Davon bin ich überzeugt, weil wir mittlerweile ein europäisches Stabilitätsbewusstsein haben. Vor Einführung des Euro hat man die Deutschen, die Niederländer und andere Stabilitätsstaaten für verrückt gehalten - doch dann haben alle Länder unsere Stabilitätskultur übernommen. Außerdem haben wir eine Europäische Zentralbank, die ihre Sache in den letzen zehn Jahren ausgezeichnet gemacht hat - und die sich damit sehr positiv von der Politik der Federal Reserve abgehoben hat.

sueddeutsche.de: Einige bekannte Ökonomen sind nicht sicher, ob der Defizitabbau noch gelingen kann. Sie plädieren für eine "kontrollierte Inflation", um die Schuldenberge abzubauen. Ist das ein Ausweg, über den man mittlerweile nachdenken muss?

Waigel: Nein. Wer immer Probleme über Inflation lösen wollte, kämpfte am Ende nicht nur mit der Entwertung des Geldes, sondern zusätzlich mit wirtschaftlicher Stagnation - mit der berüchtigen Stagflation also. Schon die Gleichung des von mir sehr geschätzten Helmut Schmidt, 'lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit', ist nie aufgegangen. Wenn die Inflation steigt, steigen auch die Zinsen, sofern die Unabhängigkeit der Notenbank nicht außer Kraft gesetzt würde. Höhere Zinsen machten den Schuldenberg noch teurer - die Staaten würden sich selbst bestrafen.

Fehlt den Staaten mit der Landeswährung ein Notventil?

sueddeutsche.de: Kritiker haben schon vor Einführung des Euro moniert, dass den Teilnehmerstaaten mit der Landeswährung ein Schutz vor ausufernden Defiziten genommen wird. Eine Abwertung der Währung kann Notventil sein. Doch die Bedenken wurden damals beiseitegewischt. Was können Sie den Kritikern heute noch entgegenhalten?

Waigel: Wir haben überhaupt keine Bedenken beiseitegewischt. Die Defizite der Länder, über die wir heute reden, waren vor Einführung des Euro noch höher. Nur hat es damals kein europäisches Stabilitätsbewusstsein gegeben. Was früher in Irland, Portugal oder in Griechenland ablief, war uns in Deutschland mehr oder weniger gleichgültig. Dafür haben wir die Folgen getragen: Immerhin hat es von 1979 bis Anfang der neunziger Jahre im alten Europäischen Währungssystem 20 Umstellungen gegeben - jedes Mal mit großen Nachteilen für die D-Mark, die meistens aufwerten musste. Insgesamt hat sich - abgesehen von der Finanzkrise - die wirtschaftliche Situation der Euroländer gebessert.

sueddeutsche.de: Trotzdem sind die Probleme einzelner Länder seit Jahren bekannt und die EU konnte sich höchstens eine "Beunruhigung" abringen. Was muss geschehen, damit Brüssel die Probleme in den Griff bekommt?

Waigel: Hier muss vor allem die statistische Aufbereitung und die Kontrolle entscheidend verbessert werden. Die EU-Kommission braucht gerade in Verdachtsfällen Möglichkeiten zur Überprüfung. Es reicht nicht, den Angaben inländischer Statistiken zu vertrauen.

sueddeutsche.de: Es gibt einen Maastricht-Vertrag, der klare Regeln für den Euro-Betrieb aufstellt. Müssen die Sanktionen für die Brechung der Regeln verschärft werden?

Waigel: Ich hätte nichts dagegen. Wichtiger aber wäre es, eine Automatik einzuführen: Ein Bruch der Regeln wird umgehend geahndet. Bislang befindet der Europäische Rat über Sanktionen und da sitzen alte und neue Sünder nebeneinander. Da neigt man zu Kompromissen.

sueddeutsche.de: Braucht die EU zur Lösung der Probleme eine gemeinsame Wirtschaftspolitik?

Waigel: Es darf keine Gegenregierung zur Europäischen Zentralbank geben. Ihre Unabhängigkeit muss gewahrt bleiben. Doch gegen eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik ist nichts einzuwenden. Letztlich muss aber jedes Land selbst für seinen Haushalt sorgen und die Wirtschaftspolitik entsprechend gestalten. Die lokalen Regierungen sind näher an der Bevölkerung dran. Am Ende müssen sie erklären, was passiert.

sueddeutsche.de: Aber eine gemeinsame Wirtschaftspolitik stellt nicht per se die Unabhängigkeit der Notenbank infrage ...

Waigel: Doch, sofern an eine europäische Wirtschaftsregierung gedacht wird. Dahinter stecken immer wieder französischen Initiativen, mit dem Versuch, die geldpolitischen Entscheidungen der EZB stärker zu beeinflussen. Dem Euro hat es aber gutgetan, dass die EZB noch unabhängiger ist als es die Bundesbank war.

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