Unter welchen erbärmlichen Bedingungen Menschen in den Textilfabriken in Bangladesch arbeiten, interessierte lange Zeit kaum jemand. Dann starben Ende April 2013 bei einem Fabrikeinsturz 1127 Menschen, mehr als 2400 wurden verletzt. Gewerkschaften und Konsumentengruppen machten Druck.
Die Bekleidungshersteller, die in Bangladesch fertigen lassen - und das sind fast alle Modefirmen der Welt - reagierten mit der Gründung zweier Vereinigungen, die die Arbeitssicherheit und die von Gebäuden ihrer Lieferanten prüfen sollten. Bangladesch ist hinter China zweitgrößten Textilexporteur.
"Wir haben in allen Fabriken Sicherheitsmängel gefunden"
Europäische Firmen wie H&M, Adidas, Benetton oder Aldi riefen ein Bündnis ins Leben, den "Bangladesh Accord on Fire and Building Safety", dem mittlerweile 189 Firmen angehören. Jetzt wurden die geplanten Inspektionen durchgeführt, die Ergebnisse sind erschreckend.
"Wir haben in allen Fabriken Sicherheitsmängel gefunden", sagte Braid Loewen, Chefinspektor beim "Bangladesh Accord". Es gebe mehr als 80 000 Sicherheitsmängel in 1106 inspizierten Fabriken, teilte das Bündnis am Dienstag mit. Dazu zählen Baumängel oder fehlende Feuerschutzeinrichtungen.
Bereits im Juli hatte die von amerikanischen Unternehmen wie Walmart oder Gap dominierte Vereinigung The Alliance for Bangladesh Worker Safety (26 Firmenmitglieder) ihre Inspektionen in 587 Fabriken abgeschlossen.
In mehr als 40 Fabriken sind die Sicherheitsmängel so groß, dass Inspektoren einer der beiden Organisationen eine vorübergehende Schließung empfohlen haben. Die Entscheidung trifft jedoch eine nationale Behörden. Sie hat bislang weniger als die Hälfte dieser Fabriken geschlossen. Beispielhaft ist der Streit um die Stärke und Belastbarkeit des Betons, mit dem Gebäude vor dem Jahr 2005 gebaut wurden.
Kontrolleure des Accord schätzen dessen Tragkraft geringer ein als die Berater der staatlichen Stellen von der Hochschule für Ingenieurwesen und Technologie in Bangladesch.
Ihr Forum:Wie lassen sich die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie verbessern?
Ende April 2013 starben bei einem Fabrikeinsturz in Bangladesch mehr als 1000 Menschen, mehr als 2400 wurden verletzt. Nach dieser Katastrophe sollten die vielen Sicherheitsmängel in den Textilfabriken behoben werden, doch aktuelle Kontrollen zeigen: Es ist wenig passiert.
Ob die Kontrollen die Sicherheit für die vier Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie des Landes verbessern, hängt von der Umsetzung der Empfehlungen ab. Inspektionen seien der einfache Part, nun komme der harte Teil, sagte Ian Spaulding, Berater bei der Alliance. Die entscheidende Frage ist, ob die Fabrikbesitzer mitziehen. Das Bündnis veranschlagt die notwendigen Investitionen für die Behebung der Mängel auf durchschnittlich 250 000 Dollar je Fabrik. Laut Accord können die Kosten bei einzelne Fabriken sogar bei einer Million Dollar liegen.
Die Vereinigung der bengalischen Textilexporteure hat schon Alarm geschlagen, weil sie befürchtet, dass die Kosten die Zahl der Textilfabriken in Bangladesch reduzieren könnte. Die Textilfabrikanten sind jedoch mächtig in Bangladesch, zumal viele Fabrikbesitzer selbst in der Politik tätig sind.
Kritiker sprechen von einer "Kultur der Verantwortungslosigkeit", was die Arbeitsbedingungen im Land anbelangt. Ins Bild passt die schleppenden Überprüfung von 1500 Fabriken, die nicht direkt für Accord- oder Alliancemitglieder produzieren. Sie will der Staat kontrollieren. Bisher haben die Behörden jedoch erst 400 von ihnen kontrolliert.
Die Hersteller machen Druck
Verständlicherweise fürchten westliche Modefirmen und Händler die öffentliche Diskussion und mögliche Imageschäden. Sie wollen vor allem verhindern, dass eingestürzte oder ausgebrannte Fabriken oder Kinderarbeit mit ihren Produkten in Verbindung gebracht werden - sie verderben den Konsumenten die Kauflaune, schädigen das Geschäft. Daher machen die Hersteller bei beiden Themen Druck.
Ganz anders sieht es dagegen beim Thema Mindestlohn aus: Selbst engagierte Firmen wollen ausreichende Löhne erst dann zahlen, wenn sie insgesamt in einem Land gelten. Das begründen die Unternehmen mit der Marktlogik: Einzelne Hersteller würden meist für mehrere Kunden produzieren, da könnten keine unterschiedlichen Löhne in der gleichen Fabrik gezahlt werden.
Tatsächlich reichen in vielen Ländern die gesetzlichen Mindestlöhne jedoch kaum zum Überleben aus, gerade auch in der Textilindustrie, in der alleine in Asien rund 15 Millionen Menschen arbeiten. Umstritten ist allerdings, wie hoch ein existenzsichernder Mindestlohn tatsächlich sein könnte. Nach Ansicht von Asia Floor Wage, einem Bündnis asiatischer Gewerkschaften und NGOs, müsste der gesetzliche Mindestlohn in Bangladesch verfünffacht werden. Umgelegt auf die Kosten für ein einzelnes Kleidungsstück wären selbst dies nur Mehrkosten von einigen Cent.
Das Thema existenzsichernder Löhne könnte sich auch als ein Knackpunkt bei dem von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) angestoßenen Bündnis für nachhaltige Textilien. Einzelheiten zum Aktionsplan will der Minister an diesem Donnerstag in Berlin verkünden.
Schon jetzt droht dem Bündnis ein Fehlstart. Wichtige Verbände wie der Handelsverband HDE und Textil und Mode werden den Plan wohl nicht unterzeichnen. In Krefeld kündigten Aktivisten für diesen Mittwoch Proteste gegen die Eröffnung einer Filiale der Billig-Textilkette Primark an.