Textilindustrie in Bangladesch:Das schmutzige Geschäft mit den Billigklamotten

Jahrestag - Fabrikeinsturz in Bangladesch

Ein Jahr danach: Überlebende des Rana-Plaza-Unglücks nähen Kleidung in der neu gegründeten Firma Oporajeo ("die Unbesiegten") in Dhaka, Bangladesch.

(Foto: dpa)

Mango, Benetton, C&A - sie alle lassen ihre Kleidung in Bangladesch produzieren. Allerdings unter lebensbedrohlichen Arbeitsbedingungen. Das zeigte sich vor einem Jahr, als die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch einstürzte. Für die Näherinnen hat sich manches verändert - aber nicht genug.

Von Caspar Dohmen, Berlin

Die Aktivisten sind schwarz angezogen und tragen weiße Masken. Regungslos liegen sie im Schatten der Gedächtniskirche in der Berliner Einkaufsmeile auf dem Boden, bedeckt mit Pappschildern, die die Trümmer von der eingestürzten Fabrik Rana Plaza symbolisieren sollen. Auf den Schildern sind die Logos der Unternehmen zu sehen, die im Rana Plaza produzieren ließen: KiK, Adler, C&A, Mango, Benetton.

Vor einem Jahr stürzte binnen 90 Sekunden der mehrstöckige Gebäudekomplex ein. Mehr als 1100 Menschen starben, mehr als 2400 wurden verletzt. Und es war nicht das erste Unglück an den Werkbänken des Südens. Angesichts des Ausmaßes des Unglücks katapultierte die Katastrophe in der bangladeschischen Stadt Savar jedoch die Frage nach der Verantwortung für Produktionsbedingungen wieder einmal auf die globale Tagesordnung.

Die öffentliche Empörung war groß in den Industrieländern, die fast alle Waren abnehmen. Aber die finanziellen Hilfen sind bislang gering ausgefallen. Daran erinnern Organisationen wie die Kampagne für saubere Kleidung, Verdi oder Medico international mit diversen Aktionen in diesen Wochen. Firmen zahlten bislang sieben Millionen Dollar in die Hilfsfonds ein. 40 Millionen Dollar wären laut Internationaler Arbeitsorganisation ILO nach ihren Statuten angebracht, umgerechnet also etwa 8000 Dollar je Opfer. Vielen Betroffenen fehlt noch immer Geld für den Arzt, eine Prothese, Miete und Essen.

Ein Gütesiegel soll künftig über die Produktionsbedingungen informieren

Seit dem Unglück kam es in Bangladesch immer wieder zu Protesten der Beschäftigten, obwohl die Regierung im November 2013 den Mindestlohn auf 5300 Taka (50 Euro) erhöhte. Ein existenzsichernder Lohn liegt nach Ansicht der asiatischen Grundlohnkampagne jedoch fünfmal so hoch.

Eine eingestürzte Fabrik mit Toten und Verletzten sorgt für katastrophale Bilder, eine schlecht bezahlte Näherin hingegen nicht. Vielleicht sorgen sich Industrie und Handel im Norden deswegen seit dem Unglück mehr um sichere Arbeitsbedingungen als um höhere Löhne.

Als größten Fortschritt betrachten auch Kritiker das Brandschutzabkommen Accord, für dessen Einführung Nichtregierungsorganisationen (NGO) zuvor kaum Gehör fanden. Seit dem Unglück unterzeichneten es 150 Händler und Hersteller aus der Modebranche. Ihre Zulieferfabriken müssen demnach auf Statik und Brandschutz geprüft werden. Noch fehlen indes Inspektoren, weswegen die Kontrollen schleppend verlaufen. Einige Fabriken wurden jedoch zwangsweise geschlossen.

"Langsam geht es voran", sagt Stefan Wengler, Geschäftsführer bei der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE). "Eine Gewähr für nachhaltig wirksame Verbesserungen gibt es aber noch nicht". Härter fällt dagegen das Urteil von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) aus: "Es hat sich nichts Grundlegendes in den Standards verändert", mahnte er mit Blick auf den Jahrestag des Unglücks. "Wir leben hier im Wohlstand auf dem Rücken der Menschen dort, und das müssen wir ändern." Er will deswegen den Handel auf ökologische und soziale Standards in der gesamten Wertschöpfungskette von Textilien verpflichten und schlägt dafür die Einführung eines neuen Siegels vor. Über seine Idee will Müller Ende April mit Vertretern der Industrie sprechen.

Auch die Regierungen der Schwellenländer sind Teil der Abwärtsspirale

Widerstand ist absehbar. AVE-Geschäftsführer Wengler bezeichnete die Idee bereits als "praktisch kaum umsetzbar. Das lässt sich nicht bezahlbar darstellen", warnte er und begründete dies mit der langen Wertschöpfungskette in der Textilwirtschaft, die vom Anbau der Baumwolle über das Spinnen der Garne und Färben der Stoffe bis hin zum Zuschnitt mindestens zehn Stationen umfasse. "Die Idee von einem Siegel klingt gut. Wir können uns das für die letzte Stufe der Verarbeitung der Waren vorstellen, aber nicht für die gesamte Wertschöpfungskette", sagte Wengler. Er erwartet sogar eine Verknappung und Verteuerung der Waren, wenn es zu einer verpflichtenden Einführung eines solchen Siegels für die gesamte Wertschöpfungskette kommen sollte.

Genau dies halten NGOs und Gewerkschaften jedoch für unverzichtbar, wenn eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken gelingen soll. "Die Einführung eines weiteren Siegels allein bewirkt wenig", sagt Sandra Dusch Silva von der Kampagne für Saubere Kleidung.

Zweifel an Fortschritten alleine durch freiwillige Regelungen der Unternehmen schürt eine neue Studie der Ökonomen Ronald Davies und Krishna Chaitanya Vadlamannati aus dem Journal of Development Economics. Ihre Beobachtung: Regierungen aus Entwicklungs- und Schwellenländern versuchten bewusst, im globalen Standortwettbewerb mit dem Verbot von Gewerkschaften und fragwürdigen Arbeitsgesetzen zu punkten. Es entstehe eine regelrechte Abwärtsspirale, schreiben die Wissenschaftler.

Käufer für faire Kleidung gäbe es durchaus

Bei NGOs hält man eine verbindliche Kontrolle der Wertschöpfungskette von Textilien auf Einhaltung ökologischer und sozialer Standards für machbar. Sinnvoll wäre eine Kombination bestehender Ansätze, sagt Dusch Silva und verweist auf den Fairen Handel, die Fair Wear Foundation und den Global Organic Textil Standard (GOTS). Bei der Dachorganisation des internationalen fairen Handels FLO beschäftigt man sich neuerdings mit einer Zertifizierung der gesamten Wertschöpfungskette von Textilien.

Käufer gäbe es für solche Waren - das zeigt auch eine Süddeutsche.de-Umfrage unter Passanten in Münchener Einkaufsstraßen in diesen Tagen: Für faire Kleidung mit gutem Siegel würden mehrere Menschen mehr ausgeben, eine Kundin würde dafür gerne "zehn Euro" zahlen. Man müsse berücksichtigen, dass die Arbeitsplätze in Bangladeschs Textilindustrie auch Familien ernähren, sagt ein Passant. "Man ist gezwungen, billiger einzukaufen", sagt dagegen eine junge Frau, die gerne selbst mehr Lohn hätte.

Wer will, findet schon heute Kleidung, die er mit gutem Gewissen tragen kann. Allerdings gibt es diese Waren meist nur in kleinen Boutiquen oder speziellen Online-Anbietern wie Zündstoff oder dem Bekleidungssyndikat. Beide importieren direkt T-Shirts von einer kleinen Fabrik in Nicaragua. 30 Frauen und Männer nähen dort in Eigenregie in einer genossenschaftlich organisierten Fabrik am Rande der Hauptstadt Managua. Sie zahlen mehr als den Mindestlohn, arbeiten 48 Stunden, erhalten Urlaubs-, Weihnachts- und Krankengeld. Vor allem jedoch arbeiten die Leute fröhlich in der Fabrik. Sie unterhalten sich bei der Arbeit und hören Musik. Das ist das Erste, was einem auffällt, wenn man sie dort besucht.

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