Die mehr als drei Millionen Arbeiter stellen Kleidung für den Weltmarkt her, viele von ihnen in den acht Export Processing Zones (EPZ). Wer in diesen privilegierten Wirtschaftszonen eine Fabrik gründet, zahlt dafür in den ersten beiden Jahren überhaupt keine Steuern. In den nächsten zwei Jahren sind 50 Prozent steuerfrei, dann ein Jahr immerhin noch 25 Prozent. Zudem können die Produkte in die EU billig eingeführt werden. Das "Allgemeine Präferenzsystem" der Union befreit Entwicklungsländer größtenteils von Zöllen.
Wirtschaftsnobelpreisträger Mohammad Yunus, einer der berühmtesten Bangladescher, schreibt, die Textilarbeiter in Bangladesch lebten unter Bedingungen wie europäische Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung (PDF). Ihre ständigen Streiks behinderten zwar die Wirtschaft, ihr Frust sei aber nachvollziehbar. Der Behörde zufolge, die für die EPZ zuständig ist, liegen die Mindestlöhne in der Textilbranche seit 2010 bei 33 Euro im Monat für Hilfskräfte und reichen bis zu 75 Euro für "Hochqualifizierte" - zumindest auf dem Papier (PDF).
Die Stundenlöhne liegen bei 17 Cent - noch deutlich unter jenen der anderen großen Textilexporteure wie Kambodscha (25 Cent), Vietnam (29 Cent), Indien (39 Cent), China (ca. 1 Euro) und der Türkei (1,86 Euro). Oft enthielten Fabrikbesitzer den Arbeitern ihren Lohn sogar komplett vor, schreibt Yunus. Zudem könnten sie jederzeit ohne konkreten Anlass gekündigt werden, und die direkten Vorgesetzten behandelten die Arbeiter schlecht. Wer protestiere, würde oft entlassen, verhaftet oder sogar von bezahlten Schlägern der Fabrikbesitzer angegriffen. Nur die Hälfte der Textilfabriken erfüllt die vorgegebenen Sicherheitsstandards, sagte ein Aktivist der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Da es in den wirtschaftlichen Sonderzonen keine Gewerkschaften gebe, könnten die Arbeiterinnen keinen Einfluss auf die Politik nehmen, schreibt Yunus weiter. Erst 2004 verabschiedete Bangladesch - auch auf Druck ausländischer Politiker - ein Gesetz, nach dem "welfare councils", eine Art Betriebsräte, gegründet werden dürfen. Ihre Macht ist aber nicht mit westlichen Arbeitnehmervertretern zu vergleichen. Laut US-Außenministerium ignorieren viele Fabriken das Gesetz ohnehin komplett. Regierungsbehörden wie das Exportförderungs-Büro des Handelsministeriums machen bei Investoren sogar Werbung mit der schwachen Stellung der Arbeiter. Auf dessen Website findet sich unter der Überschrift "Produktionsorientiere Arbeitsgesetze" der Unterpunkt: "Jegliche Bildung von Gewerkschaften in den EPZ ist verboten."
Pfusch am Bau und die Weigerung der Verantwortlichen, das Gebäude zu evakuieren, soll die Ursache der Katastrophe vom Mittwoch vergangener Woche sein. Auch 2005, 2006 und 2010 starben viele Menschen in einstürzenden Textilfabriken.
Das größte Risiko für die Arbeiter in den engen Fabriken ist aber das Feuer: Zwischen 2006 und 2012 kamen mindestens 579 Arbeiter bei Hunderten Bränden ums Leben. Im November 2012 starben beim bislang schwersten Fabrikbrand in der Geschichte des Landes 117 Menschen. Alleine in den zwei folgenden Monaten kam es zu 28 weiteren Feuern (die niederländische Nichtregierungsorganisation Somo schildert in einem Bericht die Defizite beim Brandschutz in bangladeschischen Fabriken).
Für die 100.000 Fabriken der Hauptstadt Dhaka waren vergangenes Jahr der Organisation Human Rights Watch zufolge gerade mal 18 Inspektoren zuständig. Doch nicht nur skrupellose bangladeschische Geschäftsmänner, die sich ziemlich sicher sein können, dass ihnen die Bauaufsicht nur selten einen Besuch abstatten wird, profitieren von der miserablen Situation der Arbeiter.
Deutschland importierte Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge aus Bangladesch 200.000 Tonnen Klamotten im Wert von 2,9 Milliarden Euro - nur China und die Türkei sind wichtiger für den deutschen Modemarkt. Die mittlerweile vom Netz genommene Website des Herstellers New Wave Style, eine der Firmen, die im Rana-Plaza-Bau produzierten, listete bis vergangene Woche ihre angeblichen Kunden auf: Dort stehen unter anderem die Namen des irischen Ramsch-Klamottenhändlers Primark, Mango, Benetton - und der Quelle-Versand. Das italienische Unternehmen Benetton will nur einmal dort bestellt haben. Die Otto Group, welcher der Versandhandel des einstigen Quelle-Imperiums mittlerweile gehört, sagt Süddeutsche.de, es müsse sich um eine alte Information aus der Zeit vor dessen Insolvenz handeln. Die Otto Group jedenfalls könne "absolut ausschließen", dass sie dort "Aufträge platziert" habe.