Textilindustrie:Die Karawane stoppen

Textilarbeiter in Kambodscha

Textilarbeiterinnen in Kambodscha. Ihr Lohn reicht meist nicht, um die Grundbedürfnisse ihrer Familien zu decken. Das soll sich nun ändern.

(Foto: Mak Remissa/dpa)

Viele Hersteller ziehen auf der Suche nach Billigstandorten von einem Land zum anderen. Ein Pilotprojekt in Kambodscha soll das verhindern, stößt aber auf Schwierigkeiten.

Von Caspar Dohmen, Berlin

In der Textilindustrie spielt menschliche Arbeit eine wichtige Rolle, besonders beim Nähen der Bekleidung. Entsprechend schauen Marken und Händler genau auf die Lohnkosten. Steigen sie an einem Standort, verlagern sie die Fertigung an einen anderen. So zog etwa die Karawane aus Mitteleuropa seit den Sechzigerjahren erst nach Südeuropa, dann in Staaten wie Marokko oder die Türkei und später nach Asien, in jüngerer Zeit teilweise auch nach Afrika. Schon bei geringen Lohnunterschieden setzt sich die Karawane in Bewegung, was ein wesentlicher Grund dafür ist, dass es bisher zu keinen deutlichen Lohnverbesserungen für die Beschäftigten gekommen ist. Viele können von ihrem Lohn nicht einmal die existenziellen Bedürfnisse wie Nahrung, Wohnung, Gesundheit und Bildung der Kinder decken.

Die Verhältnisse verbessern und gleichzeitig die Karawane stoppen will nun die Initiative Action, Collaboration, Transformation (ACT), zu der sich 21 Modeunternehmen mit dem globalen Gewerkschaftsverbund IndustriALL zusammengeschlossen haben. Dazu zählen Unternehmen wie Inditex (unter anderem mit der Marke Zara), H&M, C&A und Tchibo. Künftig sollen die Löhne in Produktionsländern durch einen Flächentarifvertrag zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden, ganz so, wie es in Deutschland üblich ist. Aber in Asien oder Afrika wäre dies eine kleine Revolution.

"Die Löhne sollen dynamisch steigen", sagt ACT-Geschäftsführer Frank Hoffer, der vorher 20 Jahre bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO für Tariffragen zuständig war. Erreicht werden soll dies, indem bei Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften jeweils ein Lohnplus vereinbart wird, welches über dem Zuwachs der Produktivität und Inflation liegt. Heute sind die staatlich festgesetzten Mindestlöhne maßgeblich für die meisten Textilarbeiterinnen. Diese Löhne hinken regelmäßig hinter der Inflationsentwicklung her, weswegen es zu keiner durchgreifenden Verbesserung der Lohnsituation kommt.

Es gebe Verhandlungen in Myanmar, der Türkei, Bangladesch und Vietnam; am weitesten gediehen seien sie in Kambodscha, sagt Hoffer. Dort gab es intensive Gespräche mit Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften, um die Lohnsituation für die 750 000 Textilarbeiterinnen zu verbessern. Um ihre Zulieferer davon zu überzeugen, dass sie es ernst meinen, sind die Mitgliedsunternehmen von ACT bereit, über ihren Schatten zu springen und verbindliche Zusagen für die Produktion zu geben. Sie wollen selbst bei kräftigen Lohnsteigerungen in Kambodscha mindestens bis zum Jahr 2022 ordern. Sollte ihre gesamte Nachfrage wachsen, würden sie sich verpflichten, dort mehr zu bestellen. Und sollte ihre Bestellmenge sinken, wollen sie ihr Auftragsvolumen in dem Land unterproportional kürzen. Damit kommen sie den Zulieferern in einem zentralen Punkt entgegen. Trotzdem ist der Prozess ins Stocken geraten, vor allem aus zwei Gründen.

Adidas lässt viel in Kambodscha fertigen, macht aber bei der Initiative nicht mit

Zum einen ordern die ACT-Mitgliedsunternehmen nur etwa die Hälfte der Textilien in Kambodscha. Die Angst der dortigen Fabrikanten ist groß, dass bei steigenden Löhnen andere Unternehmen ihre Produktion verlagern. Das Gelingen des Projekts hängt damit wesentlich davon ab, dass mehr Unternehmen aus dem globalen Norden mitmachen, insbesondere aus den USA und aus Europa. Große Hoffnung hatte man bei ACT deswegen auf die Kooperation mit dem Textilbündnis in Deutschland gesetzt. Aber die Bereitschaft von Unternehmen, die nicht bereits wie etwa Tchibo Mitglied bei ACT sind, ist gering, sich an dem Pilotprojekt zu beteiligen. Zu den Ausnahmen zählen Aldi Süd und Aldi Nord, für die Kambodscha zu den zehn wichtigsten Bezugsländern für Bekleidungstextilien gehört. Beide Discounter unterstützen den Ansatz "industrieweite Kollektivverträge voranzubringen", um die Lohnsituation an Ort und Stelle nachhaltig zu verbessern, und sprechen vom ACT-Ansatz als derzeit "vielversprechendster Initiative im Bereich existenzsichernder Löhne". Die Beteiligung von Unternehmen wie Adidas und Puma wäre besonders wichtig, sagt Jenny Holdcroft, stellvertretende Generalsekretärin von IndustriALL. Allein Adidas lässt nach eigenen Angaben 24 Prozent seiner Bekleidung in Kambodscha fertigen. Das Unternehmen beobachtet die Initiative "mit großen Interesse", nennt auf Anfrage aber keinen Grund dafür, warum es sich ACT nicht anschließt. Adidas betont, dass das verfügbare Einkommen der Arbeiter bei den Zulieferern in Kambodscha "erheblich über dem gesetzliche Mindestlohn liege".

Fast alle Unternehmen, die versucht hätten, eine Verbesserung der Lohnsituation für die Textilarbeiterinnen im Alleingang zu erreichen, seien gescheitert, sagt Hoffer. Wer in derselben Firma wie ein Konkurrent einkaufe und freiwillig einen höheren Preis zahle, subventioniere quasi seine Konkurrenten, die dort billiger einkauften. Mit diesem Argument haben in der Vergangenheit auch immer wieder Unternehmen begründet, warum sie allein nicht vorpreschen können.

Ein weiteres Hindernis resultiert aus den Überlegungen der USA und der EU, Zollvorteile für Kambodscha zu streichen, weil das Land seine Zusagen für eine Demokratisierung nicht eingehalten und Menschenrechte zunehmend eingeschränkt hat. Derzeit kann Kambodscha alle Waren - bis auf Waffen - zollfrei in die EU exportieren. Davon macht das Land Gebrauch und exportiert für fast fünf Milliarden Euro Schuhe, Textilien und Agrarprodukte in die 28 Mitgliedsländer der EU.

Eine Streichung der Zollpräferenzen würde frühestens in zwölf Monaten wirken. Dann würden die Kosten der Textilproduzenten um etwa zehn Prozent steigen. Die Fabrikanten sähen sich in einem solchen Fall außerstande, gleichzeitig auch noch höhere Löhne zu zahlen, sagt Hoffer, der die Kritik der EU an den Zuständen in Kambodscha nachvollziehen kann und trotzdem auf eine Verwirklichung des Projekts hofft, um deutliche Lohnsteigerungen für die Arbeiterinnen in Kambodscha zu erreichen.

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