Textilindustrie:Alles wieder offen

Prozess nach Brand in pakistanischer Textilfabrik

Saeeda Khatoon vor dem Landgericht in Dortmund. Ihr Sohn Aijaz Ahmed starb bei dem Brand in einer Textilfabrik in Bangladesh.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Das Landgericht Dortmund vertagt die Entscheidung im Kik-Prozess. Die Opfer des Brandes fordern eine Entschädigung.

Von Caspar Dohmen, Dortmund

Zum Prozess seines Lebens kommt Muhammad Hanif nicht, aber es ist nicht seine Schuld. Erst einen Tag vor der mündlichen Verhandlung gegen Kik vor dem Dortmunder Landgericht hat er das Wochen zuvor beim deutschen Generalkonsulat in Karatschi beantragte Visum erhalten. Am Flughafen haben ihm die Behörden die Ausreise verweigert, weil er ein wenig zu spät zum Prozess kommen würde. Angesichts solcher Hürden ist es für Hanif und die anderen Kläger sowie ihre Unterstützer ein Riesenerfolg, dass die Verhandlung gegen ein deutsches Unternehmen überhaupt stattfindet. Eine Klage von Betroffenen eines Fabrikunglücks wegen Zuständen bei einem Zulieferer im globalen Süden gegen dessen Auftraggeber vor einem hiesigen Gericht ist neu. Neben Hanif, beim Unglück gerade noch mit dem Leben davon gekommen, klagen Saeeda Khaton, Muhammad Jabbir und Abdul Azis Khan Yousuf Zai, die alle einen Sohn beim schwersten Industrieunfall Pakistans verloren. Sie fordern je 30 000 Euro Schmerzensgeld von der Tengelmann-Tochter Kik, Deutschlands fünftgrößten Textilhändler. Eine Entscheidung vertagte das Landgericht Dortmund am Donnerstag.

Bei dem Brand der Fabrik in der Industriemetropole Karatschi am 11. September 2012 starben 259 Menschen, 50 wurden verletzt. Weil der Textildiscounter Kik die Fabrik zeitweise zu drei Vierteln ausgelastet hatte, sehen die Kläger die Firma in besonderer Verantwortung. "Sie waren faktisch der Boss in der Fabrik", sagte Klägeranwalt Remo Klinger. Die Klage berührt eine zentrale Frage internationaler Arbeitsteilung: Können Auftraggeber für Missstände bei einem Zulieferer in einem anderen Land haften, mit dem sie eine gewöhnliche Lieferbeziehung unterhalten? Deshalb interessieren sich Unternehmen für das Verfahren.

"Solch ein Unglück sollte keinem Arbeiter passieren."

Bei dem Brand der Fabrik in der Industriemetropole Karatschi am 11. September 2012 starben 259 Menschen, 50 wurden verletzt. Weil der Textildiscounter Kik die Fabrik zeitweise zu drei Vierteln ausgelastet hatte, sehen die Kläger die Firma in besonderer Verantwortung. "Sie waren faktisch der Boss in der Fabrik", sagte Klägeranwalt Remo Klinger. Die Klage berührt eine zentrale Frage internationaler Arbeitsteilung: Können Auftraggeber für Missstände bei einem Zulieferer in einem anderen Land haften, mit dem sie eine gewöhnliche Lieferbeziehung unterhalten?

Deshalb interessieren sich Unternehmen für das Verfahren. Aber um den Kern des Vorwurfs ging es bei der mündlichen Verhandlung nicht. Stattdessen drehte sich alles um eine mögliche Verjährung. Eine Entscheidung vertagte das Gericht. "Der Ausgang des Verfahrens ist offen", sagte ein Gerichtssprecher. Aus Sicht des Kläger-Anwalts Remo Klinger liegt keine Verjährung vor. Kik sieht dies anders. Der Prozess findet nach pakistanischem Recht statt. Unstrittig ist, dass in solchen Fällen in Pakistan spätestens nach zwei Jahren Verjährung eintritt. Allerdings gibt es laut dem vom Gericht bestellten Gutachter im pakistanischen Recht in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Aussetzung der Verjährung. Das Gericht muss nun entscheiden, ob eine solche Ausnahme vorliegt. Außerdem geht es darum, ob dem einst zwischen den Betroffenen und Kik geschlossenen Verjährungsverzicht deutsches oder pakistanisches Recht zugrunde lag. Eine Gütevereinbarung beider Parteien, für die der Richter geworben hatte, war gescheitert. Die Anwälte von Kik lehnten sie mit Verweis auf bereits gezahlte Hilfen an die Opfer ab. Kik hatte freiwillig insgesamt 6,15 Millionen Dollar an Betroffene des Fabrikbrandes gezahlt, als Soforthilfen und langfristige Entschädigungen. Die Kläger wollen mit dem Verfahren aber dazu beitragen, dass Entschädigungen künftig verpflichtend sind, damit die Unternehmen für bessere Bedingungen sorgen. Klägerin Khaton: "Solch ein Unglück sollte keinem Arbeiter passieren."

Offensichtlich war dem Vorsitzenden Richter Heribert Beckers daran gelegen, die öffentlichkeitswirksame Klage wie jede gewöhnliche zu verhandeln. Bei zivilrechtlichen Verhandlungen gehe es darum, das Notwendigste zu besprechen, sagte er. Er lehnte eine Darlegung des Geschehenen durch die einzige anwesende Klägerin Saeeda Khaton ab. Sie sagte danach, wie wichtig eine Entscheidung sei, weil Fabriken bis heute in Pakistan nicht sicherer seien und es immer noch sändig zu Unfällen komme.

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