Textilien mit Zusatznutzen:Wenn das Shirt den Puls fühlt

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Sieht alles ganz normal aus, ist es aber nicht: eine Jeansjacke, die über eingehende Anrufe informiert, eine Yoga-Hose, die den Trägern zur richtigen Körperhaltung verhilft, eine Baby-Socke, die den Herzschlag und den Sauerstoffgehalt im Blut misst.

(Foto: ddp images/Design Museum, oh (2))

Ein neuer Trend treibt die Selbstvermessung des Körpers auf die Spitze. Wer will, kann sich mithilfe von intelligenten Kleidungsstücken ständig kontrollieren.

Von Jan Schwenkenbecher

Unaufhaltsam schreitet die Vermessung der Welt voran. Nach Bergen, Flüssen und Straßen sind längst auch die Menschen dran. Handys wissen, von wo sich der Eigentümer gerade nach wo bewegt, das kluge Armband zählt, wie viele Schritte er dabei geht. Und die elektronische Uhr kontrolliert währenddessen den Herzschlag. Ein neuer Trend könnte diese menschliche Selbstvermessung auf die Spitze treiben: smarte Kleidung.

Der Grundgedanke ist, dass die Klamotten zum Sensor werden und den Körper vermessen. Shirts, Hosen, Schuhe oder Socken, die den Puls checken, die Atmung erfassen, den eigenen Schlaf auswerten, das Stresslevel kontrollieren oder die Körperhaltung analysieren. Was früher nur in Laboren, angeschlossen an allerlei Kabel und Apparaturen, zu messen war, kann bald jeder zu Hause oder unterwegs ganz alleine machen. Es gibt dabei ein paar Herausforderungen für Entwickler, denn einerseits will man Technik wie Sensoren, Prozessoren und Leiterbahnen irgendwie in Pullis und T-Shirts hineinbekommen, andererseits soll die Kleidung dieselben Eigenschaften beibehalten wie zuvor. Sie muss dehnbar bleiben, ein bisschen was aushalten, außerdem sollte sie einige Male eine Waschmaschine unversehrt überleben können. Und irgendwo muss auch noch Energie herkommen.

Wie die Kleidung das schafft, dazu gibt es unterschiedliche Ansätze, die man grob in drei Kategorien einteilen kann. Bei der ersten und einfachsten Variante werden die Sensoren und Kabel einfach auf die Kleidung aufgesetzt oder angenäht. In Stufe zwei können einzelne Elektronik-Teile durch Textil ersetzt werden, etwa durch spezielle Fasern, die ähnliche Eigenschaften besitzen wie herkömmliche Baumwoll-Fasern, zusätzlich aber Strom leiten oder sogar selbst als Sensoren dienen können. Etwa indem sie Daten darüber erfassen, wie sehr sie gedehnt werden, und man so auf die Körperhaltung rückschließen kann. In der dritten Stufe sollen dann alle Komponenten, auch Prozessoren oder Stromspeicher, aus Textilien bestehen - doch davon ist man noch weit entfernt.

Ein smartes Oberteil kann 100 bis 150 Euro kosten, plus die Kosten für die Zusatzausrüstung

Das, was momentan auf dem Markt verfügbar ist, liegt irgendwo zwischen den ersten beiden Kategorien. Das kanadische Unternehmen Hexoskin, das einst für die kanadische Raumfahrtagentur Kleidung entwickelte, die die Körperparameter der Raumfahrer überwachte, bietet nun unter dem Namen "Astroskin" auch Shirts für jedermann an. Sie können den Puls, die Atmung, den Blutdruck, die Hauttemperatur oder die Aktivität messen.

Ein anderer Anbieter hat neben Shirts auch einen BH im Angebot, der ähnliches kann, ein weiterer Hersteller hat die Technik in einen Kompressions-Ärmel gepackt, der zusätzlich das Stresslevel auswertet. Es gibt eine Daten sammelnde Socke, die auch Lauf-Distanz, Geschwindigkeit, Schritte und Kalorien zählt und erkennt, an welchen Stellen der Fuß den Boden berührt und wie lange er das tut, um daraus zu schließen, wie man seinen Fuß viel eher abrollen sollte und welche Schuhe besser wären. Eine andere smarte Socke ist für Babys gedacht, sie misst den Herzschlag und den Sauerstoffgehalt im Blut und sendet die Daten live ans Smartphone der Eltern, die so ruhiger schlafen können sollen. Außerdem kann man eine smarte Yoga-Hose kaufen, die einem über Vibrationen vorgibt, an welcher Körperstelle die vorher bestimmte Position noch nicht optimal ist.

Und natürlich ist auch Google mit dabei: Im vergangenen Jahr stellte der Konzern in Kooperation mit Levi's eine intelligente Jacke vor, koppelbar mit dem Smartphone, die einen kleinen vibrierenden Knopf besitzt, der einen etwa über eingehende Anrufe informiert. Auf einer Fläche am Unterarm kann man die Anrufe direkt annehmen, man kann dort aber auch andere Funktionen wie die Steuerung des MP3-Players einstellen.

Alle der derzeit verfügbaren smarten Klamotten brauchen allerdings noch kleine Zusatzgeräte, die man per Magnet, Druckknopf, Klett- oder Reißverschluss an- und abklippen muss. Dort werden die von der Kleidung gemessenen Daten verarbeitet und, meist per Bluetooth, ans Smartphone gesendet. Außerdem liefern sie Energie. Zwar gibt es erste Forschungsansätze, diese durch Sonne oder Bewegung direkt im Kleidungsstück zu generieren. Das ist aber noch fern jeglicher Marktreife, und solange müssen die kleinen Knöpfe oder Kästchen regelmäßig an eine Steckdose gehängt werden.

Das Aufladen ist zwar etwas unbequem, doch das eigentliche Problem, das smarte Kleidung derzeit noch daran hindert, statt technikinteressierten Selbstoptimierern einen Massenmarkt zu erreichen, liegt in ihrer Herstellung. Weil die Produkte deutlich teurer als gewöhnliche Kleidung sind - ein smartes Shirt kann schon mal 100 bis 150 Euro kosten, plus mehrere Hundert Euro für die noch unverzichtbare Zusatzausrüstung - finden sie nicht viel Absatz. Teuer ist die Kleidung, weil es keine Massenproduktion gibt, die sich nur lohnen würde, wenn es mehr Absatz gäbe, den es nur gäbe, wenn die Kleidung billiger wäre. Henne und Ei.

Der Markt für intelligente Kleidung wird künftig wachsen, bewahrheitet sich, was Analysten derzeit schätzen. Einem Report des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens International Data Corporation zufolge werden dieses Jahr weltweit 2,9 Millionen smarte Kleidungsstücke versandt, 2022 sollen es bereits über zehn Millionen sein. Die jährliche Wachstumsrate schätzt das Unternehmen auf beinahe 40 Prozent. Um tatsächlich Massen zu erreichen, müsste dennoch die Henne-Ei-Problematik durchbrochen werden.

"Es wäre sinnvoll, die Anwendung von der Hardware zu entkoppeln."

"Die Preisspanne, die Leute für Kleidung akzeptieren, ist relativ niedrig", sagt Stefan Schneegaß, Juniorprofessor für Informatik an der Universität Duisburg-Essen. Deswegen müsse intelligente Kleidung für deren Träger einen Mehrwert bieten, sodass er bereit sei, mehr Geld dafür auszugeben. "Es wäre sinnvoll, die smarte Kleidung modular zu halten und die Anwendung von der Hardware zu entkoppeln, so wie bei Smartphones", sagt Schneegaß. "Ich kaufe mir mein Smartphone ja nicht, um Whatsapp darauf zu benutzen, sondern weil ich ganz viele verschiedene Anwendungen darauf nutzen kann."

Das T-Shirt könnte also zu einer digitalen Plattform werden, auf die man sich verschiedene Anwendungen laden kann. "Der eine interessiert sich für die Herzfrequenz-Überwachung, der andere möchte seinen MP3-Player steuern", sagt Schneegaß. Man könnte Touchscreens einarbeiten, Leute per Handauflegen identifizieren, die Körperhaltung überwachen - jedem, was ihm gefällt, alles mit demselben Shirt. "So könnten viel mehr Leute angesprochen werden, und man bekommt eine kritische Masse, die smarte Kleidung auch zu einem höheren Preis kauft." Dann wiederum stiegen mehr Leute in die Produktion ein und die Kleidung würde günstiger. Bei den Fitnesstrackern sei das genauso gewesen, so Schneegaß, "die ersten haben 200 Euro gekostet und heute findet man online welche für 5,99 Euro."

So könnte es die smarte Kleidung aus der Markt-Nische herausschaffen. Und nicht nur das: "Ich könnte mir sogar vorstellen, dass irgendwann jegliche Kleidung intelligent ist", sagt Schneegaß. "Wenn sich irgendwann die Kosten zwischen smarter und gewöhnlicher Kleidung nicht mehr groß unterscheiden, kann es durchaus sinnvoll sein, dass jedes meiner T-Shirts die Herzfrequenz misst." Etwa um Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Mit Gadgets sei das nicht so leicht wie mit Kleidung, so Schneegaß, "man vergisst oft, den Fitness-Tracker anzulegen, wenn man aus dem Haus geht - man vergisst aber selten seine Hose."

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