Gerd Müller, frisch im Amt, redete im April 2014 Tacheles über die Bedingungen der Textilproduktion im Süden. "Wir leben hier im Wohlstand auf dem Rücken dieser Menschen, und das müssen wir ändern", sagte der Bundesentwicklungsminister bei einer Veranstaltung des fairen Handels und gab die Gründung eines runden Tisches für die Textilwirtschaft bekannt. Heute gibt sich der Minister zufrieden: "Das Bündnis ist quicklebendig", sagte er am Donnerstagabend in Berlin anlässlich des Jahrestages der Gründung des Textilbündnisses; es habe knapp 160 Mitglieder, darunter rund die Hälfte der deutschen Textilindustrie und des Handels.
Kritiker werfen Müller dagegen eine Verwässerung seiner Pläne vor. "Statt verbindliche Standards zu setzen, öffnet Minister Müller Tür und Tor für Green- und Fairwashing unter Aufsicht des Ministeriums", sagte Uwe Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Um der Gefahr von Green-oder Fairwashing vorzubeugen, habe man sich im Bündnis darauf geeinigt, "die kontinuierliche Zielverfolgung in einem regelmäßigen Review-Prozess durch unabhängige Dritte zu gewährleisten", beantwortete Thomas Silberhorn, parlamentarischer Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium, eine Anfrage von Kekeritz.
Was ist geschehen? Kurz nach Müllers Idee für einen runden Tisch hatten sich Mitte vorigen Jahres etwa 60 Vertreter von Greenpeace bis C&A im Entwicklungshilfeministerium beraten. Bald entwickelten sie detaillierte Ziele für bessere Umwelt- und Sozialstandards in der Textilindustrie, umzusetzen zwischen 2015 und 2020. Und sie beschlossen, ein Textilbündnis zu gründen. Zum Jahrestag macht sich unter beteiligten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Gewerkschaften Ernüchterung breit, einige reden bereits über den Ausstieg. Dagegen ist die Wirtschaft voll des Lobes, Handelsverbände erwarten für 2016 sogar erste "substanzielle Ergebnisse". Der Graben ist kaum überbrückbar.
"Die Erfahrungen aus 20 Jahren zeigen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen sowie Kontrollen durch Audit-Unternehmen die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards nicht verbessert haben", heißt es bei der CIR, Mitgliedsorganisation der Kampagne für saubere Kleidung. Unternehmen und Verbände pochen dagegen auf das Prinzip Freiwilligkeit - sie haben sich im Laufe des Prozesses durchgesetzt.
Anfangs hatte der Minister für den Fall eines Scheiterns noch mit gesetzlichen Regeln gedroht. Dann sprach er nur noch über freiwillige Standards, die Unternehmen für sich zu verbindlichen Regeln machen sollten. Mittlerweile ist selbst dies Makulatur. Denn die Bundesregierung lehnt verbindliche Regulierungen in diesem Feld ab, so steht es im Koalitionsvertrag.
Wie unverbindlich die Pläne des Textilbündnisses mittlerweile sind, brachte der Modeverband Deutschland German Fashion in seinem Rundbrief 4-2015 auf den Punkt: Man habe "alle problematischen Punkte aus dem Aktionsplan herausverhandeln" können, es gebe nun "keine Verbindlichkeit mehr". Weil es außerdem gelungen sei, für alle Beschlüsse das Einstimmigkeitsprinzip zu verankern, könne nichts gegen die Interessen der Wirtschaft beschlossen werden. Wer mitmache, könne jedoch damit werben und würde sich quasi unter einen Schutzschirm der Bundesregierung begeben, rät der Verband seinen Mitgliedern, zu denen beispielsweise Esprit, Gerry Weber und Puma gehören. "Die Industrie schmückt sich gerne mit dem staatlich geförderten Feigenblattprojekt. An den Zuständen in der Lieferkette ändert sich nichts", sagt Kekeritz.
Im Bündnis stellten Unternehmen auch wieder die Machbarkeit von Kontrollen entlang der Lieferkette infrage, ebenso das Konzept eines Lohns, der das Existenzminimum der Beschäftigten abdecken soll. Darüber ärgern sich nicht nur Zivilgesellschaft und Gewerkschaften, sondern auch einzelne Vertreter von Unternehmen, bisher aber nur hinter vorgehaltener Hand.