Textilbranche:Billig war einmal

Missernten, Ausfuhrstopps und eine anziehende Nachfrage treiben die Kosten für Textilhersteller hoch. Die Zeiten der Billigmode dürften bald vorbei sein - zumal im Baumwollbereich jetzt auch Spekulanten mitmischen.

Caspar Dohmen

Niemand sieht den Unterschied zwischen den beiden weißen T-Shirts, sie sind aus Baumwolle und einfarbig. Beide T-Shirts sind um die halbe Welt gereist - das ist in der heutigen, auf globaler Arbeitsteilung basierenden Textilindustrie normal. Allerdings sind sie durch unterschiedliche Hände gegangen, und deswegen gibt es bei der Modekette H&M das T-Shirt aus gewöhnlicher Baumwolle bereits für 4,95 Euro und eines aus Biobaumwolle für 7,95 Euro. Wer beim Freiburger Onlineversandhändler Zündstoff ordert, der zahlt für ein fair gehandeltes weißes Ökoshirt 14 Euro.

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Manche Unternehmen, wie zum Beispiel H&M oder Kik, bieten sehr günstige Kleidung an. Doch es ist fraglich, ob sich diese Preise halten lassen.

(Foto: ddp)

Beide Unternehmen schreiben sich gute Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten auf die Fahne, der Moderiese verweist auf seinen Verhaltenskodex für Lieferanten und seine Pläne für eine komplette Umstellung der Kollektion auf Biobaumwolle bis zum Jahr 2020, der Onlinehändler arbeitet direkt mit einer Kooperative zusammen. Wie erklären sich dann die großen Preisunterschiede?

Bei Zündstoff macht man aus dem Beschaffungspreis kein Betriebsgeheimnis. Die T-Shirts ordern die Freiburger bei einer Kooperative für fair gehandelte Textilien in Nicaragua. 5,50 Dollar überweist der Onlinehändler für jedes T-Shirt an die Genossenschaft Masili, die wiederum die Biobaumwolle nicht über die Börse, sondern direkt bei einer Kooperative in Peru einkauft. Den größten Teil seines Umsatzes macht der Onlinehändler mit dem Verkauf von Großhandelsmengen. NGOs ordern T-Shirts in Losgrößen von 50 bis 100 Stück und zahlen dafür jeweils 6,50 Euro. Etwa ein Euro verbleibe davon in der Kasse von Zündstoff, erfährt man.

Fragt man bei H&M nach dem Preis, hört man etwas von "langer Erfahrung", "einer schnellen und effizienten Logistik" und hoher Stückzahl. Näheres zur Kalkulation sagt der mit mehr als 700 Herstellern zusammenarbeitende Konzern nicht, "aus Gründen des Wettbewerbs sprechen wir nicht über die Preispolitik", heißt es.

Hört man sich in der Textilbranche um, erscheint folgende Kalkulation plausibel: Für die Herstellung eines T-Shirts braucht man etwa 400 Gramm Baumwolle. In den vergangenen Jahren konnten Einkäufer das weiße Gold über die Börsen günstig kaufen. Umgelegt auf ein T-Shirt sprachen Marktkenner von etwa 40 bis 50 Cent Kosten für ein aus konventioneller Baumwolle gefertigtes Shirt.

Viele Näherinnen protestieren

Die Hersteller von Mode, Sportartikeln oder Outdoor-Bekleidung vergeben die Aufträge gewöhnlich an die preisgünstigste Firma. Besonders knapp kalkulieren die Firmen in Asien. So lassen sich in Bangladesch für knapp einen Euro Baumwollshirts nähen. Ein Euro - dies ist etwa der Tageslohn, den eine Arbeiterin dort erhält. Selbst in einem armen Land mit geringen Lebenshaltungskosten reicht dies kaum, um über die Runden zu kommen.

Vergangenes Jahr haben viele Näherinnen protestiert. Die Regierung erhöhte darauf leicht die Mindestlöhne. Sie steckt jedoch selbst in einem Dilemma. Jeder weiß: Steigen die Löhne deutlich, dann wird die Textil-Karawane weiterziehen, wie schon so oft - so funktioniert die weltweite Arbeitsteilung. So haben beispielsweise viele Textilfirmen in Mittelamerika schließen müssen, weil die Aufträge nach Asien verlagert wurden.

Wenn das T-Shirt fertig genäht ist, dann muss es nur noch in eine der weltweit 2000 H&M-Filialen in 38 Ländern gebracht werden. Logistikexperten beziffern die Transportkosten eines T-Shirts auf wenige Cent. Unter dem Strich könnte H&M für ein T-Shirt also bislang etwa 1,80 Dollar zahlen. Dies ist ein Drittel von dem, was Zündstoff der Kooperative in Nicaragua überweist.

Die Preise verdoppelten sich

Allerdings verändert sich derzeit die Kalkulation aller Textilhändler, weil Baumwolle teurer wird. Bisher war der Rohstoff vor allem deswegen günstig, weil die 30.000 Baumwollbauern in den Vereinigten Staaten auf immer mehr Flächen die Pflanze angebaut haben. Für sie lohnte sich das, weil sie durchschnittlich etwa 10.000 Dollar monatlich vom Staat an Subventionen erhielten. Das Nachsehen aber hatten die Baumwollbauern in anderen Anbauregionen, beispielsweise in den westafrikanischen Ländern Mali und Burkina Faso.

Anbau und Ernte müsste hier eigentlich unschlagbar günstig sein, weil die Bauern in der Sahelzone alles mit der Hand machen; sie brauchen keine teuren Maschinen zu finanzieren. Trotzdem reichten die Einnahmen für viele Bauern kaum zum Überleben, viele haben sich sogar überschuldet. Jahrelang haben die Baumwollländer Afrikas, teilweise gemeinsam mit anderen Anbauländern wie Brasilien, faire Welthandelsbedingungen für die Baumwolle gefordert, beispielsweise bei der WTO - jedoch erfolglos.

Jetzt sieht die Lage plötzlich rosiger aus: Die Baumwollpreise haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Anfang Januar wurde eine Tonne Baumwolle an der New Yorker Börse mit 150 Dollar gehandelt - ein 30-Jahres-Preishoch. Dafür gibt es einige Gründe: Missernten in wichtigen Anbauländern, vor allem in Pakistan; hier hat die verheerende Flutkatastrophe einen Großteil der Ernte vernichtet.

Zwischenzeitlich hat Indien dann auch noch einen Ausfuhrstopp verhängt, um seine eigene Textilindustrie zu schützen. Wegen der niedrigen Erlösmöglichkeiten hatten die Bauern ohnehin schon auf weniger Feldern Baumwolle angebaut. Stattdessen pflanzen sie lieber Zuckerrohr für die Produktion von Treibstoff (Ethanol) an.

Das niedrigere Angebot trifft auf eine höhere Nachfrage, vor allem weil Verbraucher in Schwellenländern wie China und Indien mehr Baumwollwaren kaufen, ob Kleidung oder Bettwäsche. Letztendlich bedeutet dies: Heute kostet die für ein T-Shirt aus konventioneller Baumwolle benötigte Menge etwa einen Euro, wenn es überhaupt noch welche zu kaufen gibt. Schließlich ist die weltweite Baumwollernte der aktuell verfügbaren Erntesaison 2010/11 schon fast ausverkauft.

Biobaumwolle nur ein Nischenprodukt

Dies hat das International Cotton Advisery Committee (ICAC) in Washington mitgeteilt. Die Situation einer hohen Nachfrage und eines knappen Angebots lockt Spekulanten, von denen manch einer ohnehin gerne momentan in Rohstoffe investiert. Verärgert sind traditionelle Abnehmer des Rohstoffs, wie Hersteller von Textilien. "Die Preissteigerungen im Baumwollbereich sind überhaupt nicht kalkulierbar. Es herrscht Goldgräberstimmung, da agieren Spekulanten", sagt Mexx-Chef Thomas Grote in dem Fachblatt Textilwirtschaft.

Die Freude der Kleinbauern über den steigenden Baumwollpreis könnte kurz sein. "Viele Firmen wollen Baumwolle zumindest teilweise durch preisgünstigere Fasern ersetzen", sagt Jana Kern, Beraterin für nachhaltige Mode. Einige setzen auf aus Buchenholz gewonnene Viskose-Faser. Trotzdem dürften die Preise für Mode steigen. Kern geht davon aus, dass einige Hersteller versuchen könnten, Kunden die Preissteigerungen durch einen Mehrwert wie den Einsatz von Biobaumwolle schmackhaft zu machen.

Bislang ist die Biobaumwolle trotz vieler Bekenntnisse von Modeherstellern ein Nischenprodukt. Gerade einmal 1,1 Prozent der weltweiten Ernte entfiel zuletzt auf biologisch angebaute Baumwolle, heißt es bei Organic-Exchange, einer auf dieses Thema spezialisierten NGO. Während der Wirtschaftskrise hatte das Angebot von Biobaumwolle sogar über der Nachfrage gelegen. Eine Ursache sehen Experten darin, dass es für Biotextilien keine einheitlichen internationalen Standards gibt.

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