Textil:Gut abgesichert

Spezialstoffe für Sicherheitswesten, elastische Bänder für den Airbag: Delius setzt auf Hightech - und produziert in Deutschland.

Von Varinia Bernau, Bielefeld

Für den Mann, der damals direkt unter der Klimaanlage saß, war die Sache unangenehm. Den ganzen Tag drückte die kalte Luft auf seinen Kopf. Am nächsten Tag war er krank. Doch für seine Firma war es ein Glücksfall. Denn der Mann machte sich so seine Gedanken: Könnte nicht vielleicht ein Schlauch die kühle Luft gleichmäßig über den Raum verteilen? Inzwischen stecken solche Schläuche auch in den Klimaanlagen von Autos. Gefertigt von Delcotex, ein Tochterunternehmen der Delius-Gruppe.

Das Bielefelder Unternehmen ist einer der wenigen noch in Deutschland verbliebenen Textilhersteller. Und die Geschichte von dem Mann und der kühlen Luft zeigt, warum es dieses Unternehmen auch fast 300 Jahre nach der Gründung noch gibt. Die Mitarbeiter beobachten die Welt um sich herum - und fragen sich stets, wo sie sie mit Textilien noch etwas besser machen könnten. "Die Kunst besteht darin, den Kunden zu finden, der nicht einmal weiß, dass er Textilien braucht", sagt Rudolf Delius.

Die Globalisierung zwang das Unternehmen, sich neu zu orientieren

Gemeinsam mit seinem Cousin führt der 63-Jährige die Firmengruppe Delius in neunter Generation. Gegründet wurde sie einst als Leinenhandlung. Nicht nur die Familie, sondern die ganze Region ist damit reich geworden: Im 17. Jahrhundert begannen die Bauern statt Getreide den staatlich subventionierten Flachs anzubauen. Zu Hause verarbeiteten sie diesen zu Leinen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber übernahmen Maschinen in Belgien und England diese Arbeit. Mit den westfälischen Spinnereien verbuchten auch die Händler Verluste. Einer der Vorfahren von Rudolf Delius sammelte um 1850 bei den wohlhabenden Kaufmannsfamilien Geld ein, um auch in Bielefeld eine Fabrik zu gründen. Damals entwickelte sich hinter den Mauern, die an ein englisches Schloss erinnern, eine der größten Flachsspinnereien Europas. Heute sind dort im Zentrum der Stadt ein Museum, ein Kino, eine Disco und die Volkshochschule untergebracht. Wer konnte damals schon ahnen, dass sich auch die Maschinen irgendwann nicht mehr rechnen würden, weil Arbeiter in Asien noch billiger sind?

Delius Textilien

Für Fallschirme, Paraglider und Heißluftballons liefert Delius besonders leichte, aber reißfeste Gewebe.

(Foto: PR)

Die Gegend, in der Delcotex heute Stoffe fertigt, erinnert an die Idylle vergangener Zeiten. Am Rande von Bielefeld wirkt die Stadt wie ein Dorf. Doch die Stoffe, die zwischen Feldern und Fachwerkhäusern gewebt werden, sind Hightech. Neben einer der ratternden Maschinen landen gelbe Reste in Plastiksäcken. Es sind die Ränder breiter Stoffbahnen. Das Garn dafür, Aramid, ist so kostbar, dass die Abfälle recycelt werden. Denn aus der Kunstfaser lassen sich Stoffe weben, die extrem fest, aber kaum dehnbar sind. Sie stecken zum Beispiel in kugelsicheren Westen. Die Fertigung beherrschen nur wenige Firmen auf der Welt.

Das, was für seine Vorfahren die Erfindung der Spinnmaschinen im fernen England war, das war für Rudolf Delius die Globalisierung: Eine Krise, die ihn und seine Familie zwingt, sich neu zu orientieren. Delius erinnert sich noch an die Zeiten, als sein Onkel im Nachkriegsdeutschland das Unternehmen führte. "Verkauft wurde nicht, was der Kunde haben wollte. Verkauft wurde, was in der Fabrik gefertigt wurde." Der Bedarf an modischen Stoffen war so groß, dass sich die Hersteller das leisten konnten. Und viele vergaßen dabei genau das, worauf ihr Geschäft fußte: dem Kunden zuzuhören. Als dann in den Neunzigern auch noch die Quoten fielen und die Asiaten alles nach Europa exportieren konnten, wurde es für die westfälischen Textilunternehmer wieder eng. In den Achtzigern konnte Delius für einen Meter Delila, einen Stoff, aus dem Blusen und Kleider gefertigt wurden, noch 4,40 D-Mark nehmen. Knapp zehn Jahre später nur noch die Hälfte.

Viele Textilunternehmen verlagerten damals die Produktion, um die Kosten zu drücken. Zunächst nach Portugal, dann nach Asien. Auch bei Delius spielten sie solch ein Szenario in Gedanken durch. Aber es fehlten ihnen letztlich die Manager, um das durchzuziehen. "Vielleicht war das unser Glück", sagt Rudolf Delius. "Viele, die damals ihre Fabriken verlagert haben, gibt es heute nicht mehr." Statt die anderen im Preis für Bekleidungstextilien zu unterbieten, überlegten sie, ob sie bei Delius nicht mehr könnten als nur modisch chic. Und so wurde das Geschäft mit den technischen Textilien, das in den Siebzigern gerade einmal ein Zehntel des Umsatzes ausmachte, stetig ausgebaut. Heute ist es die tragende Stütze, die mit 28 Millionen Euro im Jahr etwas mehr als die Hälfte zum Jahresumsatz der Firmengruppe beiträgt.

Aus all diesen High-Tech-Stoffen entstehen die unterschiedlichsten Dinge: Scharniere, die im Auto den Airbag halten, weil sie elastischer sind als Plastik; die Bänder an den Supermarktkassen und die an eine Ziehharmonika erinnernden Wände in der Mitte von Bussen; Gewebeeinlagen, die die Zahnriemen in Kopierern schützen.

Wer so viele verschiedene Branchen bedient, der macht sich auch unabhängiger: Als die Immobilienblase platzte, fielen bei Delcotex zwar viele Aufträge der Bauindustrie weg. Aber selbst 2009, dem darauf folgenden Jahr der Krise, hat das Unternehmen keine Verluste gemacht. Nicht einmal die politischen Unruhen, die nun vielen Unternehmen Sorgen bereiten, machen ihnen zu schaffen. Ganz im Gegenteil: Mit den Terroranschlägen ist auch die Nachfrage nach Sicherheitswesten enorm gestiegen. Bei Delcotex haben sie nun mehr Aufträge als sie abarbeiten können.

Sparen allerdings mussten auch sie: Mehr als 850 Mitarbeiter hatte die Firmengruppe noch in den Neunzigern, heute sind es 110 in der Produktion von Delcotex. Die gesamte Gruppe, die auch Stoffe anbietet, die in Büros den Schall dämpfen oder sich als Hotelmöbel leichter reinigen lassen, beschäftigt 240 Menschen. Drei Fabriken wurden geschlossen. Zwar ist die Menge der gefertigten Textilien gesunken, der damit generierte Gewinn aber gestiegen. "Mode zu verkaufen, das ist eine emotionale Angelegenheit. Deshalb sind die Preisverhandlungen schwieriger", sagt Kai Uwe Bielecki, der bei Delcotex für den Verkauf zuständig ist. "Aber wenn Sie eine Funktion verkaufen, dann müssen Sie dem Kunden nur erklären, ob er das braucht oder nicht."

Es gibt in den Hallen von Delcotex auch zwei Maschinen, die die Garne nicht miteinander verweben, sondern aufeinander legen. Das geht schneller. Und die so entstehenden Stoffe sind flacher. Sie verstärken zum Beispiel Schutzfolien, die Teerpappe auf flachen Dächern ersetzt haben. Ein paar Räume weiter werden die Textilien auf ihre Alltagstauglichkeit getestet: Eine wuchtige Maschine strapaziert im Eiltempo den Abrieb, eine andere simuliert Tages- und Kaufhauslicht.

Textilingenieure und Chemiker bei Delcotex machen heute wieder das, was die Verkäufer in den fetten Jahren des Wirtschaftswunders nicht für nötig hielten: Sie hören ihren Kunden zu. Sie fragen, was diese brauchen und tüfteln gemeinsam mit ihnen an neuen Stoffen. Oft vergehe mit der Entwicklung und den Tests ein Jahr, sagt Thomas Stark, der das Geschäft von Delcotex führt. "Das ist auch ein gewisser Schutz. Wer unsere Produkte so lange mit entwickelt hat, der geht nicht so einfach zu einem anderen Weber."

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