Teure Küchen:Protzen mit dem Dunstabzug

Teure Küchen: In der Welt der Luxusküchen gilt: "Notwendigkeit ist keine Kategorie."

In der Welt der Luxusküchen gilt: "Notwendigkeit ist keine Kategorie."

(Foto: Stephan Rumpf)

Glänzend, fugenlos und am liebsten mit frei stehender Insel: Die Küche ist das neue Statussymbol.

Von Elisabeth Dostert und Angelika Slavik

Die b3 liegt da wie eine kalte Verführung. Edelstahl, natürlich. Extra-dünn, versteht sich von selbst. "Allerhöchste Qualität", säuselt der Verkäufer und lächelt. Es ist ein 50 000-Euro-Lächeln. Die b3 ist das teuerste Modell im Sortiment des Luxusküchen-Herstellers Bulthaup. Und da geht es bei 50 000 Euro überhaupt erst richtig los.

Immerhin, in dieser Preiskategorie wird einiges geboten: Ein Dunstabzug, der direkt neben dem Herd in die Arbeitsplatte eingelassen ist, zum Beispiel. ("Da haben Sie beim Kochen nie wieder den Dampf im Gesicht!") Oder eine Armatur mit integriertem Wasserkocher ("Sie bekommen jederzeit kochendes Wasser auf Knopfdruck!"). Es gibt verschwindende Türen und nahtlose Fugen und sehr viele Dinge, die geräuschlos irgendwohin gleiten.

Die b3 ist kein Modell für Normalverdiener - aber auch die haben in den vergangenen Jahren immer mehr Geld für schicke Dunstabzüge und aufregende Dampfgarer ausgegeben. 6700 Euro kostete im Durchschnitt eine Einbauküche, die 2016 in Deutschland verkauft wurde. Fünf Jahre zuvor lag dieser Wert noch bei 5650 Euro, hat das Marktforschungsunternehmen GfK berechnet.

Bloß: Ist das wirklich notwendig? "Notwendigkeit ist keine Kategorie", sagt Ronald Focken. Er ist Geschäftsführer bei der Münchner Werbeagentur Serviceplan und beschäftigt sich jeden Tag mit der Frage, wofür Menschen ihr Geld ausgeben - und warum. Bei einer schicken Küche, sagt er, gehe es nicht um Funktionalität, sondern um das Lebensgefühl: "Es repräsentiert einen Sinn für Ästhetik, es demonstriert den eigenen Qualitätsanspruch - und es verdeutlicht mir selbst, aber auch jedem, der mich besuchen kommt, dass ich mir so etwas leisten kann."

Kurz: Die Küche ist das neue Statussymbol der Deutschen.

Auto verliert an Bedeutung

Das passt auch deshalb, weil ein anderes Insigne für Wohlstand und Anspruch zunehmend an Bedeutung verliert - das Auto. Vor allem in den Großstädten verzichten immer mehr Menschen auf ein eigenes Fahrzeug. Sei es, weil die Parkplätze immer knapper werden und man mit öffentlichen Verkehrsmitteln schneller zum Ziel kommt. Sei es, weil Menschen die Umwelt schonen wollen. Oder, weil sie einer Generation angehören, die es selbstverständlich findet, selten genutzte Dinge mithilfe des Internets zu teilen - und die sich deshalb mit einem Carsharing-Angebot wohler fühlt. Die Funktion eines zentralen Statussymbols ist also frei; und der Posten im Haushaltsbudget vielleicht auch.

Konsumexperte Focken glaubt, dass die neue Lust an der Küche zudem eng mit der Entwicklung auf den Immobilienmärkten verbunden ist. "Die Menschen wünschen sich immer mehr Platz, gleichzeitig will ein großer Teil von ihnen in der Stadt leben", sagt Focken. Weil in den Ballungsräumen der Wohnraum knapp und sehr teuer sei, könnten die meisten Menschen die Quadratmeterzahl ihres Wohnraums nicht so großzügig wählen, wie sie gerne wollten. "Deshalb wird der Platz, der vorhanden ist, so schick gemacht und so gut genützt wie möglich." Die Küche sei deshalb nicht nur eine Funktionsfläche, sondern auch Lebens- und Wohnraum: "Es ist ja kein Zufall, dass die besten Partys immer in der Küche enden."

Die Küche als Mittelpunkt des Hauses, solche Phasen gab es in der Geschichte immer wieder - ihre Entwicklung spiegelt gesellschaftlichen Wandel, wachsenden Wohlstand, technischen Fortschritt, sogar die Emanzipation. Bis ins 19. Jahrhundert war die Küche häufig der einzige beheizte Raum im Haus, in dem an einer erst offenen, später mit Stein und Blech umschlossenen Feuerstelle gekocht wurde. Die moderne Einbauküche hat ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten: Mitte des 19. Jahrhunderts machte man sich dort Gedanken darüber, wie eine praktische Küche auszusehen hat - viel Stauraum, eine durchgehende Arbeitsplatte, eine übersichtliche, praktische Anordnung der Geräte.

Anfang des 20. Jahrhunderts werden die Fabriken nach den Vorstellungen des Ingenieurs Frederick Winslow Taylor auf Effizienz getrimmt - und die Idee von maximaler Leistung durch bessere Organisation setzt sich spätestens in den 1920er-Jahren auch in der deutschen Küche durch: Die Küche als Produktionsstätte des Essens. Wohnraum ist knapp. Für die Sozialwohnungen in Frankfurt entwickelt die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky die sogenannte Frankfurter Küche, ein funktionales Raumwunder, in dem allerdings auch nur einer Platz hat - in der Regel wohl die Frau. Schrankwände, Arbeitsfläche und immer mehr elektrische Geräte wie Herd und Kühlschrank, je nach Einkommen. Die Frankfurter Küche ist mit Wohnzimmer und Essplatz über eine Schiebetür verbunden. In Regionen ohne Platznot hält sich bis in die 60er-Jahre das Küchenbüfett für Geschirr und Nahrungsmittel und die freistehende Spüle.

9,4 Milliarden Euro

Gesamtumsatz wurden im vergangenen Jahr mit Einbauküchen in Deutschland erwirtschaftet, sagt die Statistik. Dazu kommen aber noch die Umsätze mit Küchen, die in Bau- und Elektromärkten gekauft werden - oder bei Ikea. Der schwedische Möbelhändler ist einer der größten Küchenverkäufer der Welt. Die Preisspanne im Markt ist beachtlich: Studentenküchen gibt es schon für wenige hundert Euro, während für Arrangements der Luxus- hersteller gerne auch mal sechsstellige Beträge in Rechnung gestellt werden.

1970, ein Jahr nach der ersten Mondlandung, entwarf Luigi Colani für den Hersteller Poggenpohl die Kugelküche: 2,40 Meter Durchmesser, ein Drehstuhl, von dem sich alle Geräte bedienen ließen, alles in einer Kunststoffkugel in Orange. In den 80er-Jahren ist es mit der Küchen-Zelle vorbei. Die Leute wollen wieder Platz. Der Designer Otl Aicher verfasst seine Streitschrift "Eine Küche zum Kochen" und rechnet ab mit schmalen Arbeitsflächen und lamellenverzierten Schrankfassaden. Er streitet für die offene Küche. In der "kommunikativen" Küche sollen mehrere Menschen gemeinsam arbeiten, Küchenwerkzeug griffbereit und sichtbar aufbewahrt werden. Die von einer Frau entworfene Frankfurter Küche hält Aicher für das Indiz einer "schikanösen Männerwelt."

Küche ist ein Spielplatz für Menschen mit Spaß an neuer Technik

Heute ist die Küche auch ein Spielplatz für Menschen mit Spaß an neuer Technik. Das Konzept vom vernetzten Heim, in dem alles mit allem kommuniziert, gibt der Küche eine zusätzliche Funktionsebene - und macht sie als Statussymbol auch für diejenigen interessant, die sich für ihre ursprüngliche Funktion weniger interessieren. "Bloß, weil man sich eine sündteure Küche angeschafft hat, heißt das noch lange nicht, dass dort auch gekocht wird", sagt Konsumexperte Focken. In den Ernährungsgewohnheiten vieler Deutscher spiele Convenience Food, also Fertig- oder Halbfertiggerichte, eine zentrale Rolle. "Wenn da ein- oder zweimal im Monat richtig aufgekocht wird, geht es eher um das gesellschaftliche Event, weniger darum, Nahrung zuzubereiten." An den meisten Tagen des Monats heißt das Motto offenbar: Tiefkühlpizza aus dem Schickimicki-Ofen.

Der Trend zur repräsentativen Küche, könnte man meinen, müsste Händlern und Herstellern doch eigentlich ordentliche Gewinne bescheren. Doch der Preisdruck ist hoch. Erst in dieser Woche musste der baden-württembergische Hersteller Alno Insolvenz beantragen, nach Jahren des Niedergangs. Wenige Monate zuvor erwischte es bereits Zeyko und die Schwestermarke Allmilmö.

"Der Markt ist super wettbewerbsintensiv", sagt Stefan Waldenmaier. Er ist Vorstandschef des Küchenherstellers Leicht aus dem schwäbischen Waldstetten. Die Firma, bald 90 Jahre alt, wandelte sich im Lauf der Zeit wie viele Küchenhersteller von einer klassischen Schreinerei zu einem ein Industrieunternehmen. Die Vielfalt der Kundenwünsche macht die Produktion kompliziert. "Kaum eine Küche gleicht der anderen", sagt Waldenmaier. Dennoch liefen die Geschäfte gut, sagt Waldenmaier. 124 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete das Unternehmen 2016.

Es gibt in Deutschland zwischen 20 und 30 namhafte Hersteller wie Leicht, darunter Marktführer Nobilia und Familienunternehmen wie Häcker und Schüller. Und es gibt einige Tausend Händler - vom Küchenstudio über Fachmärkte wie Asmo, Meda oder Küchen Aktuell, bis zu Möbelhausketten wie XXXLutz, Höffner oder Ikea. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Deutschland Küchen im Wert von 9,4 Milliarden Euro verkauft, sagt die GfK - und ein Teil des Markts wird in der Statistik nicht erfasst.

Das Dilemma für die Hersteller liegt in der Marktstrategie der Händler: Denn die legen kaum Wert darauf, die Kunden wissen zu lassen, von welchem Hersteller die Küche kommt. Sie präsentieren sich lieber unter eigenen Marken - dann lassen sich die Lieferanten leichter austauschen. Entsprechend ungünstig ist deren Verhandlungsposition. Wer also die großen Händler bedienen und dabei auf Augenhöhe agieren will, muss die Kraft seiner eigenen Marke stärken. Das gelingt nicht allen.

Stefan Waldenmaier muss sich um Leicht nicht sorgen - und lieber als über die Nöte der Branche redet er ohnehin über Oberflächen und Materialien. Er erzählt von Holzfaserplatten, auf die von Hand Beton aufgetragen wird, um jede Küche zum Unikat zu machen. Er berichtet von der Begeisterung der Deutschen für eine Küche mit frei stehender Insel. Er erläutert die neue Anti-Fingerprint-Technik: Oberflächen, die mit Lichtwellen so behandelt sind, dass auf Türen und Schüben kaum Fingerabdrücke bleiben.

Braucht man das? Also bitte. Notwendigkeit ist hier keine Kategorie.

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