Die Bundesnetzagentur hält die massive Welle von Preiserhöhungen beim Strom in Deutschland für ungerechtfertigt. Trotz sinkender Großhandelspreise ab der zweiten Jahreshälfte 2008 seien die Preise für Haushaltsstrom deutlich gestiegen, kritisierte Matthias Kurth, der Präsident der Bonner Netzagentur, die Preispolitik der Stromkonzerne am Dienstag bei der Vorlage des Berichts zur Entwicklung des Wettbewerbs im Strom- und Gasmarkt. Der Behördenchef rief Verbraucher zum Anbieterwechsel auf, um den Wettbewerb auf dem Energiemarkt endlich zu forcieren.
Insgesamt 400 der 1000 deutschen Energieversorger haben zum Jahreswechsel Preiserhöhungen angekündigt. In einem Brief an den Beirat seiner Behörde wurde Kurth noch deutlicher: Die Erhöhungen seien "sachlich nicht gerechtfertigt", so der Präsident. Zweifel meldete Kurth auch an der Begründung der Stromkonzerne an: dem steigenden Anteil an Ökostrom. Der Umstand, dass immer mehr Energie aus erneuerbaren Energien erzeugt werde, wirke dämpfend auf die Großhandelspreise, "da sie sukzessive teure Kraftwerke aus dem Markt verdrängen". Mit staatlichen Eingriffen seien die Erhöhungen nicht zu rechtfertigen. Es gebe sogar einen Spielraum für Preissenkungen.
Kurth rief die Verbraucher am Dienstag dazu auf, bei satten Preiserhöhungen, die Anbieter zu wechseln. Verbraucher könnten durch einen Wechsel jährlich rund 160 Euro sparen, sagte der Netzagentur-Chef. Im vergangenen Jahr war die Wechselbereitschaft trotz steigender Preise erstmals wieder gesunken. 1,7 Millionen Menschen wechselten ihren Anbieter. Im Jahr 2008 waren es noch 1,8 Millionen. Insgesamt habe bislang nur knapp die Hälfte aller Haushaltskunden von den Wechselmöglichkeiten Gebrauch gemacht. Die Aufsichtsbehörde macht dafür nicht allein die "Trägheit" der Verbraucher verantwortlich. Die früheren Monopolisten schreckten davor zurück, sich gegenseitig ins Gehege zu kommen und mit attraktiven Angeboten Konkurrenz zu machen.
Die von der Bundesregierung geforderte Energiewende sieht Kurth in Gefahr. Die Bundesnetzagentur beklagt Verzögerungen beim ökostromgerechten Ausbau der deutschen Stromnetze. 37 von 139 Projekten etwa für die Verteilung von Windenergie lägen nicht im Plan, erklärte der Chef der Regulierungsbehörde. Mangelnde Investitionsbereitschaft der Unternehmen sei dabei nicht das Problem. Grund sei vielmehr auch der Widerstand von Anwohnern. "Die Sorge um einen unverbauten Horizont überwiegt vor Ort manchmal die Befürwortung von Maßnahmen des globalen Umweltschutzes", sagte Kurth.