Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Die Testpflicht ist richtig

Die Regierung schreibt den Firmen zu Recht Corona-Tests ihrer Mitarbeiter vor, denn dies bremst den Anstieg der Infektionen. Freiwillig leisten die Betriebe zu wenig.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Glaubt man den Verbänden, spricht die Regierung der Wirtschaft gerade das Misstrauen aus. Und zwar ein weiteres Mal, wie die Arbeitgeber dramatisch tönen. Es geht darum, dass Firmen künftig Beschäftigten Corona-Tests anbieten müssen, die nicht im Home-Office werkeln. Doch diese Pflicht ist kein generelles Misstrauensvotum. Die Betriebe haben schlicht versäumt, das Problem selbst zu lösen. Die Regierung darf die Wirtschaft verpflichten, die Pandemie zu bekämpfen.

Es lässt sich ja verstehen, dass nun gerade kleinere Unternehmer aufstöhnen. Corona macht das Geschäft ohnehin komplizierter. Und die Betriebe haben einiges geleistet, um die Pandemie zu bekämpfen. Man darf der Wirtschaft zugutehalten, dass sie rasch Schutzkonzepte entwickelte, damit sich Mitarbeiter möglichst wenig gegenseitig anstecken. Dies erkennen die Beschäftigten bei Befragungen ausdrücklich an. Beim Testen allerdings klafft eine Lücke, wie die Regierung Anfang März feststellte. Dann reklamierten die bundesweiten Wirtschaftsverbände das Thema für sich. Sie forderten, auf eine Testpflicht zu verzichten. Sie versprachen, das Ganze über eine freiwillige Selbstverpflichtung hinzubekommen. Aber sie haben nicht geliefert.

Es war den Beteiligten offenbar unklar, was für sie auf dem Spiel steht. Es gibt ja längst die Forderung, Fabriken und andere Betriebsorte dichtzumachen, um die dritte Welle der Pandemie einzudämmen. Ein Produktionsstopp für einige Wochen würde besonders der Industrie drastische Verluste bescheren. Er würde auch den Aufstieg der ganzen Volkswirtschaft aus dem Corona-Tal um Monate zurückwerfen. Deshalb wäre es besser, ohne solch einen Produktionsstopp auszukommen. Aber dafür müssen die Unternehmen dann auch ihr Möglichstes leisten, um die Explosion der Ansteckungen zu stoppen. Zum Beispiel mit flächendeckenden Tests, um infizierte Mitarbeiter frühzeitig zu erkennen.

Offenbar sind vielen Firmen weder ihre Mitarbeiter genug wert - noch ist es die Eindämmung der Pandemie

Die Wirtschaftsverbände behaupteten vergangene Woche, 80 bis 90 Prozent der Firmen testeten oder bereiteten dies vor. Doch seitdem belegen gleich mehrere Befragungen: Dies war Wunschdenken. Wie peinlich für die Verbände. Nur jeder dritte Kleinbetrieb bietet Mitarbeitern bereits Corona-Checks an, meldet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Deshalb stellt die Regierung jetzt zu Recht durch eine Pflicht sicher, dass neben Konzernen und öffentlichem Dienst auch Kleinfirmen ihren Beschäftigten ein Angebot machen. Sie erspart den Unternehmen dabei Bürokratie: Die Firmen dürfen unterschiedliche Tests anbieten und müssen auch nicht alles dokumentieren. Diese Zugeständnisse sind in Ordnung, solange die Pflicht wirksam Infektionen reduziert.

Warum sie Mitarbeitern bisher keine Tests anbieten, erklären viele Firmen in einer Umfrage der Regierung freimütig: Es ist ihnen zu teuer. Angesichts von geschätzten Kosten von bis zu 130 Euro pro Mitarbeiter für die nächsten Monate inklusive Masken lässt dies nur einen Schluss zu: Offenbar sind vielen Firmen weder ihre Mitarbeiter genug wert - noch ist es die Eindämmung der Pandemie.

Es ist deshalb gut, dass die Testpflicht kommt, weil sich in der Regierung diesmal die SPD gegen die mitunter zu lobbyistenfreundliche Union durchsetzt. Oder soll man sagen: Es setzt sich jener Teil der Regierung durch, der in einer dramatischen Pandemie Zeit zum Regieren findet, während sich der andere Teil auf einen Kanzlerkandidaten-Poker konzentriert?

Aus der Wirtschaft kommt erfreulicherweise neben Ablehnung auch Verständnis für die Testpflicht. So erklären etwa die Maschinenbauer, für sie ändere sich wenig, weil sie das Ganze bisher schon ernst nähmen. Und die Kosten dafür betrachten die Maschinenbauer als Teil ihres gesellschaftlichen Engagements.

Wenn diese Besonnenheit in der Wirtschaft stilbildend wird, sollte sich auch noch der Anteil jener Beschäftigten steigern lassen, die im infektionsarmen Home-Office arbeiten. Bisher sind es nur ein Drittel, dabei wäre es bei 60 Prozent vom Job her möglich. Die Regierung liefert den Firmen nun ein zusätzliches Argument: Wer im Home-Office ist, den müssen sie nicht regelmäßig testen.

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