Süddeutsche Zeitung

Tesla:Plötzlich Gigant

Der noch immer kleine Autohersteller Tesla ist jetzt mehr wert als VW. Einige sagen, das sei nur eine Blase. Aber was, wenn nicht?

Von Max Hägler

Es sind nur ein paar wenige, simple Zahlen, die für große Hoffnungen in der Autoindustrie stehen. Und für gewaltige Ängste. Tesla hat in dieser Woche den Volkswagen-Konzern beim Börsenwert übertroffen. Dabei hat die US-Firma nur 360 000 Fahrzeuge gebaut, alles Elektroautos. 10,6 Millionen baute das deutsche Zwölfmarken-Imperium. Das Unternehmen aus Wolfsburg mit Fabrikaten wie Audi, Bugatti, Porsche, VW und Scania ist damit der größte Hersteller der Welt. Aber was ist das heute noch wert?

Eine Antwort ist an der Börse ablesbar: Die sogenannte Marktkapitalisierung von Tesla - das ist die Zahl der Aktien multipliziert mit ihrem Börsenkurs - lag zwischenzeitlich bei 92,6 Milliarden Euro. Jene von VW nur bei 89,6 Milliarden Euro. BMW und Daimler, diese stolzen Premium-Marken, wurden von Tesla schon länger überholt. Verkehrte Welt? Jedenfalls zeigen die Kurse, in welch gewaltigen Umbruchzeiten sich die etablierte Autoindustrie befindet, wie unsicher ihre Zukunft ist.

"Diese Trends spiegeln die wahrgenommene Kraft und Attraktivität von Unternehmen wider", sagt Stefan Bratzel, Professor an der Fachhochschule Bergisch Gladbach und Kenner der Autobranche. Das habe entsprechende Auswirkungen auf Investoren und das Image. Es ist ein Kreislauf, der gerade zu Ungunsten der Deutschen läuft und gefährlich werden könnte. "Eine niedrige Bewertung birgt Risiken, etwa der Übernahme von Mehrheitsanteilen durch unerwünschte Investoren", warnt Experte Bratzel. Daimler etwa habe derzeit einen niedrigen Börsenwert, was das Risiko einer Übernahme wesentlich erhöhe. Tatsächlich ist der ohnehin angeschlagene Stuttgarter Konzern, der als Erfinder des Automobils gilt, Ziel chinesischer Investoren geworden.

Musk macht einfach - und zwar immer ganz schnell

Wieso ist die Attraktivität von Tesla so gewaltig und die der deutschen Konkurrenz so klein? Es hat vor allem mit dem Mitgründer zu tun, diesem genial-verrückten Elon Musk, der voller Energie seine Geschäfte betreibt, der Geschichten erzählen kann, nachts auf dem Firmendach grillt. Der einfach: macht, und zwar immer ganz schnell, gegebenenfalls auch fehlerhaft. Ihm trauen offensichtlich viele zu, aus dieser noch recht kleinen Firma, die immer wieder von Rückschlagen geplagt ist, zum Beispiel von Chaos bei den Fabrikrobotern, etwas ganz Großes zu machen.

Es gibt etliche in der Autoindustrie, die sagen: Das ist eine Blase, die platzen wird. Bei BMW etwa, wo sie strategisch vor allem auf das klassische Auto setzen und einen sanften Übergang bei den Antriebsarten, sagen sie, wenn der Namen Tesla fällt: Reine Elektrowagen seien derzeit noch Nischenprodukte, und übrigens arbeite man nachhaltig profitabel in höchster Fertigungsqualität. Das ist ein nachvollziehbarer Seitenhieb auf die Tatsache, dass Tesla seit seiner Gründung vor 17 Jahren nur rote Zahlen schreibt - im Gegensatz zu BMW und den anderen deutschen Herstellern, die noch Milliardengewinne einfahren, auch wenn das immer mühsamer wird.

Doch Musk gibt sich unbeirrt. Er muss sich keine Gedanken machen über Umschulungen der Mitarbeiter oder andere Wehen der Transformation - oder gar den Diesel-Skandal. Er bietet nur neue Antriebe an, und davon immer mehr. In Shanghai ist gerade eine neue Tesla-Fabrik gebaut worden, in Deutschland soll eine weitere entstehen. Die Produkte, die dort entstehen, sind für viele verbunden mit dem Charisma des Gründers, und technisch sind sie tatsächlich teilweise der Konkurrenz voraus: Die Batterien, teure Schlüsselteile bei E-Autos, scheinen in Preis und Leistung der Konkurrenz überlegen zu sein - und sie können von Tesla-Fahrern komfortabel über eigene Stromtankstellen geladen werden. Auch im großen Trend der Digitalisierung hat Tesla die Nase vorn: Mag der Autopilot noch so fehlerbehaftet sein, Musk bietet einen an, und irgendwie funktioniert er eben. Die Steuerung der Autos per Touchpad samt elegantem Zugriff auf die heute üblichen Unterhaltungsangebote ist wegweisend, das gestehen deutsche Ingenieure hinter vorgehaltener Hand ein.

Elon Musk und das System Tesla, das ist ähnlich der Geschichte von Steve Jobs und den revolutionären Iphones von Apple. Ein Vergleich, den auch VW-Chef Herbert Diess anstellt: "Das Automobil wird in Zukunft das komplexeste, wertvollste, massentaugliche Internet-Device", erklärte jüngst VW-Chef Herbert Diess. "Wenn wir das sehen, dann verstehen wir auch, warum Tesla aus Sicht der Analysten so wertvoll ist." Er hat Tesla schon immer sehr ernst genommen - und jetzt endgültig zum Vorbild ausgerufen. Das Ansehen und der Börsenwert von Volkswagen müssten dringend steigen, und dazu müsse sich auch VW auf die Elektromobilität einschwingen und mittels eigener Software-Kompetenz schnellstens zu einem Tech-Unternehmen werden.

Ob das reicht? Welche Hoffnungen und welche Ängste berechtigt sind? Das alles ist unsicher, und das sagen auch nüchterne Börsen-Fachleute. Der Nachrichtendienst Bloomberg zählte nach: Neun Aktien-Analysten raten zum Kauf der Tesla-Aktie, 17 raten zum Verkauf. Für VW-Aktien lautet die Empfehlung der meisten Analysten hingegen: Kaufen. Noch?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4768437
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.