Süddeutsche Zeitung

Tesla-Fabrik in Brandenburg:Warum ein paar Kiefern nicht für den großen Protest taugen

Lesezeit: 3 min

Von Jan Heidtmann, Grünheide

In der Mitte von Deutschlands derzeit spektakulärster Baustelle steht eine Gulaschkanone. Fleisch gibt es hier zwar nicht, dafür Erbsen- und Linsensuppe, drei Euro der Teller, mit Bockwurst ein Euro mehr. Der Besitzer ist eingepackt in eine dicke Jacke, Mütze und Handschuhe. "Funktioniert", sagt er zum Lauf seiner Geschäfte knapp. "Die Jungs freuen sich doch, wenn sie etwas Warmes bekommen." Denn das Problem der "Jungs" ist im Moment vor allem, dass sie nichts zu tun haben.

Seit dem Wochenende herrscht Baustopp auf der Waldfläche, auf der der US-amerikanische Autobauer Tesla eine seiner Gigafabriken errichten will. Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg unterband die Rodungsarbeiten am Samstag, nachdem der Umweltverband Grüne Liga einen Eilantrag gestellt hatte. Das Landesumweltamt konnte bis zu diesem Dienstag Stellung dazu nehmen, nun müssen die Richter endgültig entscheiden, ob Tesla abholzen darf oder nicht.

"Wir lassen uns davon erst mal nicht unter Druck setzen"

Die Landesregierung in Potsdam, eine Koalition aus SPD, CDU und Grünen, gibt sich dennoch entspannt: "Wir lassen uns davon erst mal nicht unter Druck setzen", sagt Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Man wolle die Entscheidung der Richter in Ruhe abwarten. Die Gelassenheit ist insofern erstaunlich, weil Tesla eines der größten Wirtschaftsprojekte in dem Bundesland seit der Wende wäre. Eines, das eine Signalwirkung weit über Brandenburg hinaus hätte. Deutschland würde als Standort von Tesla gleichziehen mit den USA und China. Der ursprüngliche Plan der Amerikaner sieht vor, hier ab 2021 Elektroautos zu produzieren, 500 000 im Jahr sollen es einmal werden.

Nach dem Rodungsstopp hat Tesla in den USA vorsorglich seine Investoren gewarnt, der Bau der Fabrik sei "mit einer ganzen Reihe von Unsicherheiten" verbunden. Seitdem ist die Baustelle in Grünheide auch zum Symbol dafür geworden, ob Deutschlands Vorschriften zur Industrieansiedlung nicht längst Industrieverhinderungsvorschriften seien. Am Dienstagmorgen mischte sich deshalb auch der Bundeswirtschaftminister in die Debatte ein. "Der Bau des Tesla-Automobilwerks in Brandenburg ist von großer Bedeutung für mehr Klimaschutz und eine der wichtigsten Industrieansiedlungen in den neuen Ländern seit langer Zeit", mahnte Peter Altmaier (CDU). Selbst die SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze sieht in dem Werk mehr Chance als Schaden: "Ich bin zuversichtlich, dass der Eingriff in den Naturhaushalt vollständig und gut ausgeglichen werden kann. Energiewende und Naturschutz müssen zusammen gelingen können."

"Wir haben in Deutschland ein nie dagewesenes Artensterben, aber das hat nichts mit Tesla-Giga-Factories oder der Windenergie zu tun"

Es ist ja auch eine etwas paradoxe Situation: Da will der größte Hersteller von Elektroautos ein Werk errichten und könnte gerade am Naturschutz scheitern. Zumal die Natur, um die es dabei geht, nicht einmal für den Familienausflug taugt: Ein Wald, der eher eine Ansammlung von dürren Kiefern ist, angepflanzt, um das Holz zu schlagen, und damit es neben dem Autobahnring im Südosten von Berlin nicht gar so karg aussieht. "Nutzwald" wird so ein Baumbestand unter Förstern abschätzig genannt. 300 Hektar hat Tesla erworben, 90 Hektar davon will das Unternehmen in einer ersten Ausbaustufe bis Ende Februar gerodet haben.

Das war von vornherein ein sehr ehrgeiziger Zeitplan des Tesla-Gründers Elon Musk. Doch wenn das Unternehmen im kommenden Jahr mit der Produktion beginnen will, geht es kaum anders. Grund ist, dass im März die Brutsaison beginnt. Der Kiefernwald gilt zwar als wenig artenreich, aber auch die wenigen Arten die es gibt, müssen geschützt werden. Darunter Fledermäuse, Waldameisen und einige Vogelarten. 400 Nistplätze hat Tesla deshalb außerhalb des zu rodenden Waldes einrichten lassen, zeitgleich haben Spezialisten begonnen, Ameisenhügel zu versetzen. Der Wald selbst soll durch Anpflanzungen an anderen Orten in dreifachem Umfang ersetzt werden.

Die großen Naturschutzverbände haben daher zuletzt kaum mehr gegen die Fabrik protestiert. "Wir haben in Deutschland ein nie dagewesenes Artensterben, aber das hat nichts mit Tesla-Giga-Factories oder der Windenergie zu tun", sagt der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Oliver Krischer, der auch Mitglied des BUND ist. "Wir brauchen Natur- und Artenschutz, wo er etwas bringt und keine Stellvertreter-Auseinandersetzungen anhand von Kiefernplantagen."

Widerstand gegen diese pragmatische Linie kommt von der kleinen, kaum bekannten Grünen Liga. In Brandenburg ist der Umweltverband mit 700 Mitgliedern jedoch eine feste Größe, entstanden aus der Ökobewegung der DDR. "Wir haben nichts Grundsätzliches gegen Tesla und die Idee, mit E-Autos den Kohlendioxidausstoß zu senken", sagt einer der Liga-Gründer, Heinz-Herwig Mascher, dem Berliner Kurier. Die Rodungsgenehmigung für Tesla schaffe jedoch "einen gefährlichen Präzedenzfall".

Tatsächlich sind die Ansiedlungsvorschriften ziemlich ausgereizt worden, damit Tesla seinen Zeitplan einhalten kann. So ist das Verfahren für die Baugenehmigung noch nicht abgeschlossen. Bis zum 5. März können noch Einwände erhoben werden, am 18. März beginnt die öffentliche Erörterung, erst dann können die Behörden entscheiden. Damit Tesla dennoch anfangen kann, hatte das Landesumweltamt am vergangenen Donnerstag den Beginn der Rodung gesondert genehmigt.

In Grünheide sieht es bereits aus wie auf manchen dieser Bilder aus dem Amazonasgebiet: Breite Schneisen wurden in den Wald geschlagen, auf den brachen Flächen sind noch einzelne Baumgruppen übrig, verloren sehen sie aus. An dem Tisch neben der Gulaschkanone stehen drei Forstarbeiter, die hier für Tesla arbeiten. Sie sind sich ziemlich sicher, dass bald weiter gerodet werden wird. "So wird das nicht stehen bleiben", sagt einer von ihnen. "Das kippt eh beim nächsten Sturm um."

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SZ vom 19.02.2020
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