Tengelmann:Dem Rivalen zu Diensten

Berlin - Kaiser's Markt

Längst eine Belastung: Seit mehr als 15 Jahren schreiben Kaiser's-Märkte wie diese Berliner Filiale Verluste.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Firmenchef Haub kämpft für den Verkauf seiner Kaiser's-Märkte an Edeka. Dabei ist er zu großen Zugeständnissen bereit, wie Unterlagen des Kartellamts zeigen.

Von Kirsten Bialdiga

Es war eine heimliche Übernahme. Damals, Anfang der 1970er-Jahre, als es Tengelmann-Chef Erivan Haub auf die deutlich größere Supermarktkette Kaiser's abgesehen hatte. Mit deren Haupteigentümer trifft er sich im "Frankfurter Hof". Doch der sieht die Sache so: Kaiser's soll Tengelmann übernehmen, nicht umgekehrt. Haub lässt sich nichts anmerken - und kauft über Mittelsmänner im Verborgenen Anteile an Kaiser's zusammen, bis er die Mehrheit hat.

Das ist lange her, heute führt sein Sohn Karl-Erivan Haub in fünfter Generation die Geschäfte der Milliardärsfamilie. Anders als die Tochterfirmen Obi oder Kik sind die Kaiser's-Märkte für Tengelmann längst zu einer Belastung geworden, seit mehr als 15 Jahren schreiben sie Verluste. Haub will die 451 Märkte an den Hamburger Rivalen Edeka verkaufen - ein Vorhaben, das bisher am Kartellamt scheiterte. In wenigen Wochen wird Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) entscheiden, ob er die Fusion mit einer Sondergenehmigung, einer Ministererlaubnis, doch möglich macht. Beeinflussen könnte ihn dabei das täglich zu erwartende Gutachten der Monopolkommission, deren Empfehlungen Minister in der Vergangenheit oft, aber nicht immer folgten.

Karl-Erivan Haub jedenfalls setzt alles daran, jene Supermärkte zu veräußern, die sich sein Vater einst so mühsam erkämpfte. Beim geplanten Verkauf an Edeka kam er den Hamburgern offenbar noch mehr entgegen als bisher bekannt. Dies geht aus dem entsprechenden Kartellamtsbeschluss hervor, den die Behörde inzwischen auch im Internet veröffentlicht hat. In diesem Dokument sind viele Absätze mit schwarzen Balken unkenntlich gemacht, weil sie Geschäftsgeheimnisse enthalten oder sensible Informationen aus dem Kaufvertrag. Aus einer ungeschwärzten Fassung, die der SZ vorliegt, wird nun aber deutlich, dass Haub gegenüber Edeka schon im Vorfeld der Fusion zu sehr weitreichenden Zugeständnissen bereit war.

Diesem Papier zufolge machte Haub beispielsweise die Zusage, Filialen von Kaiser's Tengelmann (KT) schon vor der eigentlichen Übernahme zu schließen - so viel ist bekannt. Neu ist aber, dass die Auswahl der Filialen demzufolge nicht nur nach Rendite-Kriterien geschah. Es sollten auch Märkte geschlossen werden, weil sie sich in der Nähe von Edeka-Filialen befanden und dem Konkurrenten offenbar in die Quere kamen. Die Edeka-Regionalgesellschaft Minden-Hannover durfte bereits während der Verhandlungen eine eigene Standortanalyse für die 145 Filialen des Konkurrenten Kaiser's Tengelmann in Berlin und Brandenburg vornehmen, in der unter anderem die "Rentabilität" und "Doppelbelegungen", also die Nähe zu Edeka-Standorten, geprüft worden seien, wie es in dem Papier heißt. Im Ergebnis sollten nach den Vorstellungen von Edeka dem Beschluss zufolge 24 Standorte geschlossen werden. "Wunschliste" nannten das die beteiligten Unternehmen.

Den Wünschen wurde dem Kartellamt zufolge weitgehend entsprochen. Im Kaufvertrag, der am 1. Oktober 2014 unterzeichnet wurde, verpflichtet sich Tengelmann demnach unter anderem dazu, schon vor der Übernahme konkret von Edeka benannte KT-Filialen in der Region Berlin entweder zu schließen, zu veräußern oder an Dritte zu übertragen. Kik-Filialen, Drogerien oder Biomärkte könnten in die leeren Märkte, die sogenannten Carve-Out-Filialen, einziehen, zitiert das Kartellamt dazu Tengelmann in seinem Beschluss. Auch Lagerstandorte und Fleischwerke wolle Tengelmann schließen. KT habe damit die Entscheidung über den Bestand von Standorten bereits im Vorfeld des Zusammenschlusses auf Edeka übertragen, monieren die Wettbewerbshüter.

Tengelmann bestreitet diese Version, wie ebenfalls aus dem Kartellamtsbeschluss hervorgeht. Es handele sich um ein sprachliches Missverständnis, wird eine Unternehmensvertreterin zitiert, es gebe noch keine verbindlichen Entscheidungen. Der Kaufvertrag regele nur, was zum Zeitpunkt der tatsächlichen Übernahme geschehen solle. Zurzeit wollen sich Tengelmann und Edeka nicht äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.

In Berlin und Brandenburg sollen 24 von 145 Filialen geschlossen oder verkauft werden

Für den Fall, dass Tengelmann beim Restrukturieren in Vorleistung geht, soll Haub laut Kartellamtsbeschluss jedenfalls keine finanziellen Nachteile haben. "Euro für Euro", wie es in dem Papier heißt, soll er den Aufwand erstattet bekommen. Der Kaufpreis für Kaiser's Tengelmann soll sich entsprechend erhöhen. Aber den möglichen Imageschaden, der mit der Schließung von Filialen und Personalabbau einhergeht, nimmt Tengelmann der Edeka offenbar ab: Tengelmann stelle Edeka von sämtlichen Verpflichtungen oder Schäden, auch durch Rufschädigung, im Zusammenhang mit den Schließungsfilialen frei, zitiert die Bonner Behörde aus dem Kaufvertrag. Da Edeka und Tengelmann aber von Anfang an versicherten, die 16 000 Arbeitsplätze bei Kaiser's Tengelmann seien bei einer Übernahme durch Edeka gesichert, hält das Kartellamt die spätere Schließung von Filialen zumindest für die Glaubwürdigkeit von Edeka problematisch. Die Unternehmen wollten sich dazu nicht äußern.

Doch der Tengelmann-Chef geht noch weiter. Noch vor der Fusion will er dem Dokument zufolge auch den Wareneinkauf zum Teil bereits gemeinsam mit Edeka betreiben. Dafür riskiert Haub sogar gewachsene Kooperationen und gerät darüber mit seinem Einkaufspartner Bünting in Streit. Als der mittelständische Lebensmittelhändler aus Ostfriesland von Tengelmanns Fusionsabsichten erfährt, bittet er laut Kartellamt schriftlich dringend um schnellstmögliche Aufhebung des bestehenden Kooperationsvertrages, der eigentlich mindestens bis 31. Dezember 2016 laufen sollte. Bünting fürchtete wohl, dass die eigenen Einkaufspreise nun auch Edeka bekannt werden. Die Hamburger könnten mit diesem Wissen die Lieferanten unter Druck setzen. So groß war dem Papier zufolge die Unruhe, dass Bünting seine Jahresgespräche mit den Lieferanten daraufhin vorübergehend aussetzen musste. Eine Fortsetzung der Kooperation mit Tengelmann in gewohnter Weise sei nicht mehr möglich gewesen, teilt Bünting dazu jetzt mit, "die Zusammenarbeit werde zu modifizierten Bedingungen fortgesetzt".

Warum aber kam Haub Edeka so weit entgegen, bevor er überhaupt sicher sein konnte, dass die Übernahme genehmigt würde? Für das Kartellamt ist die Sache klar: Es sollten schon vor der eigentlichen Übernahme Fakten geschaffen werden und die Übernahme der Tengelmann-Märkte durch Edeka alternativlos sein. Dafür habe Haub in Kauf genommen, die eigenständige Überlebensfähigkeit von KT zu schwächen und die Chancen zu verringern, die Märkte jemals an einen anderen Interessenten verkaufen zu können. In der Folge untersagte die Bonner Behörde diese Pläne, die Unternehmen legten dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht ein. Noch ist nichts entschieden. Nun warten alle auf den Bundeswirtschaftsminister.

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