Süddeutsche Zeitung

Telematik-Tarife:Der Versicherer fährt immer mit

Die Unternehmen bieten günstigere Policen, wenn Autofahrer dafür Daten preisgeben. Viele finden das gar nicht schlimm.

Von Christian Bellmann und Anne-Christin Gröger, Köln

Eigentlich ist das Angebot ein Albtraum für Autofahrer in dem Land, in dem "freie Fahrt für freie Bürger" ein durchaus zugkräftiger Slogan ist und das als einziges in der Welt Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung kennt. Mit sogenannten Telematik-Tarifen können Autolenker bis zu 30 Prozent Prämie bei der Kfz-Versicherung sparen, wenn sie sich an Tempolimits halten, vorausschauend fahren und in der Kurve einen Gang zurückschalten. Allerdings müssen die Autofahrer dafür Daten preisgeben: Mit dem Abschluss gestatten sie dem Versicherer, den Fahrstil per App, Stecker, elektronischer Vignette oder Box zu überwachen.

Bisher sind die Tarife auf junge Fahrer bis 25 Jahre beschränkt, doch mehrere Versicherer wollen sie bald für Kunden aller Altersgruppen öffnen. Es gibt allerdings auch vehemente Gegner der Tarife, sogar in der Versicherungswirtschaft. Sie argumentieren, dass sich die Autofahrer hierzulande nicht überwachen lassen wollen. Aber stimmt das? Die junge Generation zumindest ist für solche Angebote aufgeschlossen.

Der günstigere Preis wäre in jedem Fall ein Argument für Georg Baumbach, einen solchen Tarif abzuschließen. Der Schüler aus Karlsruhe, der bald 16 Jahre alt wird und dann mit den Fahrstunden anfangen will, kann sich das vorstellen. "Wenn das vom Preis her einen großen Unterschied ausmacht und ich ordentlich sparen kann, würde ich das machen", sagt er. Baumbach möchte allerdings sicher sein, dass die Gesellschaften kein Schindluder mit seinen Daten treiben. "Ich will nicht, dass die mich überwachen und dann mögliche Verstöße gegen die Verkehrsregeln an die Polizei melden oder so etwas Ähnliches."

Mona Gerber, die sich für eine sehr vorsichtige Fahrerin hält, kann sich ebenfalls vorstellen, einen solchen Tarif abzuschließen. Die 25-jährige Kölnerin, die eigentlich anders heißt, hat schon einige Jahre Fahrpraxis. Dennoch zahlt sie jährlich immer noch fast 1000 Euro an Versicherungsprämie für ein mittelgroßes Auto. "Da könnte ich bestimmt einiges rausholen", glaubt sie. Dass sie dem Versicherer viele Daten überlässt, stört sie nicht.

Es gibt natürlich auch Skeptiker. Jonathan Dieter stand schon einmal vor der Entscheidung, einen Telematik-Tarif abzuschließen. "Ich hab mich dagegen entschieden", sagt der 25-jährige Kölner. "Die Versicherer sehen alles, was ich mache, ich hätte mich komplett überwacht gefühlt." Außerdem habe ihn die Technik nicht überzeugt. "Die wollten, dass ich eine App auf dem Smartphone installiere und konnten mir nicht beantworten, was passiert, wenn ich das Handy mal ausschalte."

"Die App funktioniert wie ein virtueller Fahrlehrer", heißt es bei der Allianz

Telematik-Tarife sind bei jungen Leuten angekommen und zum Gesprächsthema geworden. Lange Zeit haben sie sich sehr schlecht verkauft. Doch jetzt zieht das Geschäft an. Marktführer HUK-Coburg hat seit Anfang 2017 rund 65 000 junge Kunden dafür gewonnen, Konkurrent Allianz, der etwas früher da war, hat 67 000 Verträge in den Büchern. Auch andere Gesellschaften wie Signal Iduna, Generali oder die Hannoveraner VHV verkaufen die Policen inzwischen. Die meisten Versicherer prüfen nun, ob sie nachziehen sollen.

Frühere Versuche waren fast alle fehlgeschlagen. Die R+V und die SV Direkt experimentierten bis vor vier Jahren noch, zogen sich dann aber zurück - sie fanden die Technik wenig ausgereift, mit der die Fahrdaten aufgezeichnet und übertragen wurden. Dieses Argument dürfte bald ganz wegfallen. Laut EU-Verordnung müssen ab diesem Jahr alle Neuwagen Systeme zur Positionserfassung und Notfallmeldung an Bord haben, den sogenannten E-Call. Dasselbe System kann auch das Fahrverhalten für Telematik-Tarife messen. Der Einbau von teuren Kästen zur Datenerfassung entfällt dann, auch die fehleranfällige Fahrdatenermittlung per Handy-App gehört der Vergangenheit an.

Für die Versicherer sind Telematik-Tarife deshalb so interessant, weil sich vor allem vorsichtige Fahrer dafür entscheiden. Sie verursachen ohnehin weniger Unfälle und sind für die Gesellschaften attraktive Kunden. Wer sie per Telematik-Preisnachlass gewinnt, hat einen deutlichen Vorteil gegenüber Rivalen, die keinen solchen Tarif und keinen Nachlass bieten.

Zwar wollen sich die Anbieter noch nicht festlegen, wie sich die Angebote statistisch auf das Fahrverhalten auswirken. Aber: "Wir sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Fahrverhalten und der Schadenneigung", sagt ein Sprecher der HUK-Coburg. "Angespornt davon, durch das Verhalten sparen zu können, entwickeln Versicherte mit einem Telematik-Tarif nämlich meist ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre Fahrweise."

Es gibt gute Gründe dafür, dass die Versicherer die Tarife zunächst vor allem für junge Fahrer anbieten. Für sie sind die klassischen Kfz-Policen sehr teuer, da sie mit höherer Wahrscheinlichkeit in Unfälle verwickelt werden und die Anbieter das in die Prämie einpreisen. Für Fahranfänger könnte sich eine vorsichtige Fahrweise mit den neuen Policen auszahlen.

Manche befürchten, dass der Versicherer ihnen nach einem Unfall einen Strick drehen kann

Diese Erfahrung hat immerhin die Allianz gemacht. "Fahranfänger mit Telematik fahren viel besser als Fahrer ohne Telematik", berichtet Stefan Duscha, Projektleiter Telematik bei dem Versicherer. Die App, die die Allianz dafür einsetzt, misst das Verhalten während der Fahrt und gibt beinahe in Echtzeit Feedback. "Die App funktioniert wie ein virtueller Fahrlehrer."

Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht hat sich die Tarife genauer angesehen. Das Fazit: Sie sind dann zulässig, wenn geklärt ist, dass die Daten des Versicherten von den Fahrdaten getrennt gespeichert werden. Zudem müssen die Informationen anonymisiert aufbewahrt werden. Dritte, die nicht Versicherungsnehmer sind, dürfen nicht über die Aufzeichnung informiert werden. "Wir haben diese als Pay as You Drive oder Pay how You Drive bezeichneten Tarifmodelle nicht als grundsätzlich unzulässig bewertet, sondern darauf hingewiesen, dass die genannten Punkte berücksichtigt werden müssen", heißt es im letzten Tätigkeitsbericht. Pay as You Drive bedeutet, dass pro gefahrenem Kilometer abgerechnet wird, Pay how You Drive bedeutet Versicherungsprämie nach Fahrstil.

Nicht überzeugt ist bisher Rudolf Dietrich, der in Köln eine Fahrschule betreibt. Er glaubt nicht, dass die Straßen durch solche Tarife sicherer werden. "Letztendlich schließen das nur Leute ab, die ohnehin vorsichtig fahren, die Raser wissen schon selbst, dass sie für sie nichts bringen würden", sagt er. "Solche Angebote bringen nur den Versicherern was, weil die dadurch die guten Kunden kriegen, die wenig Unfälle bauen." Auch Nico Schabert, der seit vielen Jahren eine Fahrschule in Blaubeuren auf der Schwäbischen Alb hat, ist nicht einfach begeistert. "Die Möglichkeit, Prämie zu sparen, ist sicherlich eine Motivation für Fahranfänger, sich auf so etwas einzulassen", sagt er. Auf der anderen Seite befürchten junge Leute, dass der Versicherer ihnen nach einem Unfall einen Strick drehen kann. "Nach dem Motto: Du hast den Unfall mitverschuldet, also werde ich dich in Regress nehmen."

Jetzt denken die Gesellschaften darüber nach, die Telematik-Tarife auszuweiten. "Aufgrund der demografischen Entwicklung könnten Telematik-Tarife auch für ältere Fahrer eine Option sein, um nachzuweisen, dass sie noch gute Autofahrer sind", sagt Duscha von der Allianz. Allerdings gebe es noch wenig Kenntnisse dazu: "Hier sind noch viele Tests nötig." Ein solcher Schritt könnte der Durchbruch für die datenbasierten Verträge sein.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2018
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