Süddeutsche Zeitung

Telekom-Spitzelaffäre:Mr. Heiße Luft und die Operation Rheingold

Seit einem Jahr mühen sich die Deutsche Telekom und die Staatsanwaltschaft, Licht in die Datenschutzaffäre zu bringen - Versuch einer Zwischenbilanz.

H. Leyendecker

Vor genau einem Jahr, am 29. April 2008, fertigte der damalige Chefsyndikus und heutige Datenschutz-Vorstand der Telekom, Manfred Balz, einen dreiseitigen Vermerk, den er in Großbuchstaben nur mit einem Wort überschrieb: "PHYLAX" - das ist griechisch und heißt "der Wächter".

Aufgerüttelt durch ein am Vortag bei ihm eingegangenes ominöses Fax, schilderte er Hinweise eines Berliner Beratungsunternehmens, wonach die Telekom Aufsichtsräte, Journalisten und auch eigene Manager bespitzelt habe. Der Geschäftsführer der Berliner Firma, die von der Telekom noch 440.000 Euro wollte, hatte in dem Schreiben an Balz außerdem behauptet, die geheimen Projekte seien angeblich "direkt vom Vorstand (in enger Abstimmung mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden"), also mit Klaus Zumwinkel, auf den Weg gebracht worden. Auch das war ein ziemlich ungeheuerlicher Vorwurf.

Nicht unzweideutig

Ein Jahr danach ermittelt die am 14. Mai 2008 vom Vorstand der Telekom eingeschaltete Bonner Staatsanwaltschaft gegen acht Beschuldigte - darunter Zumwinkel sowie der frühere Telekom-Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke und der Berliner Geschäftsführer - wegen diverser Verstöße gegen den Datenschutz und das Fernmeldegeheimnis. Vermutlich im Sommer werden die ersten Anklagen verschickt. Die Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner, die früh von Vorstand und Aufsichtsrat eingeschaltet wurde, hat im Januar einen ebenfalls voluminösen Bericht "zum Vorgang Phylax" vorgelegt, und quasi als Sonderermittler sind die früheren Bundesjustizminister Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum im Einsatz.

Aber auch nach so unterschiedlichen und vielfältigen Aufklärungsbemühungen ist dieser Wirtschaftskrimi immer noch nicht gusseisern und unzweideutig. Deshalb kann auch der Versuch einer Bilanz zum Jahrestag nur vorläufig sein.

Die Suche nach den Lecks

Der Titel einer Oper von Richard Wagner war die interne Projektbezeichnung für eine Unternehmung, die sich etwa von Anfang 2005 bis September 2005 erstreckte. Die Telekom-Führung hatte sich im Januar 2005 über Lecks im Unternehmen beklagt. Ricke beauftragte die Konzernsicherheit mit Untersuchungen.

Den Fall übernahm Klaus Trzeschan, Leiter der Spezialabteilung KS3 - das war eine 13-köpfige Sondertruppe innerhalb der Konzernsicherheit. "Ziel war es", so steht es jedenfalls im Oppenhoff-Bericht, Beweise vor allem gegen das Aufsichtsratsmitglied Herrn Wegner zu beschaffen". Gegen Telekom-Betriebsratschef Wilhelm Wegner, der seit etlichen Jahren im Kontrollgremium saß, habe irgendwie ein "Anfangsverdacht" bestanden. "Uns ist nicht bekannt, warum Herr Wegner in das Zielkreuz geraten ist", schreiben die Anwälte.

Illegal beschaffte sich Trzeschan die Verkehrsdaten von Wegners diversen Telefonanschlüssen sowie denen des Capital-Redakteurs Reinhard Kowalewsky, der durch journalistische Scoops in Sachen Telekom aufgefallen war. Der KS3-Mann reichte die Daten weiter an die Berliner Beraterfirma, die mit Hilfe spezieller Software nach Verbindungen suchte. Für die Kanzlei Oppenhoff & Partner, der Telekom bergeweise Dokumente zur Verfügung stellte, aber auch für die Staatsanwaltschaft Bonn, ist unklar, wie viele Verkehrsdaten anderer Personen bei der "Operation Rheingold" erfasst und ausgewertet wurden.

Im Mai 2005 gab Trzeschan vor, er habe das Leck gefunden - den gesuchten Wegner. Gemeinsam mit dem damaligen Chef der Konzernsicherheit präsentierte er Ricke und Klinkhammer angebliche Beweise: Darunter ein Blatt, auf dem handschriftlich zeitliche Zusammenhänge zwischen der Information von Aufsichtsratsmitgliedern und Indiskretionen notiert und angebliche Treffen zwischen Kowalewsky und Wegner markiert waren.

Auf Nachfrage Klinkhammers behauptete Trzeschan, in der Capital-Redaktion gebe es eine "Innenquelle", eine Frau, und sie habe im Kalender des Journalisten angeblich die Eintragungen von Treffen der beiden Männer entdeckt. Klinkhammer wollte Beweise oder ein Gespräch mit der Maulwurf-Frau, doch Trzeschan wich aus.

Monate später, am 30. Oktober 2005, lud Zumwinkel im Beisein Rickes den Aufsichtsrat Wegner in den 42. Stock im Tower der Deutschen Post und äußerte gleich den Verdacht, dass Wegner unerlaubte Kontakte mit Journalisten gepflegt habe. Der stritt das ab.

Nach Erinnerung Wegners hat Zumwinkel dann behauptet, ihm liege die eidesstattliche Erklärung eines Mitarbeiters von Capital vor, dass Wegner vertrauliche Unterlagen aus der Telekom an Kowalewsky weitergereicht habe. Wegner bestritt erneut den Vorwurf. Er habe nie Unterlagen weitergegeben. Dann stehe Aussage gegen Aussage, soll Zumwinkel gesagt oder vielleicht auch nur geblufft haben.

Oppenhoff & Partner hat diesen Teil der Affäre gründlich aufgearbeitet und kommt zu dem Ergebnis, die Geschichte mit der Maulwurf-Frau sei ebenso "fragwürdig" wie diejenige mit der angeblichen eidesstattlichen Versicherung. Klinkhammer hat eine solche eidesstattliche Versicherung niemals gesehen. Laut Oppenhoff & Partner haben Zumwinkel und Ricke dem Vormann von KS3 "die Anweisung zur Ermittlung" gegeben. Der frühere Telekomchef-Ricke bestreitet diesen Vorwurf. Ein Sprecher erklärt, Ricke habe niemals Trzeschan beauftragt, das Leck zu finden, sondern nur mit Klinkhammer und dem damaligen Sicherheitschef gesprochen.

Zumwinkel äußert sich nicht dazu. Trzeschan hat in einem Disziplinarverfahren, das gegen ihn lief, immer wieder behauptet, Zumwinkel habe ihn zu absoluter Geheimhaltung aufgefordert. Aber selbst das würde nicht bedeuten, dass Zumwinkel die illegale Praxis kannte. Andererseits: Die These, eine kleine Sicherheitsabteilung sei wild geworden und habe ohne Kenntnis führender Manager ein monströses Überwachungssystem installiert, wird nicht nur von der Bonner Staatsanwaltschaft bezweifelt.

Bespitzelung bis zur Paranoia

Fest steht, dass über viele Monate Dutzende Arbeitnehmer-Vertreter, Gewerkschafter, Betriebsräte ausgespäht worden sind. Nicht nur im Nachgang zu Sitzungen, sondern schon vor Aufsichtsratssitzungen wurde ausgeforscht, wer mit wem telefonierte.

Der Verfolgungswahn reichte bis in den Vorstand. Festnetzchef Werner Raizner, der ehemalige Personalchef Heinz Klinkhammer, der jüngst zu Arcandor gewechselte Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick, aber auch Ex-Telekomchef Ron Sommer und dessen Pressesprecher Jürgen Kindervater galten als verdächtig. In langen Listen wurden mögliche Quellen erfasst. Paranoia.

Ausspähung von Journalisten

Immer wieder tauchten Hinweise auf, die Sicherheitsleute der Telekom hätten nach 2005 systematisch Redaktionen ausgeforscht. Mit Ausnahme des Capital-Falls gibt es aber weder bei der Staatsanwaltschaft noch bei den von dem Telefon-Unternehmen beauftragten Anwälten handfeste Belege für solche Attacken auf die Pressefreiheit.

Die meisten Gerüchte nähren sich aus einer E-Mail vom 10. November 2006, die von der Sicherheitsabteilung an Ricke geschickt wurde. Auffällig unbestimmt ist in dieser Mail von angeblichen Interna aus Redaktionssitzungen der Bild-Zeitung die Rede. In den Telekom-Unterlagen findet sich lediglich ein handgeschriebener Vermerk (Verfasser unbekannt), demzufolge angeblich eine Quelle aus der Bild-Zeitung Interna an das Bonner Unternehmen weitergereicht habe. Viel spricht dafür, dass diese Quelle aus Wichtigtuerei oder anderen Gründen erfunden wurde.

Die Bonner Staatsanwaltschaft geht im Fall des ehemaligen KS3-Leiters Trzeschan, der einige Monate in Untersuchungshaft saß, weiterhin davon aus, dass dieser die Leck-Suche auch für eigene Zwecke genutzt hat. In einem Memorandum Trzeschans vom 29. November 2005 erklärte der ehemalige Fernmeldeoberrat, die angebliche Quelle bei Capital solle eine Ausgleichszahlung in Höhe von 180.000 Euro erhalten.

"Auf Weisung von Dr. Zumwinkel ist die Abwicklung der Ausgleichszahlung genauso diskret und geräuschlos abzuwickeln wie der gesamte Ermittlungskomplex. Nachverfolgbare Spuren, zum Beispiel durch das Nachvollziehen von Zahlungsströmen sind zu legendieren". Trzeschan erhielt das Geld auf einem seiner Konten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er die 180.000 Euro ebenso wie weitere 175.000 Euro für sich behalten hat, was er vehement bestreitet. Vieles in dem Fall Telekom ist noch ungeklärt, was auch an den Hauptpersonen liegt.

Der Geschäftsführer der Berliner Beraterfirma, also jener Mann, der Balz am 28. April 2008 das Fax schickte, hat nach Feststellungen von Oppenhoff & Partner "situationsorientiert wechselnde Darstellungen" zu unterschiedlichen Bereichen abgegeben. Man könne nur das glauben, "was sich an Hand anderer Quellen verifizieren lasse". "Mr. Heiße Luft" nennen ihn auch die staatlichen Ermittler.

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SZ vom 29.04.2009/hgn
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