Telekom: Neuer Spitzel-Fall:Das Raubtier aus Bonn

Pikante Details aus dem Leben eines Journalisten: Ein neuer Schnüffel-Fall bei der Telekom dokumentiert die Hemmungslosigkeit der Unternehmens-Spione.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Am 23. November 2004 begann in Saal 165 C des Frankfurter Landgerichts ein ganz besonderer Prozess: 14.447 Aktionäre klagten gegen die Deutsche Telekom. Sie fühlten sich beim Börsengang des Unternehmens hereingelegt. 754 Rechtsanwälte lieferten Klageschriften dazu ab. Am Ende des ersten Verhandlungstages fand im Gerichtsgebäude eine Pressekonferenz der Klägeranwälte statt, die Detlef Gürtler, Journalist und Buchautor, moderierte. Die Telekom war auch dabei: Sie ließ alles mitschreiben.

Telekomzentrale in Bonn

Ort der Spionage: DieTelekom-Zentrale in Bonn

(Foto: Foto: dpa)

Vier Tage später erschien eine Kolumne Gürtlers in der Welt zu gewissen Umständen dieses Prozesses. Die Telekom nahm von der Veröffentlichung Notiz. Knapp zwei Monate später, am 20. Januar 2005, legte die Abteilung Konzernsicherheit dann ein Memorandum zu Gürtler an. Aus dem rosa Riesen war Big Brother geworden

Neue Dimension

Der Fall übertrifft alles bislang über illegale Schnüffelmethoden deutscher Wirtschaftsunternehmen Bekannte. Die Telekom ließ jede Hemmung fallen. Es ging nicht um Lecks, es ging um einen angeblichen Kritiker. Die Spitzelaffäre erscheint in einer neuen Dimension.

Acht Blätter wurden über Gürtler zusammengetragen. Sie sind mit dem Hinweis "vertraulich" versehen und führen den Urheber in fetter Schrift : "Konzernsicherheit". Kaum ein Detail aus dem Leben des Journalisten fehlt: Geburtsdatum und -ort, Mädchenname der Frau, Namen und Geburtsdaten der drei Kinder.

Außerdem: seit wann Gürtler in Berlin gemeldet ist, Kaufpreis der Eigentumswohnung, Art der Finanzierung, Nebenwohnsitz auf Marbella mit Adresse, Adresse der Mutter (Vermerk: "gelegentlich verwendete Zustellanschrift"), Sprachkenntnisse, Parteimitgliedschaft bei den Grünen (Vermerk: "nicht aktiv"), drei Bilder. Aufgelistet werden Gürtlers Studium an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg, berufliche Stationen bei Cash Flow, Wochenpost, Amica, Brandeins, Telebörse, dazu spätere Tätigkeiten als freier Journalist bei taz und Welt. Selbst die Kontoverbindung liegt vor und "mehrere Telekom-kritische" Texte.

Gläsern für die Konzernsicherheit

Zuständig für die Observation war die Abteilung KS3 der Konzernsicherheit. Sie schrieb: Der Journalist sei "Herausgeber" einiger Bücher. Das ist eine kleine Verwechslung. Gürtler, 45, ist Autor einiger Bücher. Er hat unter anderem über den Minus-Milliardär Thomas Haffa und gemeinsam mit Hans-Joachim Selenz das Schwarzbuch VW geschrieben. Sein Buch Die Tagesschau erklärt die Wirtschaft landete auf den Bestsellerlisten. Immerhin gilt Gürtlers finanzielle Situation "als geordnet. Bundesweit besteht kein Aktenbestand" gegen ihn. "Die wirtschaftlichen Bilanzen" als freier Journalist, angebliche Betriebseinnahmen und -ausgaben von 2001 bis 2003, machen Gürtler zu einem gläsernen Menschen

Als die Süddeutsche Zeitung ihn jetzt über den bislang unbekannten Vorgang informiert, bezeichnet Gürtler die genannten Summen als deutlich zu hoch. Laut Telekom-Memorandum wurde seine Steuer von einer Hamburger Steuerberatungsgesellschaft bearbeitet. "Das ist nicht mein Steuerberater", erklärt Gürtler. Diese Gesellschaft arbeitete aber bis 2006 für das Wirtschaftsmagazin Brandeins, dessen Gründungsmitglied Gürtler war.

Über Sexualgewohnheiten steht in den Gürtler-Papieren nichts - so zurückhaltend waren die Schnüffler nicht immer. In einer ähnlich angelegten Akte über eine kroatische Geschäftsfrau findet sich der Hinweis: "Im Bett eine sehr erfahrene und erfindungsreiche Sexualpartnerin. (...) ein weibliches Raubtier".

Heikle Überweisungen

Weil das Dokument keine Unterschrift trägt, ist der Verfasser des Spähangriffs auf Gürtler noch unbekannt. Wahrscheinlich war es aber ein früherer Nachrichtendienstler, der vor Jahren zur Konzernsicherheit der Telekom kam. Sein Name findet sich in der "Dateiinfo" unter "Dateieigenschaften" als Autor.

Seit Frühjahr 2008 ermitteln die Bonner Staatsanwälte im Telekom-Skandal gegen den früheren Telekom-Vorstandschef Kai-Uwe Ricke und weitere Beschuldigte wie den ehemaligen Sicherheitschef. Ihnen werden der Bruch des Fernmeldegeheimnisses und weiterer Delikte zu Last gelegt. Der Konzern hatte herausfinden wollen, welche Aufsichtsräte mit welchen Journalisten telefonierten.

Gürtlers Dossier wurde auf einer von vielen Festplatten gefunden, die von der Bonner Staatsanwaltschaft sichergestellt worden war. Die Telekom gibt an, sie könne zum Fall wenig sagen. Dem Unternehmen sei weder der Journalist noch seine Bespitzelung bekannt. Man habe bisher keinen Zugang zu den Ermittlungsakten und insofern "noch kein vollständiges Bild". Die Telekom werde sich gegebenenfalls mit Gürtler in Verbindung setzen, sobald man den Sachverhalt kenne.

Eigentlich ist der Fall Gürtler klar, doch weil der Journalist - er ist gegenwärtig auch Chefredakteur zweier Blätter, die ein paar Mal im Jahr erscheinen - zeitweise für das Sicherheitsunternehmen Control Risks GmbH (CR) tätig war, wird die Lage unübersichtlich. Bis mindestens 2002 machte Control Risks mit der Telekom Geschäfte.

Im Gürtler-Memorandum findet sich eine Überweisung vom 27. April 2004 über 1931,40 Euro von CR auf ein Konto des Journalisten bei der Citibank Düsseldorf mit dem Zusatz: "Diese Überweisung bezieht sich auf den bekannten Wella-Fall". Als der amerikanische Konzern Procter&Gamble (u.a. Ariel, Pampers) die Herrschaft beim Kosmetikhersteller Wella übernehmen wollte, hatte Gürtler eine Expertise für Control Risks verfasst. Die Firma, sagte ihr Geschäftsführer Jürgen Stephan den Staatsanwälten, sei "keine Detektei", sondern ein im "Risikomanagement tätiges Unternehmen".

Betratung bei heiklem Auftrag

Das Leben freier Journalisten ist zuweilen kompliziert, sie müssen fortwährend ihre Unabhängigkeit vor sich selbst schützen. Gürtler sagt: "Wenn ich für die Kundenzeitschrift eines Konzerns arbeite, schreibe ich nicht mehr über den Konzern." Trotzdem kam es zu Grenzüberschreitungen. Control Risks gehörte zeitweise zu seinen guten Kunden.

Als die Telekom-Affäre im Mai vergangenen Jahres plötzlich in der Welt war, erhielten einige Redaktionen Kontoauszüge Gürtlers, aus denen hervorging, dass er im Oktober und November 2004 von CR 5200 Euro bekommen hatte. Gürtler darf über sein Engagement für Control Risks nicht reden, aber ein Detail wurde aus Sicherheitskreisen durchgestochen. Danach soll der Journalist Control Risks bei einem heiklen Auftrag beraten haben: Ein Energiekonzern suchte einen Insider, der Informationen aus dem Unternehmen an einen Berliner Journalisten weiterreichte. Gürtler habe niemanden denunziert, sondern nur anhand der Berichterstattung analysiert, wo das Loch sein könnte, aus dem die Infos abflossen.

Einige Kollegen brachen damals mit ihm. Vieles spricht dafür, dass ein Kommunikationsberater Gürtlers Kontodaten verschickt hat. Entweder sollte von der Telekom abgelenkt oder Control Risks ins Spiel hineingezogen oder Gürtler angeschwärzt werden. Es ist am Ende vor allem eines: ein schmutziges Spiel.

Seit eineinhalb Jahren arbeitet die Bonner Staatsanwaltschaft - unterstützt vom Bundeskriminalamt - die Spitzel-Affäre der Telekom auf. Die Ermittlungen richten sich auch gegen den früheren Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel und den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke.

Der Verfolgungswahn der Sicherheitsfachleute des Konzerns zielte auf angebliche Verräter aus den eigenen Reihen und vor allem auf Journalisten. Der Konzern hat dabei nicht nur Telefonverbindungsdaten missbraucht. In mindestens einem Fall wurden auch Bankdaten eines Journalisten ausgespäht. Es gab sogar den Versuch, an seine Steuerakte zu gelangen.

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