Telekom:Der Chef ist neu - die Strategie bleibt die alte

Kai-Uwe Ricke pflegt einen kollegialeren Führungsstil als sein Vorgänger, doch plagt er sich mit den gleichen Problemen.

Judith Raupp

(SZ vom 15.07.2003) — In der Bonner Zentrale der Deutschen Telekom hält sich hartnäckig ein Gerücht: Kaum hatte Kai-Uwe Ricke den Chefposten angetreten, soll er seinen Mitarbeitern in der Kommunikationsabteilung gesagt haben: "Ich spendiere höchstpersönlich Champagner, wenn wir mal an einem Tag nicht in den Schlagzeilen der Zeitungen stehen."

Diese Episode beschreibt ziemlich genau, was der Wechsel von Ron Sommer zu Kai-Uwe Ricke für das Unternehmen bedeutet: Raus aus der Öffentlichkeit, in Ruhe arbeiten und erst reden, wenn es etwas zu reden gibt. Vor einem Jahr hat Ron Sommer gezwungenermaßen seinen Rücktritt erklärt.

Vorübergehend lenkte der ehemalige Aufsichtsratschef Helmut Sihler, damals 72 Jahre alt, den Konzern. Nach zahlreichen Absagen hochkarätiger Manager hat schließlich Ricke, bis dato Chef der Mobilfunksparte T-Mobile, den Vorstandsvorsitz übernommen. Zuvor hatte sich auch Technikvorstand Gerd Tenzer bereit erklärt, Sommer abzulösen. Das brachte ihm den Ruf des Königmörders ein und kostete ihn schließlich den Job.

Überall nur Lob

Ricke propagiert seit seinem Amtsantritt eine "neue Kultur" im Unternehmen. Neu ist auf alle Fälle der Kommunikationsstil - schon deshalb, weil Rickes zurückhaltende Art in etwa das Gegenteil zur One-Man-Show seines extrovertierten Vorgängers ist.

Anders als Sommer hat Ricke die Chefs aller vier Sparten - Festnetz, Mobilfunk, Internet und Informationstechnologie - in den Vorstand geholt. Sie haben nun ein echtes Mitspracherecht und mehr unternehmerische Freiheit.

Die sieben Männer im Vorstand pflegen einen wesentlich lockereren Umgangston. Man duzt sich, verzichtet gelegentlich auf das Jacket. Manchmal überrascht Ricke freilich die eigenen Mitarbeiter mit seiner ausgeprägten Vorliebe dafür, in aller Öffentlichkeit, Teamarbeit zu demonstrieren.

So hat Josef Brauner, Chef der Festnetzsparte T-Com, auf der Hauptversammlung nicht schlecht gestaunt, als Ricke seine Führungsmannschaft vorstellen wollte und ihn unvermittelt aufforderte: "Lieber Josef, steh doch mal eben auf, damit Dich alle sehen können."

Nacheinander durften sich dann alle Vorstandmitglieder - mehr oder weniger verdutzt - vor dem Aktionärspublikum verbeugen. Fast alle schwärmen von Ricke. Toll, wie der neue Chef zuhören könne. Super, dass er die Leute ausreden lasse. Welch ein Unterschied zu früher das doch sei.

Manchmal erstaunt dieses überschwängliche Lob. Immerhin ist Ricke das "Ziehkind" seines ehemaligen Chefs. Und wenn die Ära Sommer so schlimm war, weshalb hat sich dann keiner gewehrt? Die meisten beantworten diese Frage mit einem hilflosen Schulterzucken. "Im Job muss man sich manchmal arrangieren", sagt einer, der eng mit Sommer zusammen gearbeitet hat und heute zu Rickes engsten Vertrauten zählt.

Ein Jahr nach Sommer ist vor allem Bescheidenheit eingezogen bei der Deutschen Telekom. Das Topmanagement hat sich selbst eine Nullrunde beim Gehalt verordnet. Es wird überall gespart, auch bei Kleinigkeiten wie dem Kaffee oder diversen Feierlichkeiten für die 256.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die wirklich schwierigen Zeiten stehen den Beschäftigten indessen noch bevor. Denn Ricke will in den kommenden Jahren ein Fünftel der Belegschaft abbauen, vor allem in der Festnetzsparte.

Das allerdings wäre unter der Regie von Sommer ebenso gekommen. Denn die Deutsche Telekom sitzt immer noch auf einem gigantischen Schuldenberg von 56 Milliarden Euro und hat im vergangenen Jahr einen Rekordverlust von 24,6 Milliarden Euro ausgewiesen, bei einem Umsatz von 53,7 Milliarden Euro.

Ricke tut ohnehin vieles, was auch Sommer getan hätte. Er sagt es nur mit leiseren Tönen: Kosten senken, Schulden abbauen, verkaufen, was nicht zum Kerngeschäft gehört.

Ricke teilt zudem die Hoffnung der Zukunft mit Sommer. Beide sind überzeugt, dass Mobilfunk - einschließlich der teuer bezahlten UMTS-Technik - und Breitbandtechnologie im Festnetz die künftigen Wachstumstreiber seien.

An der grundlegenden Strategie hat Ricke nicht das geringste verändert. Er will alle vier Geschäftsbereiche behalten, auch die Informationstechnologie-Sparte T-Systems. Sie stehe derzeit nicht zum Verkauf, sagt er und weist damit kursierende Spekulationen zurück.

Zu teuer eingekauft

Von T-Mobile USA, einst Voicestream genannt, will sich Ricke ebenfalls nicht trennen. Schließlich war Ricke selbst die treibende Kraft, als die Deutsche Telekom die amerikanische Mobilfunkgesellschaft vor zwei Jahren für 40 Milliarden Dollar (35 Milliarden Euro) gekauft hat.

17,7 Milliarden Euro musste die Telekom mittlerweile auf T-Mobile USA abschreiben, was wesentlich zum Rekordverlust für das vergangene Geschäftsjahr beigetragen hat. Mittlerweile verzeichnet das Unternehmen zwar branchenweit die höchsten Wachstumszahlen. Doch anders als andere amerikanische Mobilfunkgesellschaften ist T-Mobile USA noch weit von Profitabilität entfernt.

Insgesamt hat Ricke erste Erfolge vorzuweisen. Die Finanzwelt zollt ihm Respekt für den bereits erreichten Schuldenabbau und die Strategie des vorsichtigen Wachstums. Positiv gestimmt hat die Analysten, dass die Telekom für das erste Quartal 2003 wieder einen Gewinn von 100 Millionen Euro gemeldet hat.

Seit Ricke das Heft in der Hand hat, fällt das Urteil vieler Beobachter ohnehin wieder milder aus als zu Sommers Zeiten. Erst am Montag hat beispielsweise die Investmentbank Merrill Lynch die T-Aktie hinaufgestuft und empfiehlt sie jetzt zum Kauf.

So manche Kleinaktionäre beeindruckt das nicht mehr. Viele haben einen Haufen Geld und das Vertrauen verloren. Anders als Ricke sehnen sie sich nach Schlagzeilen in der Zeitung, nach jener aus dem Jahr 2000 zum Beispiel: "Telekom treibt Dax über 8000 Punkte". Die T-Aktie war damals 103,50 Euro wert.

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