Süddeutsche Zeitung

Telekom-Chef René Obermann:"Ich halte Bodenkontakt"

Telekom-Vorstandschef René Obermann über die Vertrauenskrise der Marktwirtschaft, warum immer noch keine Frau im Konzernvorstand sitzt - und welche Krise ihn persönlich am meisten belastet hat.

M. Beise u. M. Hirz

"Ich bin kein klassischer Vorstandsvorsitzender", sagt René Obermann. Mit 47 Jahren ist er jünger als viele seiner Kollegen an der Spitze der großen Konzerne, zugleich gilt Obermann in der Telekommunikationsbranche als "Dinosaurier": Seit mehr als 20 Jahren bestimmt er nun die Geschicke der Branche mit. Im Interview spricht er über sein Führungskonzept, die Verantwortung des Managers und die Veränderungen bei der Telekom, einem der größten deutschen Unternehmen mit 260.000 Mitarbeitern, die Hälfte von ihnen noch in Deutschland.

Frage: Herr Obermann, Sie bauen den Großkonzern Telekom um. Bisher galt es als Stein der Weisen, die drei Bereiche Festnetz, Mobilfunk und Internet getrennt zu organisieren. Jetzt kommt alles unter ein Dach. Warum?

Obermann: Kunden haben kein Verständnis dafür, wenn sie wegen Mobilfunk- oder Festnetzfragen unterschiedliche Stellen anrufen müssen. Wir bringen jetzt beide Welten zusammen.

Frage: Also haben Sie bislang mit mehreren getrennten Unternehmen unter einem Dach die falsche Strategie verfolgt?

Obermann: Alles hat seine Zeit. Jetzt sind Technologien und Produkte aus einem Guss gefragt. Und deshalb gehen wir diesen Weg.

Frage: Ist das so einfach? Die Telekom ist ein Gigant. Und der kriegt jetzt einfach eine neue Struktur verordnet. Wie funktioniert so etwas?

Obermann: Zum einen haben Festnetz und Mobilfunk zum Beispiel im Vertrieb schon eng zusammengearbeitet, zum anderen müssen Sie mit Mitarbeitern und Managern reden, sie überzeugen, Widerstände auflösen und im Zweifelsfall durchgreifen.

Frage: Klingt zupackend. Aber lenken Sie durch den Umbau nicht auch von strukturellen Schwächen ab?

Obermann: Lassen Sie uns die Fakten sortieren. Wir sind im Festnetz dreimal so stark wie vor drei Jahren und im Mobilfunk Marktführer. Das sind handfeste Erfolge. Und darauf bauen wir jetzt auf.

Frage: Ganz so gut läuft es ja nicht. Ihr Umsatz wird dieses Jahr nicht wachsen, der Aktienkurs dümpelt bei zehn Euro, Sie verlieren in Amerika, wo Sie für viel Geld eingestiegen sind, Kunden...

Obermann: Also, unsere Aktienkursentwicklung der vergangenen Jahre ist besser als die vieler anderer Unternehmen. Wir sind 2009 um fast fünf Prozent gewachsen, in der schlimmsten Wirtschaftskrise, an die ich mich zumindest in meinen Berufsjahren erinnern kann. In Amerika sind wir von Platz sechs auf vier im Markt geklettert und verdienen gutes Geld. Aber ja, wir haben dort eine Wachstumsdelle und müssen aufholen.

Frage: Sie haben schwierige Zeiten hinter sich: zum Beispiel den größten Arbeitskampf in der Geschichte der Telekom. Sie haben ferner 33 der 63 Callcenter in Deutschland geschlossen, gegen erbitterten Widerstand.

Obermann: 33 moderne Servicecenter sind doch besser als 63 veraltete Callcenter, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Welche Firma in Deutschland betreibt in dieser Größenordnung eigene Callcenter mit eigenen Beschäftigten? Die meisten haben das längst ausgelagert. Wir modernisieren die Telekom. Das heißt eben auch, an manchen Stellen ein paar harte Einschnitte zu machen. Anders geht es nicht.

Frage: Ist es nicht ein fataler Trend, dass derzeit bestimmte soziale Errungenschaften planiert werden, was ja Folgen für die Gesellschaft hat? Beziehen Sie diesen Umstand in Ihr Kalkül ein?

Obermann: Ja, wir nehmen Sozialverantwortung bei uns ernst. Aber vergleichen Sie mal die Konditionen, zu denen die Menschen bei uns beschäftigt sind, mit denen der von Ihnen wahrscheinlich jetzt angesprochenen prekären Arbeitsverhältnisse, die ich mit großer Sorge sehe. Da werden Sie große Unterschiede feststellen, wenn Sie objektiv sind.

Frage: Sie sprechen die prekären Arbeitsverhältnisse an, also schlecht bezahlte Jobs ohne Absicherung. Oft heißt es, sie seien eine zwangsweise Folge der Globalisierung. Sehen Sie das auch so?

Obermann: Was ist das größere oder kleinere Übel? Ich glaube, dass die Sozialreformen dafür Sorge getragen haben, dass wir mehr Menschen in Arbeit haben als früher. Die Kehrseite der Medaille sind die Niedriglohnbereiche. Ich glaube unter dem Strich, dass es besser ist, auch solche Jobs anzubieten als gar keine, weil die Menschen ihren Wert auch dadurch definieren, dass sie einen Wert für die Gesellschaft in Form von Arbeit erbringen.

Frage: Als Telekom-Chef haben Sie die Dopingaffäre bei von Ihnen gesponserten Radrennfahrern erlebt, den Datenklau, die Bespitzelung von Aufsichtsräten: Was hat Sie am meisten belastet?

Obermann: Die Bespitzelungsaffäre. Alles, was mit Daten zu tun hat, ist bei einem Telekommunikationsunternehmen hochsensibel. Hier sind schlimme Fehler gemacht worden. Aber wir haben unsere Lehren daraus gezogen: Wir haben die Sicherheitssysteme und Prozesse verbessert und von außen testieren lassen. Wir haben einen Datenschutzvorstand etabliert, und wir sind transparent durch einen unabhängigen Datenschutzbeirat.

Frage: Wie ist das, wenn Sie unternehmerische Entscheidungen treffen, die, wenn sie falsch sind, das Unternehmen viel Geld und Mitarbeitern ihren Arbeitsplatz kosten: Wie gehen Sie mit diesem Druck um?

Obermann: Niemand ist ja unfehlbar. Wichtig ist aber, dass Sie sich in die Themen reinknien und sorgfältig handeln. Fehler sind, je nachdem, wo Sie beschäftigt sind, von größerer oder kleinerer Tragweite. Aber wenn Sie ausschließlich den Anspruch haben, perfekt zu sein, dann machen Sie nachts kein Auge mehr zu. Dann können Sie den Job nicht machen. Sie müssen Ihr Bestes geben, sorgfältig und umsichtig handeln.

Frage: Wie vermeiden Sie, sich unter all dem Druck sozusagen in eine Parallelwelt zu verabschieden, die mit dem Leben der normalen Menschen immer weniger zu tun hat?

Obermann: Indem ich Bodenkontakt halte. Mit Kunden rede, rausgehe, mit Mitarbeitern spreche, im Internet zum Beispiel in Chatforen reingucke und sehe, was da so geschrieben wird. Ich nutze viele Möglichkeiten.

Frage: Es gibt Vorstandsvorsitzende, die sagen angesichts des großen Firmenapparats, sie seien machtlose Menschen. Haben Sie Macht?

Obermann: Ich finde den Machtbegriff unheimlich schwierig.

Frage: Wie wäre es mit Einfluss?

Obermann: Ich sehe mich eher als Dienstleister für die Firma. Aber natürlich sind die Entscheidungen, die wir treffen, von Tragweite.

Frage: Wie ernst nehmen Sie die gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Unternehmern?

Obermann: Wir verfolgen eine langfristige Geschäftspolitik mit Herz und Verstand und sind kein Wohlfahrtsbetrieb. Wir müssen kommerziell und betriebswirtschaftlich erfolgreich sein. Aber wir müssen als Führungskräfte ausgewogen handeln und versuchen, die anderen gesellschaftlichen Interessen mit im Kopf zu behalten.

Frage: Sie haben jüngst angekündigt, dass Sie im Bereich des mittleren und oberen Managements bis 2015 einen 30-Prozent-Anteil von Frauen sehen wollen. Ist das Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung oder ein Versuch, Ressourcen zu nutzen?

Obermann: Es ist eine Mischung aus beidem. Viele Jahre ist über das Thema diskutiert worden, aber wenig passiert, jedenfalls bei der Telekom. Wir müssen bei uns auch harte Vorgaben einsetzen, um schneller Fortschritte zu machen.

Frage: Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) denkt über eine Frauenquotierung für Aufsichtsräte nach. Findet das Ihren Beifall?

Obermann: Das ist in erster Linie eine politische Entscheidung. Eines ist aber bemerkenswert. In der Politik sind Frauen in viel größerem Maße beteiligt, weil die Politik schon vor langer Zeit gesagt hat, wir wollen das Verhältnis zwischen Männern und Frauen verbessern, da hat es geklappt. In der Wirtschaft hat es bei den meisten Unternehmen noch nicht so gut geklappt.

Frage: Und, befürworten Sie einen höheren Frauenanteil in Aufsichtsräten?

Obermann: Einen höheren Frauenanteil in Führungspositionen halte ich für zwingend erforderlich.

Frage: Trotzdem sitzt im Telekomvorstand noch keine Frau.

Obermann: Aber wir wollen ja Frauen auch ins Top-Management bringen. Dazu müssen wir doch erst einmal in der mittleren Führungsebene das Potential aufbauen. Und da fängt es schon an. Hier gibt es viel zu wenige Frauen.

Frage: Stimmen Sie der These zu, dass die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft massiv gelitten hat?

Obermann: Ja, hier gibt es einen massiven Vertrauensverlust. Und da hat natürlich die Wirtschaftskrise einen Anteil dran. Aber eben auch die vielfachen Entgleisungen von Verantwortungsträgern. Insofern gibt es großen Reparaturbedarf. Wir müssen die öffentliche Meinung wieder zugunsten der sozialen Marktwirtschaft drehen, indem wir uns dazu bekennen und entsprechend handeln.

Frage: Marktwirtschaft heißt Wettbewerb. Sie führen ein Unternehmen, das sich in einem regulierten Markt bewegt. Das behagt Ihnen nicht, oder?

Obermann: Ich finde nur, dass es an der Zeit ist, dass die Regulierung modern wird. Die Dinge haben sich doch verändert. Wir haben doch heute ganz andere Fragen zu behandeln als bei der Privatisierung der Telekom. Wir haben heute ein neues Kräftegleichgewicht zwischen einer Deutschen Telekom zum Beispiel und den Informationsgiganten aus den USA. Da stellen sich auf der europäischen Ebene ganz andere Fragen. Deswegen will ich, dass man die Bereiche, die keine Monopolstrukturen mehr haben, nun endlich aus der Regulierung entlässt, damit wir da auch mal frei marktwirtschaftlich handeln können. Die Hälfte unserer Preise wird von Hunderten Fachleuten festgesetzt in einer Behörde. Das kann doch nicht sein.

Frage: Sie sind halt immer noch der größte Spieler in diesem Markt, mit weitem Abstand.

Obermann: Und was ist dagegen zu sagen?

Frage: Das ist Marktmacht.

Obermann: Wir haben doch massiven Wettbewerb. Richtig ist, dass wir heute mit 45 Prozent Neukundenanteil bei DSL deutlich tiefere Preise haben als vor drei Jahren mit ungefähr 20 Prozent.

Frage: Was stört Sie sonst noch an der Regulierung?

Obermann: Dass man national versucht, international tätige Konzerne zu reglementieren. Das Thema muss lauten: Wie kriegen wir die Netze der Zukunft? Wir wachsen in eine Gigabyte-Gesellschaft rein. Das erfordert von der Branche Investitionen alleine in Deutschland in Größenordnungen von 40 bis 50 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren. Das sind Summen, die können Sie nur stemmen, wenn Sie eine Regulierung haben, die solche riesigen Investitionen planbar macht. Da reicht keine binnenmarktzentrierte Sicht, wie sie die europäische Kommission lange Zeit verfolgte, indem sie auf sinkende Preise schaute. Das war der falsche Weg. Die Amerikaner haben die neuen Netze längst aus dieser alten Form der Regulierung rausgenommen. Und in Asien wird der Ausbau der neuen Netze teilweise mit industriepolitischen Ansätzen betrieben, da gibt es eine Partnerschaft zwischen Staat und Unternehmen.

Frage: Sie haben gerade von der Gigabyte-Gesellschaft gesprochen. Was ist das für eine Welt, die auf uns zukommt?

Obermann: Wir sehen bei den Konsumenten allein im Mobilfunk einen ganz schnellen Trend zur mobilen Nutzung von Internetanwendungen, das ist eine riesige Herausforderung. Früher hat man per Handy ein paar Megabyte benutzt, wenn überhaupt. Wir gehen davon aus, dass in wenigen Jahren der durchschnittliche Kunde 10, 15 und mehr Gigabyte pro Monat konsumiert. Das erfordert schnelle Netze und eine hohe Effizienz im Betrieb von solchen Netzen.

Steckbrief: Am 5. März 1963 wird René Obermann in Düsseldorf geboren. Er wächst in einfachen Verhältnissen auf, macht eine Lehre bei BMW und bricht ein Volkswirtschaftsstudium ab, um sich seiner selbst gegründeten Firma zu widmen, die Telefone verkauft. Der Betrieb wird 1991 vom Konzern Hutchison Whampoa übernommen, Obermann bleibt als Manager an Bord. 1998 wechselt er zu T-Mobile Deutschland, 2000 wird er Chef der Telekom-Tochter. Seit November 2006 ist der Vater zweier Töchter Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom.

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Quelle:
SZ vom 26.04.2010/mel
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