Süddeutsche Zeitung

Telefonieren:Die Menschen quatschen wieder

Jahrelang drängten E-Mail und Whatsapp das gute, alte Telefon immer mehr an den Rand. Doch nun steigt die Zahl der Gesprächsminuten wieder.

Von Benedikt Müller-Arnold, Köln

Das Telefon, der Fernsprecher, schafft eine akustische Nähe, ein Hauch von Vertrautheit, wenn die örtliche Nähe fehlt. Dieser alte Gedanke hat jahrelang an Bedeutung verloren: Die Menschen in Deutschland quatschten immer weniger von Hörer zu Hörer, vieles an Kommunikation verlagerte sich in Mails oder Whatsapp-Nachrichten. Erst die Corona-Krise samt Kontaktbeschränkungen ließ die Zahl der Telefonminuten wieder steigen. Diese Renaissance dürfte auch 2021 anhalten. Das prognostizieren der VATM, ein Verband von Konkurrenten der Deutschen Telekom, und das Beratungsunternehmen Dialog Consult in ihrer neuen Marktstudie.

An einem durchschnittlichen Tag dürften alle Menschen in Deutschland zusammengerechnet demnach 963 Millionen Minuten lang telefonieren, vier Prozent mehr als 2020. Diese Zahl wachse zwar "nicht mehr so stark wie im Vorjahr", gesteht Studienautor Torsten Gerpott, Professor für Telekommunikationswirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, aber sie steige. Und es werde keinesfalls nur mehr über das Handy oder die Anruffunktion von Messenger-Diensten gequatscht. Nein, auch das Festnetztelefon werde - das zweite Jahr in Folge - wieder länger an Ohren und Münder gehalten. Das mag jene vermeintlich fortschrittlichen Menschen überraschen, die sich schon gar kein Festnetztelefon mehr an ihre Buchsen schrauben. Ruft ja ohnehin kein Schwein mehr an, so die Annahme.

Nun wissen die vielen Menschen, die ihr Telefon zum monatlichen Festpreis bezahlen: So eine Gesprächsminute macht einen Telekommunikationskonzern schon lang nicht mehr reich. Vielmehr sind es die vielen Videos und Bilder, die Musik und Mail-Anhänge, die einen Netzausbau erfordern. Schließlich strömen über einen durchschnittlichen Festnetzanschluss hierzulande mittlerweile 230 Gigabyte pro Monat, heißt es in der Studie, 30 Prozent mehr als im Vorjahr. "Video ist nach wie vor der größte Treiber", sagt Gerpott: seien es Zoom-Meetings am Tag oder Netflix-Filme am Abend. Und auch im Mobilfunk steigt der durchschnittliche Datenverbrauch. Man fragt sich ja zuweilen: Warum ist am Ende des vertraglich vereinbarten Datenvolumens noch so viel vom Monat übrig?

Die Zahl der direkten Glasfaseranschlüsse wächst 2021 so schnell wie nie zuvor

Umso wichtiger also, dass der Ausbau des schnellen Netzes vorankommt. Deutschland setzt hier auf mehrere Technologien: mit Glasfaser aufgerüstete DSL-Anschlüsse, die meist von der Telekom stammen. Ebenfalls aufgemotzte TV-Kabel, die hierzulande vor allem Vodafone betreibt. Sowie auf direkte Glasfaserleitungen bis ins Haus; ihnen wird Fachleuten zufolge die Zukunft gehören.

Bis Ende 2021 dürften 7,5 Millionen Haushalte in Deutschland einen Glasfaseranschluss zur Verfügung haben, prognostizieren VATM und Dialog Consult. Dies entspreche einem - zuvor nie erreichten - Zubau um zwei Millionen Anschlüsse in diesem Jahr. Dahinter stehen Anbieter wie etwa EWE aus Norddeutschland oder M-Net aus München; aber auch die Telekom errichtet mehr und mehr direkte Glasfaseranschlüsse.

"Wir haben keinen Investitionsnotstand bei Telekommunikationsnetzen", sagt Gerpott. Tatsächlich stecken Finanzinvestoren viele Milliarden Euro in Firmen wie beispielsweise Deutsche Glasfaser, auch Bund und Länder stellen Milliarden an Fördermittel bereit. Statt diese weiter zu erhöhen, sollte der Staat besser Genehmigungsverfahren und Vorschriften vereinfachen und Bauämter besser ausstatten, regt der Wissenschaftler an. "Das ist Infrastrukturgeschäft, das ist harte Arbeit", sagt Gerpott. "Wir haben Kapazitätsknappheit bei Bauunternehmen."

VATM-Präsident David Zimmer, Gründer des Glasfaseranbieters Inexio, bestätigt, dass die Branche an der Leistungsgrenze verfügbarer Baukapazitäten arbeite. "Mehr Förderung bringt nicht mehr Fachkräfte", sagt Zimmer in einer Pressekonferenz, die freilich nicht per Telefonschalte stattfand, sondern als Videotermin.

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