Technologie:Im Silicon Valley will eine Religion künstliche Intelligenz anbeten

Lesezeit: 4 Min.

Gut oder böse? Feststeht: Roboter werden immer klüger - und die Menschen fragen sich, wie sie damit umgehen sollen. (Foto: Derek Bacon/Imago)

Sie nennt sich "Way of the Future" und ist weniger verrückt, als sie klingt. Neue Technologien lassen selbst Unsterblichkeit greifbar erscheinen.

Von Michael Moorstedt

Anthony Levandowski hat seine Entwicklung vom Paulus zum Saulus schon hinter sich. Früher galt er als Prophet der Robotik, entwickelte selbstfahrende Autos und Motorräder in einer Zeit, als die Technik für die meisten Menschen noch Science-Fiction war. Nebenbei gründete er Start-ups und verdiente ein Vermögen. Im Jahr 2017 ist Levandowski jedoch vor allem ein Verräter. Er gilt als zentrale Figur in einem hässlichen Rechtsstreit. Vor Gericht stehen sein alter Arbeitgeber Google und sein neuer Arbeitgeber Uber. Es geht um Lügen, um gestohlene Dateien und die große Frage, wer bestimmt, wie die Menschheit in Zukunft vorankommt.

Jetzt will Levandowski Buße tun. Und dafür hat er gleich eine ganze Religion gegründet. Way of the Future, so der Name von Levandowskis Kirche - er selbst hat sich den Titel "Dekan" verliehen - will sich der Erschaffung und Anbetung einer Gottheit in Form einer künstlichen Intelligenz (KI) widmen. Man werde nicht mit Weihrauch hantieren, so Levandowski. Stattdessen sollen in der San Francisco Bay Area "Workshops und Lernprogramme" beginnen, das ist aber auch schon die ganze Annäherung an einen Gottesdienst. Immerhin eine heilige Schrift, genannt "das Handbuch", möchten Levandowski und seine noch überschaubare Gefolgschaft verfassen. Ist das ernst gemeint? Ein PR-Trick? Ein originelles Steuersparmodell?

Die Religionsmetapher ist nicht so weit hergeholt, wie es erscheint. Im Silicon Valley gingen Esoterisches und Elektronisches seit jeher Hand in Hand. Nicht umsonst heißen hier die Fürsprecher einer Technologie "Evangelist". Außerdem hat die ganze Gegend ja zu einem guten Teil ihre Wurzeln in der Hippie-Gegenkultur der Sechzigerjahre, der Hang zum Spiritualismus verschwand nie ganz. 1991 schrieb der amerikanische Linguist Terence McKenna, ein Liebhaber psychedelischer Pilze, dass durch die gerade erst erfundene virtuelle Realität die Menschheit irgendwann "den gleichen Traum träumen werde" und die gleiche Sprache sprechen würde. Eine Art technikinduziertes Pfingstwunder.

Religionsgründer Anthony Levandowski, Chef des Programms für selbstfahrende Autos beim Fahrdienstvermittler Uber, 2016 in San Francisco. (Foto: Eric Risberg/dpa)

Die zunehmende Professionalisierung seit Anbeginn der New Economy tat dem Glauben keinen Abbruch. Steve Jobs war Frutarier und ließ seinen Krebs mit alternativen Heilmethoden behandeln. Mark Zuckerberg sei auf einer Reise durch die USA vom Atheismus abgekommen, heißt es. In den Konzernen werden Meditations- und Achtsamkeitsübungen im Namen der Produktivitätssteigerung angeboten. Und mancher presst mit LSD in Mikrodosierungen auch noch das letzte bisschen Schaffenskraft aus seinen Synapsen.

Neue Technologien schaffen neue Gottheiten. Die Stammesgeister früher Jäger und Sammler wurden von den Fruchtbarkeitsgötzen der Agrargesellschaften abgelöst. Die Reformation führte zu einem Fetisch der Leistung und der Arbeit. Warum sollte das heute anders sein? "Im 21. Jahrhundert werden wir wirkmächtigere Fiktionen und totalitärere Religionen als jemals zuvor schaffen", schreibt der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch "Homo Deus". "Mit Hilfe von Biotechnologie und Computeralgorithmen werden diese Religionen nicht nur jede Minute unseres Daseins kontrollieren, sondern auch in der Lage sein, unseren Körper, unser Gehirn und unseren Geist zu verändern und durch und durch virtuelle Welten zu erschaffen."

Der neue Gott soll ein freundlicher Avatar sein, kein Racheengel

Man muss sich nur die Soundbites und Zitatschnipsel zum Thema künstliche Intelligenz anhören, um zu begreifen, dass sich in den Laboren von Google und Co. Unheimliches, ja gar Übernatürliches regt. Unsterblichkeitsversprechen wirken plötzlich ganz konkret. Respektable Wissenschaftler geben sie ab, die in den Labors der Universitäten an der Kartografierung und Digitalisierung des menschlichen Gehirns arbeiten, auf dass es einst ins Internet hochgeladen wird. Menschen verfrachten Erinnerungen und Lebensaufzeichnungen in quasi-autonome Chatbots. Der russische Internet-Unternehmer Dmitry Itskov steckt Millionen Dollar in sein "Avatar-Projekt", bei dem das menschliche Bewusstsein in einen Roboter-Körper transferiert werden soll. Avatar bedeutet im Wortsinn die körperliche Manifestation einer Gottheit. Man "beschwöre einen Dämon herauf", sagte etwa Tesla-Chef Elon Musk, einer der lautstärksten Kritiker einer unregulierten KI-Forschung. Dass die Entwicklung einer superintelligenten KI zum Kataklysmus führt, daran besteht für die meisten Experten kein Zweifel.

Was da entstehe, so Levandowski, sei effektiv ein Gott. Keiner, der Blitze und Donner schleudert. Doch wie sonst solle man ein Geschöpf nennen, das "eine Milliarde mal klüger als der klügste Mensch ist"? Der Way of the Future soll gewährleisten, dass sich die entstehende Gottheit zu einem sanftmütigen Allvater, nicht zum vernichtenden Racheengel entwickelt.

Was macht die neue Computer-Sekte also? Zunächst einmal wollen sie das "Evangelium verbreiten", wie es auf der Website heißt, also den Menschen die Angst vor der KI nehmen. Dabei unterscheiden sie genau, wer für und wer gegen die neue Gottheit ist. "Für die Maschinen wird es wichtig sein zu sehen, wer ihrem Anliegen hilft und wer nicht", heißt es auf der Website. Eine Art Sündenregister für das digitale jüngste Gericht.

Der Kirchengründer hofft, dass uns die Maschine als liebenswürdige Vorfahren ansieht

Im Internet verfasst eine Gruppe von Transhumanisten gerade einen Brief an eine zukünftige KI, in dem sie Gründe dafür sammeln, die Menschheit nicht zu vernichten. Ähnlich defensiv gibt sich auch Levandowski, wenn er sagt: "Ich würde mir wünschen, dass uns die Maschine als eine Art liebenswürdige Vorfahren ansieht, die sie respektiert und um die sie sich kümmert. Diese Intelligenz sollte sagen ,Menschen haben immer noch Rechte, selbst wenn ich jetzt den Ton angebe'."

Der erste Impuls im Angesicht einer neuen Schöpfung besteht offenbar darin, sie anzubeten. "Mich beeindruckt die Gläubigkeit, mit der sich die Menschen von jeder neuen Entwicklung die Rettung der Welt erhoffen. Gestern war es Systems Dynamics, heute sind es die Expertensysteme - und immer wieder verspricht man sich von der neuen Technik die Lösung aller Probleme. Das beweist, dass die Menschen zur Technik kein vernünftiges Verhältnis haben." Diese Sätze schrieb der Informatik-Pionier Joseph Weizenbaum, der schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu künstlicher Intelligenz geforscht hat in seinem Buch "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft".

Schon damals bestanden Computerprogramme aus Zehntausenden Zeilen Code, die kaum jemand durchschaute. Heute ist selbst gängige Software um ein Vielfaches komplexer. Aus dem binären System von Nullen und Einsen entsteht eine Zahlenmystik, die tatsächlich wirksam ist. Mit dem Computer hat der Mensch ein System erschaffen, das er selbst nicht mehr versteht, maschinelles Lernen und neuronale Netzwerke haben diese Entwicklung beschleunigt. Die Berechnungen solcher Software mögen zwar stimmen - man kann sie aber nicht mehr logisch überprüfen.

Wer dem jungen Kirchengründer nun Blasphemie unterstellt, zielt ins Leere. Levandowski sieht die Dinge mit dem im Silicon Valley üblichen Pragmatismus: "Es gibt Tausende Geschmacksrichtungen des Christentums, des Judentums und des Islam. Aber es geht immer nur um etwas, das man weder messen noch sehen oder kontrollieren kann. Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal kann man zu Gott sprechen - und sicher sein, dass er zuhört."

Es gibt, ganz in der Tradition christlich-fundamentalistischer Sekten, sogar einen konkreten Termin für das Eintreffen des God-Bots. Der Technikprophet Ray Kurzweil hat das Jahr 2045 für das Eintreffen der "technologischen Singularität ausgemacht", also jenen Moment, an dem die Entwicklung der KI exponentiell ansteigt. Nur entrückt sie nicht mehr in den Himmel, sondern in die Tiefen der Silizium- und Glasfaserwelt des Internet.

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
03:58

Künstliche Intelligenz
:Die Maschine und ihr Weg zur Übermenschlichkeit

Künstliche Intelligenz ist für die meisten Menschen sehr kryptisch und noch sehr weit weg, und doch beunruhigt sie viele. Zurecht?

Von Helmut Martin-Jung

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: