Unterhaltungselektronik:Der schmale Grat zwischen Milliardengrab und Welterfolg

Unterhaltungselektronik: Auch die VR-Brille reiht sich ein bei den Innovationen, die nur bedingt den Weg von der Technikmesse ins Wohnzimmer geschafft haben.

Auch die VR-Brille reiht sich ein bei den Innovationen, die nur bedingt den Weg von der Technikmesse ins Wohnzimmer geschafft haben.

(Foto: Hodei Unzueta/imago)

Das Sound-Format Dolby Atmos könnte zum Goldstandard für die Film- und Musikindustrie werden. Ein Blick zurück zeigt allerdings: Nicht immer hat sich die beste Technologie durchgesetzt.

Von Helmut Martin-Jung

Man nehme: Eine vielversprechende Technologie, bequem und billig nutzbare Geräte, das Ganze abschmecken mit schlauem Marketing - fertig ist das Erfolgsrezept. Eigentlich recht einfach, oder? Und doch ist alleine die Geschichte der Unterhaltungselektronik voll von Flops, bei denen Millionen, ja Milliarden Euro versenkt wurden. Wie kann das bloß sein? Ein kleiner Rückblick aus Anlass einer neuen Raumklangtechnik.

Nils Wülker, wippt mal mit dem Fuß im Takt, mal dirigiert er ein bisschen mit. Die Musik, die gerade erklingt, er hat sie geschrieben, und vor allem hat er die Soli mit Trompete und Flügelhorn gespielt, begleitet von seiner Band und dem Münchner Rundfunkorchester. Wülker sitzt in einem Kellerraum mit Holzboden und schallschluckenden Wänden. Die sind wichtig für den Sound, und darum geht es hier auch im MSM-Studio in der Münchner Maxvorstadt. Lautsprecher, große und kleinere, sind ringsum aufgestellt, sogar an der Decke gibt es welche. Dominiert wird alles von einem großen Mischpult und Computermonitoren. Es gilt als eines der besten Studios, wenn es um eine Technologie geht, die es im Kino schon länger gibt, die nun aber auch Musikproduktionen besser klingen lassen soll: Dolby Atmos, auch spatial audio genannt.

Wülker, ein bekannter deutscher Jazzmusiker, hat seine neue Platte in der neuen Technologie produzieren lassen. Jetzt fungiert er als Botschafter dafür. "Man steht mehr im Klang", zeigt er sich begeistert, "näher an der Natur". Natur, damit meint er nicht Vogelstimmen oder Meeresrauschen, sondern den räumlichen Eindruck: "Wie wenn ich im Saal stehe", sagt er.

Glaubt man den Dolby-Leuten, hat sich die für Musik-Wiedergabe entwickelte Atmos-Version schon gut durchgesetzt. 60 der 100 am meisten gestreamten Songs seien bereits in Atmos-Technik produziert, neun der zehn für den jüngsten Grammy nominierten Songs ebenfalls. Aber ist das ein Kaufgrund? Fragen die Kunden danach? Abgesehen von den Hifi-Enthusiasten eher nicht. Denn zwar lässt sich ein Unterschied hören, wenn man von gewöhnlichem Stereo auf Atmos umschaltet. Wer kein Experte ist, wird aber wohl kaum aufhorchen und sagen: Das muss Atmos sein! So groß wie der Unterschied von Mono zu Stereo ist der Unterschied keinesfalls, einige Experten finden sogar manche Atmos-Abmischungen schlechter als den Stereo-Mix. Und richtig wahrnehmen lässt sich der Unterschied ohnehin bloß mit Hörausrüstung zumindest der guten Mittelklasse. Die muss zudem spezielle Elektronik an Bord haben, um das Format zu verarbeiten.

Könnte also auch Dolby Atmos Music nach einem großen Hype wieder in der Versenkung verschwinden? Und was könnten die Gründe dafür sein? Beispiele für Technologien, die sich nicht durchgesetzt haben, gibt es schließlich zuhauf. Manche wie etwa das Digital Audio Tape (DAT) waren zwar technisch durchaus gut, aber es brauchte teure Geräte, um sie zu nutzen. Außerdem sperrte sich die Musikindustrie dagegen, weil sie befürchtete, durch die digitale Aufnahme- und Wiedergabequalität könnte sie weniger Tonträger verkaufen.

Ohne Steve Jobs hätte die Musikbranche das Potenzial von MP3 wohl nicht erkannt

Das war, wie sich unschwer erkennen lässt, vor dem Siegeszug von MP3 - einem digitalen Format, das die Datenmenge von Musikstücken ohne übermäßig große Verluste stark schrumpfen ließ. Gegen diese Technologie, die auch noch mit der Verbreitung von halbwegs schnellen Internetzugängen zusammenfiel, war auch die Musikbranche erst einmal machtlos. Es musste schon einer wie Apple-Übervater Steve Jobs kommen, um zu verbreiten, dass es besser wäre, Songs für 99 Cent zu verkaufen anstatt gar nichts zu verdienen, wenn alle Welt MP3s übers Netz tauscht. Mittlerweile ist auch das Geschäft mit digitalen Musikdaten zum Kaufen fast wieder verschwunden. Das aktuelle Ding ist Streaming, also der Zugang, werbefinanziert oder im Abo, übers Netz zu einer riesigen Datenbank mit Musikstücken.

CDs, DVDs und Blu-ray-Discs waren irgendwo dazwischen, gefühlt haben sie heute weniger Bedeutung als die guten alten Schallplatten. Die bewahren sich ihre Nische stabil - für die Fans der analogen Technik, als man Musik noch nicht als schnöde Zahlenwerte aufzeichnete. Dabei erfüllen die kleinen glänzenden Digitalscheiben ihren Zweck durchaus, die Abspielgeräte sind durch Massenproduktion enorm günstig geworden, außerdem sind sie auch in Computern und Spielekonsolen abspielbar. Und ein kleiner Kratzer macht ihnen, anders als analogen Schallplatten, nichts aus. Sie sind im Zeitalter von Streaming für die Mehrheit nur einfach obsolet geworden.

Es war recht vorhersehbar, dass kaum jemand mit 3D-Brille vor dem Fernseher sitzen wollte

Anders liegt der Fall beim 3D-Fernsehen. Dass das nichts werden würde, war eigentlich abzusehen. Es begann mit dem Henne-Ei-Problem: Warum Geräte bauen, wenn es keine Inhalte gibt? Warum andererseits Inhalte produzieren, wenn es keine Geräte gibt? Zumindest die Branche der Unterhaltungselektronik aber glaubte so fest an den Siegeszug des dreidimensionalen Glotzens, dass sie in die Vollen ging und ganze Serien an 3D-Geräten auf den Markt warf. Ungünstig allerdings: Zwei Techniken konkurrierten, die mit elektronisch geregelten sogenannten Shutter-Brillen und die mit Polarisations-Brillen, wie man sie auch im Kino benutzt. Beide Technologien haben ihre Vor- und Nachteile, sind mittlerweile aber außerhalb des Kinos wieder so gut wie verschwunden.

Entscheidend war der ziemlich vorhersehbare Fakt, dass Menschen ungern mit einer 3D-Brille vor der Nase vorm Fernseher sitzen wollen. Auch der mögliche Gewinn war nicht besonders groß. Was bringt schon etwas Tiefe auf einem letztlich doch eher kleinen Rechteck. Mit einer Kinoleinwand ist das nicht zu vergleichen. Auch im Kino wird 3D meist nur noch für große, effektreiche Filme eingesetzt - wohl auch deshalb, weil der technische Produktionsaufwand für einen 3D-Film um einiges höher ist als einen gewöhnlichen Streifen. Außerdem verbieten sich zu schnelle Schnitte.

Was heißt das alles nun für neue und kommende Technologien? Bei Dolby Atmos Music spricht für den Misserfolg: Es gibt ein konkurrierendes Format von Sony und Fraunhofer (360 Reality Audio) und es braucht dafür geeignete Wiedergabegeräte. Man kann bezweifeln, ob in TV-Geräte eingebaute Atmos-Lautsprecher oder Soundbars, die Klänge auch an die Zimmerdecke projizieren, wirklich so viel Mehrwert bringen. Auf der Habenseite steht, dass Apple stark dafür wirbt. Bei anderen Streaming-Diensten lassen sich ebenfalls bereits viele Stücke in Atmos oder dem Sony-Format abrufen. Auch gut: Man kann die Musik auch auf herkömmlichen, nicht kompatiblen Stereogeräten problemlos wiedergeben.

Am besten hat Unterhaltungselektronik in der Vergangenheit immer funktioniert, wenn sie halbwegs günstig war, leicht zu bedienen und wenn es den Menschen etwas gab, das sie wollten. Für normales Fernsehen trifft all das zu, für TV mit Rundumsound und anderem Schnickschnack schon weniger. Nicht immer hat sich die beste Technologie durchgesetzt, so etwa bei Videorekordern. Besseres Marketing, manchmal auch die Marktmacht eines Herstellers oder der falsche Zeitpunkt spielen eine wichtige Rolle. Und eines zeigt sich auch durchgehend: Keine Technologie ist für die Ewigkeit - auch wenn sie zu ihrer Zeit den Markt beherrscht.

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