Technik:Wie Seide

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Thomas Scheibel hat den Bauplan für die Proteine entdeckt, aus denen Spinnen Netze weben. Die junge Firma Amsilk in der Nähe von München macht daraus Grundstoffe für Medizin, Kosmetika und sogar Schuhe.

Von Elisabeth Dostert, Martinsried

Sie haben jetzt öfter Gäste. Deshalb ist Jens Klein ganz froh, dass es auf dem Biotech-Campus in Martinsried ein Hotel gibt. In den vergangenen Monaten waren immer mal wieder Leute des Sportartikelherstellers Adidas da. Klein, 45, ist Geschäftsführer der Firma Amsilk, sie hat das, was Firmen wie Adidas suchen: neue, nachhaltige Materialien. "Das Problem ist doch, das von den heutigen synthetischen Fasern auf Basis von Erdöl am Ende nur ein riesiger Haufen Müll bleibt, der die Umwelt belastet", sagt Klein. Die Fasern, die Amsilk an Adidas liefert und aus denen der Konzern dann Fäden und das Obermaterial für Sportschuhe herstellt, bestehen wie die Fäden von Spinnen aus Seidenproteinen. "Der Naturstoff ist sehr elastisch und gleichzeitig stabil", sagt Klein: "Und er ist leicht abbaubar."

Klein zieht zwei sandfarbene Laufschuhe aus Beuteln. Jeder ist einzeln verpackt. Auf einem kleinen Etikett steht das Wort Biosteel, so heißt die Marke von Amsilk für den seidengleichen Stoff. Im November hat Adidas die neuen Schuhe in New York vorgestellt. In ein paar Monaten sollen sie auf den Markt kommen. Für Klein ist das erst der Anfang. Aus dem Seidengewebe lässt sich noch viel mehr machen - Autositze, Funktionsbekleidung. "Wir können eine richtig große Firma werden", sagt Klein. Noch aber ist Amsilk ein Winzling. 2016 lag der Umsatz unter einer Million Euro. Amsilk macht Verlust. Amsilk entstand 2008 als Ausgründung der TU München, die gegen eine Beteiligung einige Patente in die neue Firma einbrachte.

Schon vor langer Zeit versuchten Forscher, es den Tieren gleichzutun

Sie beruhen auf den Forschungsarbeiten von Thomas Scheibel, seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth. Seit Anfang des Jahrtausends, erst an der Universität Chicago und dann am Lehrstuhl für Biotechnologie der TU München, erforscht der Biochemiker Strukturproteine, das sind die Eiweiße, die in Zellen wie ein Gerüst arbeiten. "In Chicago haben wir aus Gold-ummantelten Prionen den damals dünnsten elektrisch leitfähigen Faden gebaut", erzählt Scheibel. Aber die Hersteller von Halbleitern hatten kein Interesse: "Prionen haben leider einen schlechten Ruf." In einer pathogenen Form gelten sie als Auslöser der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und des Rinderwahnsinns. "Mit Krankheitserregern wollten die Konzerne nichts zu tun haben", sagt Scheibel. Er kann darüber heute lachen. Denn so kam der 46-Jährige zu den Seidenproteinen.

Elastisch und enorm reißfest: Spinnenseide ist ein Naturprodukt mit fantastischen Eigenschaften. (Foto: HAZIR REKA/Reuters)

Versuche, eine Faser herzustellen, die sich wie Seide anfühlt und wie Seide schimmert, gab es schon früher. Der US-Chemiker Wallace Hume Carothers, Forschungsleiter bei Dupont, entwickelt in den 1930er Jahren Polyamid, bekannt unter dem Namen Nylon. Fast zur gleichen Zeit fand der deutsche Chemiker Paul Schlack für die IG Farben die Formel für eine synthetische Faser, die als Perlon auf den Markt kam. Beide werden aus Erdöl hergestellt.

Scheibel sucht die Vorbilder für seine Seidenproteine in der Natur. Er entlockte den Genen von Spinnen den Bauplan für die Eiweiße, aus denen sie ihre Fäden spinnen, und er hat die Technologie entwickelt, den Bauplan in das Erbgut von E.-coli-Bakterien einzuschleusen, die das Eiweiß dann nachbauen. Sie tun das in mit Wasser gefüllten Fermentationstanks, gefüttert werden die Bakterien mit Zucker. Aus der Flüssigkeit wird nach Abtrennen aller bakteriellen Bestandteile durch Sprühtrocknung ein Pulver gewonnen.

"Das erste Produkt haben wir 2014 mit Partnern auf den Markt gebracht", sagt Klein. "Bis dahin hatten wir sehr viele Ideen, jede Menge Anfragen von Firmen, aber noch kein Produkt." Klein holt aus einer Vitrine im Besprechungsraum ein paar Muster - einen kleinen Behälter mit dem Pulver, ein Tiegel mit Cremes und eine Sprühflasche mit einem Gel. Die Seidenproteine schützen Klein zufolge die Haut vor Umwelteinflüssen, schränken aber die Atmung nicht ein, und "es lässt sich wieder abwaschen", sagt Klein. Das Pulver dringe nicht in den Körper ein - anders als Nanopartikel. Nach den Kosmetika kamen medizinische Produkte. "Mit den Seidenproteinen können Implantate beschichtet werden, um die Verträglichkeit im Körper zu verbessern, zum Beispiel Katheder oder Brustimplantate", sagt Klein.

Er hat auch schon die Proteinfäden der Florfliege nachgebaut

Amsilk liefert nur das Pulver, das Gel oder die Faser, nie das fertige Produkt. In den Labors im Erdgeschoss des Gründerzentrums in Martinsried stehen noch ein paar kleine Fermentationsbehälter aus Edelstahl. Aber die reichen nicht mehr. "Wir stellen schon einige Hundert Kilo getrocknetes Seidenprotein her", sagt Klein. Die Arbeit erledigen Lohnunternehmen." Die Faser für Adidas macht Amsilk noch selbst, aber auch deren Produktion lasse sich vergeben, wenn die Nachfrage steigt.

Aus Proteinen besteht das Obermaterial dieses neuen Schuhs von Adidas. Sein Vorteil: Es ist biologisch abbaubar. (Foto: OH)

Das wird sie, davon ist Klein überzeugt. Er hat schon für große Firmen gearbeitet, ehe er im Frühjahr 2014 kam - für den Chemiekonzern Evonik und den Medizintechnik-Konzern und Krankenhausbetreiber Fresenius. Hinter Amsilk stecken Familienunternehmer. Die Mehrheit halten die Zwillinge Andreas und Thomas Strüngmann über ihre Beteiligungsvehikel AT Newtec. Kleinere Pakete liegen beim Management, der Beteiligungsfirma MIG, der TU München und Thomas Scheibel.

Der Wissenschaftler berät die Firma nach wie vor. Ins operative Geschäft wollte er nie einsteigen. "Ich forsche zu gern", sagt Scheibel. Er lässt sich immerfort von der Natur inspirieren. In seinem Fiberlab in Bayreuth ist es ihm gelungen, auch die Seidenproteine der Florfliege nachzubauen. Sie hängt ihre Eier an Stielen auf. Dazu sondert die Florfliege einen Tropfen Spinnlösung ab, der fest an der Unterseite eines Blattes haftet. Dann drückt sie ein Ei in diesen Tropfen und zieht das Ei nach unten. So entsteht ein Seidenfaden, der innerhalb weniger Sekunden aushärtet.

Im Fiberlab haben sie eigene Terrarien für ihre Spinnen, auch tragbare. Damit gehen Scheibel und seine Studenten manchmal in Einkaufszentren, um ihre Spinnen zu zeigen. Seide mag jeder, an den Anblick von Spinnen aber müssen sich manche erst gewöhnen.

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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