Süddeutsche Zeitung

Tech-Konzerne:Heikle Lage

Die USA wollen nun doch nicht an einer globalen Mindeststeuer für Tech-Konzerne mitarbeiten. Jedenfalls vorläufig.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die US-Digitalkonzerne Apple, Google & Co. können sich bislang nicht über den Geschäftspartner Deutschland beklagen. Die Bundesregierung droht ihnen, anders als andere europäische Länder, nicht damit, eine Steuer auf die Geschäfte der Monopolisten zu erheben. Sie beschert ihnen sogar millionenfach Kundschaft, etwa mit der Corona-Warn-App, die nur auf neueren Smartphones läuft. Man arrangiert sich, schließlich sollen sich auch deutsche Autos weltweit weiter gut verkaufen - und nicht mit Einfuhrzöllen belegt werden. Mitten in die Bemühungen zur friedlichen Koexistenz platzt nun die Ankündigung aus Washington, man werde aus den seit zwei Jahren laufenden Verhandlungen der internationalen Gemeinschaft über eine Digitalsteuer aussteigen, jedenfalls vorläufig.

Der amerikanische Finanzminister Steven Mnuchin habe die Entscheidung getroffen, sagte Robert Lighthizer, Handelsbeauftragter der US-Administration. "Wir haben keine Fortschritte erzielt", erklärte er am Mittwoch während einer Anhörung vor dem Kongress. Eine Sprecherin des Finanzministeriums lehnte eine Stellungnahme ab. In Berlin hieß es, Mnuchin habe offenbar Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien schriftlich darüber informiert, die Gespräche auszusetzen. In Berlin ist ein solcher Brief, Stand Donnerstagmittag, bisher nicht angekommen.

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire bezeichnete den Brief als "Provokation". "Wir waren nur Zentimeter von einer Einigung auf die Besteuerung von Digitalriesen entfernt", sagte er dem Sender France Inter. Frankreich habe gemeinsam mit Großbritannien, Italien und Spanien auf das Schreiben reagiert. Man werde sich nicht provozieren lassen, Frankreich werde trotz der Einwände der USA noch in diesem Jahr eine Digitalsteuer einführen.

Obwohl der Brief nicht an Berlin gerichtet war, setzt er die Bundesregierung unter Zugzwang. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte bisher die Einführung einer EU-Digitalsteuer abgelehnt. Er findet es sinnvoller, eine solche Steuer zusammen mit einer Minimalbesteuerung für Unternehmen auf globaler Ebene zu verhandeln: Man traf sich also im Rahmen der OECD, der Organisation wichtiger Industrieländer. Da aber internationale Steuergespräche zu den schwierigsten politischen Disziplinen gehören, hatte Scholz eine Deadline gesetzt. Im Juli sollte die Einigung der OECD vorliegen, andernfalls müsse die EU eine Digitalsteuer erlassen.

Mit dem US-Rückzug steht fest, dass es absehbar keine globale Einigung geben wird. Parallel dazu übernimmt Deutschland zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Berlin könnte also schnelle Verhandlungen für eine europäische Besteuerung der Tech-Konzerne vorantreiben.

Davon will man in Berlin nichts wissen. Statt schneller Reaktionen, heißt es in der Bundesregierung, sei es angesagt, bis Anfang November zur US-Wahl in Optionen zu denken. Option eins sei, dass Donald Trump wiedergewählt werde und nicht weiterverhandeln wolle. Nummer zwei: ein neuer US-Präsident könnte sich aufgeschlossen zeigen, international Abkommen zu schließen. Option drei, Trump bleibe und versuche, mit weiteren Drohungen eine bessere Verhandlungsposition zu bekommen. Schließlich Option vier, Europa entscheide sich sofort für oder gegen die Steuer.

Fabio De Masi, Vizechef der Linken im Bundestag, warnte Scholz davor, einzuknicken. "Wenn die USA eine faire Besteuerung von Amazon und Co. verhindern, müssen die EU-Staaten Finanzflüsse der Big-Tech-Multis in die USA mit Straf- bzw. Quellensteuern belegen." Unternehmen wie Amazon würden in der Corona-Krise immer mächtiger. Scholz dürfe Fortschritte bei der digitalen Besteuerung nicht blockieren. "Die Drohungen Trumps gegen einzelne EU-Staaten wie Frankreich, Italien oder Spanien müssen auch von Deutschland zurückgewiesen werden."

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SZ vom 19.06.2020
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