Dass Mitarbeiter von Tech-Unternehmen meist keine Hungerleider sind, wurde jüngst bei einem Blick auf die Jahresbilanz von Jeff Bezos wieder einmal deutlich. Ziemlich genau 36 720 Dollar strich der Gründer und Chef des Online-Riesen Amazon 2017 ein - allerdings nicht im Jahr, sondern pro Minute. Nun gehört zur Wahrheit dazu, dass die Zahl neben Bezos' Gehalt auch seine Kapitalgewinne umfasst, dass der Manager beinahe wöchentlich die Schimpfkanonaden des US-Präsidenten ertragen muss, und dass er - anders als die meisten seiner Untergebenen - nicht Kartons trägt, sondern die Verantwortung. Er hat es also auch nicht leicht, und dennoch: 19,3 Milliarden Dollar im Jahr oder 36 720 pro Minute sind so übel nicht.
Die Zahl ist auch deshalb interessant, weil Bezos' Konzern eines der großen US-Unternehmen ist, die jetzt wegen eines Gesetzes aus der Obama-Zeit erstmals offenlegen mussten, was sie ihren Angestellten im Mittel bezahlen. Der Median-Jahresverdienst bei Amazon beträgt demnach genau 28 446 Dollar. Das bedeutet: Die eine Hälfte der Beschäftigten geht mit einem Gehalt nach Hause, das oberhalb dieser Zahl angesiedelt ist, die andere Hälfte mit einem Salär, das darunter liegt. Bezos kassiert also, vereinfacht gesagt, pro Minute etwa das 1,3-Fache dessen, was sich ein Packer oder Gabelstaplerfahrer im Jahr erarbeitet.
Obwohl Börsianer Amazon neben Facebook, Netflix und Google zu den vier großen US-Tech-Konzernen, kurz FANG, zählen, haben die Mitarbeiter also kaum etwas mit jenen Kollegen gemein, die auf den campusartigen Firmengeländen im Silicon Valley Beach-Volleyball spielen, Grünkohlchips futtern und sich massieren lassen. Stattdessen packen sie Pakete, wuchten Kartons auf Paletten und laufen sich in den riesigen Vorratslagern die Füße wund. In Geld übersetzt: Twitter zahlt ein mittleres Gehalt von 161 860, Facebook gar von 240 430 Dollar. Das ist das Achteinhalbfache dessen, was bei Amazon üblich ist.
Erstaunlich ist jedoch: Selbst wenn man Amazon statt unter die Tech-Firmen unter die Paketdienste einordnet, kann der Konzern mit der Konkurrenz nicht mithalten. Bei UPS etwa liegt das Mediangehalt mit 53 440 Dollar fast doppelt so hoch. Bezos verteidigt sich damit, dass in die Zahlen seiner Firma die Gehälter von Mitarbeitern aus mehr als 50 Ländern sowie von Teilzeitbeschäftigten einflössen. Auch habe Amazon allein 2017 über 130 000 Jobs geschaffen. Das ist in der Tat mehr als die Gesamtbelegschaft der Google-Mutter Alphabet.
Trotz der teils bescheidenen Gehälter kann sich Amazon in den USA vor Bewerbungen kaum retten. Auch in Deutschland hat der Konzern keine Probleme, Mitarbeiter zu finden - und das obwohl die Firmenleitung die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften ablehnt und sich weigert, die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des Einzel- und Versandhandels zu bezahlen.
Belanglose Einblicke ins Privatleben
Was die Mitarbeiter davon halten, konnte der Konzernboss am Dienstagabend vor dem Hochhaus des Axel-Springer-Verlags in Berlin allerdings besichtigen. Während er drinnen ein paar belanglose Einblicke in sein Privatleben gab, um dem Ruf des kühlen Technokraten zu begegnen, machten draußen Hunderte Demonstranten ihrem Ärger Luft. Sie forderten eine "echte Lohnerhöhung" und die Abschaffung der "psychisch kranken Angst vor den Normen in den Amazon-Warenlagern".
Dass Springer ihrem Boss für dessen "visionäres Unternehmertum" einen Preis verleiht, empfanden viele als "Hohn und eine Schande", wie es SPD-Chefin Andrea Nahles als Gastrednerin ausdrückte. Verdi-Chef Frank Bsirske klagte, Amazon trickse bei den Steuerzahlungen und wolle die "Arbeitsbeziehungen amerikanisieren". "Aber wir wollen nicht zurück ins 19. Jahrhundert", rief er unter dem Jubel der Demonstranten.
Doch den Angesprochenen ließ das sichtlich kalt. Für ehrlich gemeinte Kritik sei er natürlich offen, sagte er auf eine entsprechende Frage. Vor allem aber gehe es ihm um die Kunden: Die - und nur die - wolle er glücklich machen. Und überhaupt: "Ich bin sehr stolz auf unsere Löhne."