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Tech-Aktien:Irgendwas mit Tech

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IT- und Pharma-Unternehmen profitieren von der Corona-Krise. Dies beflügelt die Börse. Doch Anleger sollten bei Branchenthemen vorsichtig sein und auf eine breite Streuung achten.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Das Virus Sars-CoV-2 hat die Kapitalmärkte angesteckt und dort seine Spuren hinterlassen. Im Crash-Tief Mitte März lag der DAX mit Verlusten von 40 Prozent tief im Minus und auch der US-Index Dow Jones musste Kurseinbrüche historischen Ausmaßes hinnehmen. Weltweit haben Anleger viel Geld verloren. Doch überraschend schnell zeigten die Kurscharts wieder nach oben und bei genauer Analyse waren es vor allem zwei Branchen, die zu den Krisengewinnern zählten und nun weiterhin im Fokus stehen: Der Technologiesektor und das Gesundheitswesen. Für Anleger stellt sich die Frage, ist dieser Hype bald vorbei oder sind die Titel zukunftsfit?

Als die Börsen im März auf Talfahrt waren, blieb die Gesundheitsbranche im Plus. "Auf Jahresbasis sind in Europa Pharma- und Biotech-Aktien die einzigen positiven Titel. Hier rechne ich bis Jahresende mit weiteren Zugewinnen. Beim Kurs-Gewinn-Verhältnis stehen die Gesundheits-Werte weitestgehend noch in einem guten Verhältnis", sagt Philip Gisdakis, Chefanlagestratege bei HVB Wealth Management & Private Banking. Soll heißen, die Aktien versprechen Zugewinne und sind trotzdem noch vergleichsweise günstig. Von der Hoffnung auf einen Impfstoff und zukünftigen Investitionen in das Gesundheitswesen profitieren derzeit Hersteller von Standardgesundheitsprodukten, Diagnostikhersteller und Biotech-Firmen. Doch hier ist Vorsicht geboten.

Das Zocken mit Einzelaktien sollten Privatanleger anderen überlassen

Besonders im Rennen um einen Covid-19-Impfstoff zeigt sich die Volatilität und das Risiko der Börse. Zuletzt schnellten etwa die Aktien der US-Biotech-Unternehmen Novavax und Inovio aufgrund ermutigender Testergebnisse um das vier- und zehnfache nach oben. Experten warnen vor dem Verlust-Potenzial angesichts dieser Kursstände, besonders Privatanleger sollten das Zocken mit Einzelaktien anderen überlassen. "Ich lege meinen Kunden Branchenempfehlungen vor und investiere dann über einen kostengünstigen ETF und nur in Ausnahmefällen in aktive Fonds", sagt Tilman Rüthers, Honorarberater und Geschäftsführer der ip GmbH.

Die Münchner HVB setzt in ihrer Anlagestrategie zentral auf den Gesundheitssektor, der als Teil des nachhaltigen Anlageportfolios aktuell stärker gewichtet werde. "Für uns wie auch alle Anleger gilt dabei aber immer die Devise: möglichst breit streuen und Risiken verteilen zum Beispiel auch mit entsprechenden Themenfonds und Themen-ETF," sagt Gisdakis. Börsenexperte Rüthers sieht indes den Ausstiegszeitpunkt für den ganzen Sektor bereits bald gekommen. "Die Pharma- und Gesundheitswerte sind nun durch Corona interessant, in einem halben Jahr werden die Kurse so hoch sein, dass man den Sektor wohl verlassen sollte", sagt Rüthers. Viele Experten empfehlen langfristig orientierten Privatanlegern eher einen Branchen- und Länderübergreifenden ETF, da ein spezifischer Themenfonds immer höhere Risiken mit sich bringt.

Das Image der Technologie-Werte war lange Jahre angeschlagen. Denn das Platzen der Internet-Blase in den 2000er-Jahren, die sich aus Euphorie über die New Economy aufgebläht hatte, brachte vielen Kleinanlegern schmerzhafte Verluste. Doch heute ist die Situation anders, die Rally der Tech-Aktien basiert in der Mehrzahl auf realen Erfolgen und Marktwachstum der Firmen. "Technologie-Aktien muss man unbedingt im Portfolio haben, aus vielen Gründen. Allen voran haben die letzten Wochen gezeigt, wie dringend notwendig der digitale Fortschritt in allen Bereichen des Lebens ist", sagt Rüthers.

Ein passiver ETF ist meist die beste Wahl

Corona war der Praxistest für die IT-Kompetenz von Konsumenten, Arbeitnehmern und Firmen. Unternehmen wurden die Schwächen ihrer IT-Infrastruktur transparent und Staaten kennen nun die Kapazitätsgrenzen ihrer Datennetze sowie die Defizite von Sicherheitssystemen der kritischen Infrastruktur. Unterm Strich bringt dies - gepaart mit dem durch die Ausgangssperre veränderten Einkaufsverhalten - Tech-Firmen deutliches Mehrgeschäft auf lange Sicht und den Aktien somit hohes Wachstumspotenzial. "Cloud-Anbieter, Online-Consumer-Services und Software-Konzerne sind aufgrund ihres Geschäftsmodells die absoluten Krisengewinner. Während das Hardware-Geschäft, der kleinere Teil der Branche, durchaus Probleme durch Lieferkettenausfälle und Nachfragerückgänge der Unternehmen hat", analysiert HVB-Experte Gisdakis. Die Stärke der Tech-Aktien werde sich weit über die aktuelle Krise halten, allerdings seien diese Titel nicht billig, was auch ein gewisses Risiko darstelle, so Gisdakis.

Die prominenten Tech-Stars sind allesamt an der US-Technologiebörse Nasdaq vertreten, dort verhelfen die Branchengrößen wie der Onlinehändler Amazon, der Videokommunikationsanbieter Zoom und der Streamingsdienst Netflix dem weltweit wichtigsten Branchen-Index zu kräftigen Zugewinnen. Aktuell notiert er nur mehr knapp unter der 10 000-Punkte-Marke. "IT- und Cloud-Aktien sind schon 70 Prozent im Plus, doch der Zug geht noch mehrere Jahre weiter und daher empfehle ich auch bei 100 Prozent Gewinn nicht zu verkaufen", sagt Rüthers. Zu den Profiteuren der Branche zählen etwa auch digitale Zahlungsdienste wie Paypal oder deutsche Titel wie das Softwarehaus SAP, der IT-Dienstleister Bechtle, beide im TecDAX notiert, und durch den Home-Office-Trend auch der Softwarehersteller Teamviewer. Trotz Sektor-Empfehlung der Börsenexperten sollten Anleger nicht wahllos kaufen, was in der Branche vertreten ist und auch keine regionale Spezialisierung vornehmen. Auch hier gilt, ein passiver Indexfonds als die beste Wahl. Stark im Kommen sind besonders im Technologie Bereich asiatische Titel. "Das Problem sind die vielen Staatskonzerne, da muss man sehr aufpassen. Besonders die chinesische Führung oder auch Russland bieten nicht die von mir gewünschte Rechtssicherheit", sagt Rüthers.

Grundsätzlich sollten Anleger eine der Grundregeln des Aktienkaufs beachten. Zur Investition eignet sich nur Geld, das man auch langfristig entbehren kann, Experten sprechen von einem Anlagehorizont ab zehn Jahren. Zudem sollten sich Anleger beim Ausstiegszeitpunkt Flexibilität bewahren und etwa die letzten Jahre vor dem Ruhestand den Aktienanteil im Portfolio reduzieren, falls das Kapital für regelmäßige Ausgaben in der Rente dient. Zeit zum Ausstieg, wenn noch nicht vollzogen, ist es für die Verlust-Branchen der vergangenen Wochen. "Gerade die in Europa stärker vertretenen Sektoren, die durch die Krise spürbar negativ betroffen waren, sind und bleiben aus Anlegersicht schwierig: die Automobilbranche, Rohstoff- und Energieunternehmen und das verarbeitende Gewerbe", meint Gisdakis. Wer Gesundheits- und Tech-Boom verdienen will, dem bietet sich vielleicht bald eine etwas günstigere Einstiegschance, denn in den kommenden Wochen erwarten Experten an den Börsen eine zweite Welle nach unten.

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Quelle:
SZ vom 10.06.2020
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