Börse:Warum selbst Profis den TecDax auslachen

Börse: Champagner in Plastikbechern: So feierten die Börsianer 2003 Silvester.

Champagner in Plastikbechern: So feierten die Börsianer 2003 Silvester.

(Foto: Frank Rumpenhorst/picture-alliance / dpa)

Genau vor 20 Jahren ging der Technologieindex an den Start. Nach dem Dotcom-Crash sollte er seriöser wirken. Doch das hielt nicht lange.

Von Victor Gojdka

Ein Geburtstag, zu dem niemand gratulieren will, muss sich schlimm anfühlen. Dass der deutsche Börsenindex TecDax an diesem Freitag 20 Jahre alt wird? Bei der Deutschen Börse weiß man das genau, Geburtstagswünsche hat man jedoch nicht vorbereitet. Und selbst der langjährige Tech-Experte Christoph Schmidt von der Fondsgesellschaft Fegra Capital muss beim TecDax erst einmal lachen: Selbst viele Aktienexperten wüssten nicht mal, ob dieser Index aktuell drei oder vier Stellen hat.

Auch viele Menschen in Deutschland fragen sich zum zwanzigsten Jahrestag des Börsenindex bloß: Tec-was? Schließlich kennen zwar rund zwei Drittel der Menschen den deutschen Leitindex Dax mit seinen 40 wichtigsten Börsenwerten, von seinem kleinen Bruder TecDax hat einer Umfrage der Marktforschungsgesellschaft Dr. Doeblin jedoch nur jeder Vierte überhaupt schon etwas gehört.

Dabei begegnen viele Menschen dem TecDax in ihrem alltäglichen Leben: Wer zum Festnetztelefon greift, hat seinen Vertrag vielleicht bei der Deutschen Telekom. Wer im Unternehmen eine Reiserechnung einreicht, macht das mitunter über Software des Herstellers SAP. Wer als Architekt digitale Gebäudemodelle entwirft, nutzt vielleicht die Software von Nemetschek. Und wer nach drei Jahren Pandemie immer noch tageweise im Home-Office sitzt, kann sich bei Technikproblemen über die Software von Teamviewer mit der IT-Hotline verbinden - all diese Unternehmen sind Mitglieder des deutschen Tech-Index.

Dass der TecDax seit seinem Start um inzwischen rund 850 Prozent gestiegen ist, kann durchaus als Erfolgsgeschichte gelten: Als der Index am 24. März 2003 an den Start ging, lag die gesamte Tech-Branche eigentlich am Boden. Fast auf den Tag genau sechs Jahre zuvor war am Frankfurter Parkett der "Neue Markt" an den Start gegangen und mit ihm ein beispielloser Börsen-Hype.

"Der Versuch, ein totes Pferd noch mal auf die Beine zu stellen"

"Deutsche reden nur noch über Aktien-Tipps", titelte die Bild-Zeitung in den Boomzeiten der Tech-Aktien, Liedermacher Manfred Krug trommelte für die Volksaktie Telekom, um die Medienrechte-Firma EM.TV der Haffa-Brüder entstand erst ein Hype - bis von März 2000 an der Absturz folgte. Gierige Banken, törichte Gründer, Skandale und Pleiten hatten den Nemax-Index von knapp 9000 Punkten in der Spitze auf nicht einmal mehr 500 Zähler kollabieren lassen. "Der TecDax war dann der Versuch der Börse, ein totes Pferd noch mal auf die Beine zu stellen", sagt Tech-Analyst Christoph Schmidt heute.

Als der Index am 24. März 2003 startete, übernahm er die Historie des Skandalindex Nemax 50. Dort, wo der Nemax am Freitag zuvor geschlossen hatte, legte der umbenannte TecDax am Montag drauf zu Börsenstart los. Um mehr Solidität zu suggerieren, hatte die Börse den Index von 50 auf fortan nur noch 30 Werte geschrumpft. 24 der Mitglieder des neuen Index waren jedoch alte Bekannte aus dem Nemax 50, lediglich sechs weitere Titel kamen neu in den TecDax.

Trotz bester Hoffnungen fing alles an, wie es aufgehört hatte: Schon 29 Tage nach dem Start des vermeintlich neuen Index suchte ihn bereits der erste Skandal heim. Beim Softwarehersteller Ixos hatte ein Mitarbeiter Kundenaufträge gefälscht, die Manager mussten den gesamten Konzernabschluss korrigieren lassen. Kaum gestartet war dieses Debakel der erste Schlag für den TecDax, der nächste ließ nicht lange auf sich warten.

Weil es an den deutschen Börsen auch damals schon notorisch wenige echte Technologieunternehmen gab, füllte die Börse den jungen TecDax in der Folge mit Solar- und Windenergiefirmen auf. Das Geschäft roch nach neuer Technologie, nach unbegrenzten Möglichkeiten. Auch viele Privatanleger hofften, dass Sonne und Wind ihnen vermeintlich gratis das Geld in die Taschen wehen sollten. Auf dem Höhepunkt des Solarhypes 2006 machten die erneuerbaren Aktien mit Werten wie Solarworld, Q-Cells oder Conergy deswegen bereits rund ein Drittel des TecDax aus. Manche Experten verspotteten den Index damals als "SolarDax", als riskante Wette auf den Erfolg der Sonnentitel. Das Problem? Viele der Solartitel gingen später pleite, weil die chinesische Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu schlagkräftig wurde.

Inzwischen hat der TecDax diesen Kurskollaps verdaut, ist dem deutschen Leitindex Dax sogar weit entlaufen. Während der TecDax seit seinem Start rund 850 Prozent zulegte, bringt es der deutsche Leitindex nicht einmal auf ein Kursplus von 500 Prozent. Vor allem die Dekade des billigen Geldes nach 2012 konnte die Technologietitel nach oben hieven, ließ die Risikolust vieler Anleger zurückkehren - und den Tech-Index am Leitindex vorbeirennen.

Inzwischen umfasst der TecDax ganz unterschiedliche Unternehmen: Mit Deutscher Telekom, Freenet oder Telefónica sind eine ganze Reihe von Telekommunikationsanbietern enthalten, die unter Anlegern den Leumund des planbaren Geschäfts haben. Daneben umfasst der Index auch mehrere Medizintechnikunternehmen wie Eckert & Ziegler, Carl Zeiss Meditec oder Siemens Healthineers. Und inzwischen sind mit Software-Anbietern wie SAP, der Software AG oder Teamviewer auch einige klassische Tech-Unternehmen im Index vertreten. Aus Börsenkreisen heißt es, der Index sei damit in seiner breiten Zusammensetzung ganz einfach ein Abbild der ökonomischen Realitäten im Land.

Dennoch wagen sich viele aussichtsreiche Tech-Unternehmen aus Deutschland nicht im eigenen Land an die Börse, besorgen sich Geld eher bei großen Kapitalgebern oder an den deutlich größeren US-Börsen. "Viele deutsche Anleger sind einfach viel zu risikoscheu", sagt Tech-Experte Christoph Schmidt von Fegra Capital. In Börsenkreisen hofft man, dass sich mit Blick auf die vielen neuen Jung-Anleger an der Börse vielleicht ein gewisser Kulturwandel andeute.

Auch mit Blick auf den TecDax gäbe es dort Potenzial: Hierzulande lassen sich gerade einmal drei ETF-Indexfolger handeln, mit denen Anleger dem Technologieindex TecDax eins zu eins folgen können. "Eine ausgezeichnete Wahl für Anleger", sagt Dax-Manager Serkan Batir von der Indextochter der Deutschen Börse auf Nachfrage. In den Papieren liegt aktuell in Summe jedoch nicht einmal eine Milliarde Euro, für die Verhältnisse der Börse eine geradezu überschaubare Zahl. "Die bittere Wahrheit", sagt Aktienexperte Schmidt, "auf den TecDax schaut einfach niemand."

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