Nachhaltige Geldanlage:Österreich will Ökosiegel für Atomkraft stoppen

Nachhaltige Geldanlage: Kernkraftwerk Saint-Alban in Frankreich: In der EU sollen von Januar an Investitionen in Atommeiler als grün gelten.

Kernkraftwerk Saint-Alban in Frankreich: In der EU sollen von Januar an Investitionen in Atommeiler als grün gelten.

(Foto: Dirk Sattler/IMAGO)

Die Regierung reicht Klage gegen das umstrittene Taxonomie-Gesetz der EU ein. Dies erklärt Investitionen in manche Kern- und Gaskraftwerke für nachhaltig. Es ist wohl die letzte Chance, die Regelung aufzuhalten.

Von Björn Finke, Brüssel

Österreich hat gegen das umstrittene Taxonomie-Gesetz der EU-Kommission Klage eingereicht und zwar beim Gericht der EU in Luxemburg. Das teilte die Regierung in Wien am Montag mit. Diese Regelung erklärt Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter gewissen Umständen als nachhaltig. Das soll von Januar an gelten. Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sagt, der Rechtsakt gefährde "unsere Zukunft und ist mehr als verantwortungslos, denn Atomkraft und Erdgas sind kein Beitrag zum Klimaschutz".

Das Gesetz könnte es deutschen Stadtwerken oder dem französischen Atomkonzern EDF erlauben, Öko-Anleihen herauszugeben, um die Milliarden für neue Gas- und Kernkraftwerke aufzutreiben. Solche Schuldscheine sind niedriger verzinst als normale Anleihen; die Finanzierung wird billiger. Zudem dürfen Ökofonds Aktien der Firmen halten. Das wird von Umweltgruppen, vielen Europaabgeordneten und manchen Regierungen scharf kritisiert.

So verkündet Luxemburgs Regierung, die Nichtigkeitsklage Österreichs zu unterstützen. Bereits im September drohten Umweltorganisationen, vor das EU-Gericht zu ziehen, wenn die Kommission die Regelung nicht ändert. Die Bundesregierung lehnt das Gesetz in dieser Form ab, doch die Ampelkoalition konnte sich nicht darauf einigen, eine Klage anzustrengen. Die Gerichtsverfahren dürften die letzte Chance sein, das Gesetz zu stoppen, nachdem das Europaparlament den sogenannten delegierten Rechtsakt im Juli mit überraschend breiter Mehrheit gebilligt hat.

Das Gesetz gehört zur grünen Taxonomie. Dieses Klassifizierungssystem legt fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Das soll Greenwashing unterbinden, also die Unsitte, dass Firmen oder Investmentfonds sich als grüner verkaufen, als sie es wirklich sind. Ärger wie kürzlich bei der Fondsgesellschaft DWS soll vermieden werden. So will die EU-Kommission das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen. Schon im April 2021 präsentierte die Behörde einen Rechtsakt mit Kriterien für wichtige Branchen und Güter: insgesamt 170 Aktivitäten, die für 80 Prozent des Ausstoßes an Treibhausgasen stehen. Diese Regelung ist seit Jahresanfang in Kraft. Doch die heikle Frage, was für Kern- und Gaskraftwerke gilt, wurde aufgeschoben. Als die Kommission den Rechtsakt für Atom und Gas schließlich vorstellte, provozierte das erhitzte Debatten.

Hat die Kommission ihre Kompetenzen überschritten?

Die Behörde argumentiert, dass Atom- und Gaskraftwerke als Brückentechnologien für den Übergang in eine klimafreundliche Stromversorgung gebraucht würden. Kritiker befürchten aber, dass die Aufnahme von Atom und Gas die Glaubwürdigkeit der gesamten Taxonomie aus Sicht von umweltbewussten Anlegern und Fondsgesellschaften untergrabe. Allerdings treten delegierte Rechtsakte automatisch in Kraft, wenn Europaparlament oder Ministerrat, das Gremium der EU-Regierungen, nicht widersprechen. Und für so eine Blockade gab es keine Mehrheit.

Österreich begründet seine Klage damit, dass die Kommission "so weitreichende und politisch sensible Entscheidungen" nicht als delegierten Rechtsakt hätte verabschieden dürfen, wie es in einer Mitteilung heißt. Diese schwierig zu stoppenden Kommissions-Gesetze legen sonst immer nur Details fest. Außerdem argumentiert Wien, die übergeordneten Regeln für die grüne Taxonomie verböten es, die beiden Technologien aufzunehmen. Schließlich sei Erdgas "grundsätzlich ein klimaschädlicher Energieträger", und bei Kernkraftwerken bestehe die Gefahr von Reaktorunglücken mit enormen Umweltschäden.

Von dem Rechtsakt sollen bis 2045 genehmigte Reaktor-Neubauten profitieren; Investitionen in Laufzeitverlängerungen können bis 2040 berücksichtigt werden. Voraussetzung für das begehrte Nachhaltigkeits-Label soll sein, dass die Anlagen modernste Sicherheitsstandards erfüllen und die Regierungen zudem ein Konzept haben, wie sie bis spätestens 2050 ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle einrichten wollen. Gaskraftwerke erhalten das grüne Label nur, wenn sie Kohlekraftwerke ersetzen und sehr effizient sind. Zudem müssen sie bis 2035 komplett von Erdgas auf klimafreundliche Brennstoffe wie Biogas oder Wasserstoff umsteigen. Die Wasserstoffproduktion bis dahin derartig auszuweiten, wird allerdings schwierig.

Am Ende entscheiden die Anleger

Selbst wenn die Kläger vor Gericht scheitern sollten, ist unklar, wie viel grünes Anlegergeld wirklich in Gas- und Atomkraftwerke fließen wird. Denn die Kommission ist sich des Problems bewusst, dass zahlreiche Investoren diese Öko-Einstufung seltsam finden. Daher setzt Brüssel auf Abstufungen und Transparenz. Die Taxonomie sieht ohnehin drei Untergruppen von klima- und umweltfreundlichen Aktivitäten vor: Am besten sind klassische grüne Aktivitäten wie das Betreiben von Windkraftanlagen. Daneben gibt es ermöglichende Aktivitäten - darunter fielen die Hersteller der Rotoren - sowie Übergangsaktivitäten. Zu dieser schwächsten Untergruppe gehören Technologien, die lediglich auf dem Weg hin zur klimafreundlichen Wirtschaft gebraucht werden. Und das Gesetz stuft Kernenergie und Gas nur als zeitlich befristete Übergangstechnologien ein.

Ökofonds müssen zudem klar erkennbar darüber informieren, ob sie ausschließlich Aktien und Anleihen klassisch grüner Konzerne beinhalten oder auch Papiere von Gas- und Atomfirmen. Damit liegt es in der Hand der Anleger, ob Geld aus Ökofonds in Atommeiler fließt. Fondsanbieter werden wohl keine Atomkonzerne in Ökoprodukte aufnehmen, wenn dafür keine Nachfrage unter Sparern existiert.

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